Imposant - die Modellklasse A
Der Freundeskreis ist Bootsbesitzer. Für das Zentrum hatte sich Pit Rüßler von seinem, auf einem Flohmarkt aufgetriebenen, häuslichen Einrichtungsstück getrennt. Da steht es nun in Holtenau, sehr schön anzusehen, elegant in seinen Linien, bestechend in Form und Proportionen und über jedweden kurzlebigen Zeitgeschmack erhaben. Mit seinen Abmessungen von fast 2 m Länge über Deck, seiner Breite von nur 31 cm und 24 cm Tiefgang eine veritable Erscheinung. Über allem ein Mast von 2,15 über Deck.
Unbeantwortet blieb allerdings die Frage, was es nun mit dem Boot so auf sich hätte. Seine Vita behielt es im Dunkeln. Die Ausstattung des Rumpfes war unvollständig und das, was da war, in seinen Funktionen nicht immer erkennbar. Vieles war nur zu erraten. Das Boot hat daher den Platz an der Förde verlassen und nach Hamburg verholt. Erste Bewegung in die Sache brachte eine Besichtigung durch Klaus Pollähn. Er ist einer der wenigen dem Autor bekannten Zeitzeugen des Modellsegelns vor Einführung der Fernsteuerung und als ehemaliger Europameister von untadeliger Kompetenz. Denn es war klar, dass es sich hier nicht um ein Bootsmodell handeln kann, also den verkleinerten Nachbau einer existierenden Yacht, sondern um ein Modellboot, ein eigens für den Leistungssport konstruiertes Fahrzeug. Es wurde sofort als ein frühes „A-Boot“ identifiziert; sein Alter auf ca. 80 Jahre taxiert. Das Boot zeichnet sich durch einen herausragend fein gearbeiteten Holzrumpf ohne Spanten aus, gepaart mit einer äußerst ansprechenden Decksausführung. Es muss aus einer sehr guten Werkstatt stammen. Weitere Merkmale sind leider Fehlanzeige. Einzig lässt das am Großsegel vorhandene Fragment einer Flagge auf mögliche dänische Herkunft schließen. Andererseits fehlt der am Öresund üblich gewesene Griff im Inneren auf dem Kiel, mit dem es schnell hätte aus dem Wasser gehoben werden können. Oder wurden diese Griffe erst später üblich? Die Bemühungen Klaus Pollähns bei alten dänischen Kontakten blieben hierzu leider unbeantwortet. Unverständlich war auch die Funktionsweise der nur in Resten vorhanden gewesenen Windsteuerung. Die in der SVAOe ausgestellten zahlreichen Modelle sind in ihrer Vielfalt zweifellos beeindruckend. Schließlich liegt hier mit dem in die Modellabteilung der Vereinigung aufgegangenem „Modell-Segel-Regatta-Verein v. 1888“ (dem späteren „Modell Segel-Club Liliput“) eine der zentralen Wirkungsstätten des Modellsegelns in Deutschland, nur weitergeholfen hat der eingehende Rundgang in Oevelgönne nicht. Die dort ausgestellten Steuerungen sind andere. Erst das Archiv Klaus Pollähns hat die Skizze eines frühen in Skandinavien gebräuchlichen Selbstruders zu Tage gebracht. Ein in anderen Quellen aufgeführtes Gegengewicht ist nicht vorhanden. Anhand dieser Skizze konnte dank tatkräftiger Unterstüt- zung durch Jørg Schildt das Windruder inzwischen rekonstruiert werden.
Und was bitte ist nun ein „A-Boot“?
Nun, die Anfänge des früheren Volks- sports Modellsegeln reichen vermutlich weit in das vorvorherige Jahrhundert zurück, lassen sich nur erraten und sind letztlich ins Dunkel der Geschich- te gehüllt. Die wohl anfänglichen Produkte aus spielender Kinderhand gingen über auf Kapitäne, Lotsen, Seeleute, die sich schon immer mit dem Bau von Schiffsmodellen befasst haben. Sei es in der Freiwache oder der heimischen Werkstatt, es entstanden wahre Kunstwerke.
Mit diesen Modellen fanden auch Regatten statt. Es folgten Vereinsgründungen, wie die erwähnte von 1888 im preußischen Altona, die wie immer hierzu nichts neues oder anderes geschaffen, sondern nur bereits bestehende Entwicklungen in geordnete Bahnen gelenkt haben. Um die großen Regattafelder beherrschbar zu machen, (z. B. auf der Elbe 1905 mit volksfest- artigem Rahmenprogramm und rd. 150 Booten!), folgten erste Vermessungen und Gruppeneinteilungen, von denen natürlich ein typprägender Einfluss ausging. Und es kamen erste Einheitsklassen auf, so z. B. in Deutschland die sog. „1-Meter-Klasse“, deren Boote 1/3 m2 Segelfläche führten.
Ähnliche Entwicklungen hatten auch im Ausland stattgefunden. Vor allem in England hatte sich das Segeln mit Modellen auf hohem Niveau entwickelt. 1922 offerierte die bekannte Zeitschrift „Yachting Monthly“ einen Herausfor- derungspreis von 100 Guineen, um Konstrukteure zu ermutigen „to use sailing models as a means of testing full scale design“. Die zu bauenden Yachten sollten nach einer Formel vermessen werden, die der damalige Herausgeber der genannten Zeitschrift, Major Malden Heckstall-Smith, entwarf:
Wir haben es hier mit zwei höchst markanten Zieldefinitionen zu tun: Es wird eine Konstruktionsklasse ins Leben gerufen und es wird dazu ermuntert, die am Modell gewonnenen Erkenntnisse in den Entwurf „richtiger“ Yachten einfließen zu lassen. Ein Vorgehen, das erst später mit den Schlepptankversuchen zur Perfektion geriet.
