"Seebär" - 20 qm Jollenkreuzer
Text und Fotos: Uwe Kraeusel
Zum 75. Geburtstag unseres 20er Jollenkreuzers liegt Ihnen hier ein kleiner Ablauf der turbulenten Geschichte des „Seebär" vor. Es ist vielmehr ein Versuch, den Spuren eines Bootes zu folgen.
„Seebär" ist am 19. Mai 1929 in der Werft Tschau aus Wusterwitz nahe Brandenburg vom Stapel gelaufen. Der Riss ist von Retzlaff, einem Berliner Schiffsbaukonstrukteur (siehe auch www.yachtsportarchiv.de im Heft Yacht 28/1929, Seite 20, und in Yacht 36/1928, Seite 22).
Die Werft war ein kleiner Familienbetrieb, der sich auf den Bau von Jollen und Jollenkreuzern spezialisierte, von denen heute noch vier 20iger und drei 15er Jollenkreuzer zwischen 1929 und 1956 fahren. Die Werft arbeitete bis 1990. Seebär kostete 8.500 RM und wurde vom damals 22-jährigen Werkzeugmacher Wilhelm Piper in Auftrag gegeben. Die Bezahlung erfolgte in Raten. Piper arbeitete wie viel Fachkräfte der Reichsbahn im Lokomotiven-Untersuchungswerk in Kirchmöser, dessen Bevölkerung innerhalb kurzer Zeit auf knapp 5000 Einwohner im Jahr 1931 anstieg. Für die Bahnangestellten wurden viele neue Häuser gebaut, und die Gründung des Eisenbahner-Segel-Vereins erfolgte am 21. Juni 1928 mit einundzwanzig Mitgliedern.
W. Piper in Anzugsordnung
Piper war seit dem 1.6.1929 Mitglied und segelte das Boot 44 Jahre lang im Kirchmöser Verein. Er