Die Modellsegler nahmen die neue Formel schnell an. Sie wurde 1927 Grundlage der „Internationalen „A Klasse“ und gilt im übrigen (inzwischen mit metrischen Maßen) bis heute. Nach ihr entstanden ansprechende Rennyachten, die sich gut segeln und trimmen ließen. Ein solches Boot konnte von zwei Leuten aus dem Wasser gehoben werden - und möglicherweise noch wichtiger: die Takelage war so bemessen, dass die Boote aufgetakelt im Clubhaus stehen konnten.
Die Ähnlichkeit mit „großen“ Klassen ist ausweislich der von Born aufgestellten Tabelle verblüffend:
Schon in den 30er Jahren waren Konstruktionen mit getrennter Kiel-Ruder-Anordnung konkurrenzlos geworden. Den berühmten norwegischen Sieg von Sam O. Berge 1935 im englischen Gosport mit seinem A-Klassen-Boot „Charming II“ verdankte er seiner neuen Windsteuerung. Sie war allerdings unvollkommen, da die Windfahne noch mit der Hand auf den symmetrischen Gegenkurs umgestellt werden musste. Erst 1949 war sie vom US-Herausforderer „Ranger“ so weit verfeinert, dass er an der Kreuz unschlagbar wurde: Das „self-tacking Vane Gear“ stellte sich bei der (durch Umwerfen des Stevens durch die Mannschaft vorgenommenen) Wende selbsttätig auf den neuen Bug um.
Auch die Herstellung und Behandlung der Segel zieht sich durch alle Chroniken des Modellsegelns. Sam Berge griff auf seine einschlägigen Erfahrungen, die er auf der Werft von Herreshoff gesammelt hatte, zurück und fertigte seine Garderobe aus einem englischen Stoff, dessen Oberfläche stabilisiert und imprägniert war und sich bei Nässe nicht mehr verzog.
Sam Berge mit A-Boot "Prince Charming"
Neben der A-Klasse entstanden weitere - z.B. die B-Klasse aus einer Verkleinerung im Maßstab 1:6 der Int. 6-m-R- Yachten mit 2/3 Segelfläche. In diesen Klassen spielte sich fortan Modellsegeln auf höchstem Leistungsniveau ab. Vor allem die Britischen Meisterschaften in Fleetwood oder Gosport und der Yachting Monthly Cup als Europa- und Weltmeisterschaft markierten die Spit- ze, wo im Laufe einer Woche bei 40 Booten jeder gegen jeden antritt und paarweise zwei Läufe segelt. Andererseits beschränkte sich die Modellsegelei zunehmend auf einen kleinen Kreis von Leistungssportlern. Mit dieser Entwicklung verschwand zugleich das malerisch bunte Sammelsurium eines Breiten- und Volkssports zugunsten einer gewissen Uniformität sich immer weiter angleichender Yachten.
Die Teilnahme an internationalen Vergleichen in England waren stets auf- wendige Unternehmen, bei denen die Boote irgendwann nicht mehr in den Gepäcknetzen der Fernzüge reisten, sondern immerhin auf den Dächern der ersten Käfer. 1972 gewannen die Gebrüder Pollähn mit der geplankten John Lewis-Konstruktion Peter Pim als erste Deutsche Segler den Yachting Monthly Cup als Europameisterschaft. Nur am Rande erwähnt: Der bis heute gefeierte Sieg für Deutschland im AC auf dem Solent durch drei Sparkman+Stevens-Konstruktionen war ein Jahr später 1973.
Das eine Ziel Heckstall-Smith’s ist aufgegangen: Es wurden geschätzt 1.000 Modellyachten nach der A-Klassen-Formel gebaut. Das andere nicht, denn die namhaften Konstrukteure haben dieses preiswerte Experimentierfeld offenbar nicht betreten. Die Einführung der Fernsteuerung veränderte das Modellsegeln grundlegend. Auch andere Faktoren, wie auch ein geändertes Freizeitverhalten waren maßgeblich am Niedergang des herkömmlichen Modellsegelns beteiligt. Die schönen Yachten mit ihren präzise arbeitenden Feinmechaniken verschwanden abgeriggt auf Böden und in Kellern, wenn sie nicht gar den Weg zum Trödler fanden. Nur wenige landeten als Schaustücke in Vitrinen und Museen.
Mit der baldigen Rückreise des Modells nach Kiel als dem historischen Sitz des Deutschen Modell-Segler-Verbandes von 1921 wird ein würdiger Kurs anliegen.
Autor: Ulrich Körner
Quellen:
Jürgen Chr. Schaper „Mit Segelschiffmodellen über die Elbe“, SVAOe-Nachrichten 6/88
Klaus Pollähn „Vom Yachting Monthly-Cup" zur IOR-Formel, SVAOe-Nachrichten 6/88
International A-Class Rules 2016, IRSA - Inter- national Radio Sailing Association
„Vom Kinderspiel zum Leistungssport“, SVAOe Ein Jahrhundert am Wind
Karl-Peter Born „R/C-Jachtsegeln - Ein Sport für Anspruchsvolle“, 1969
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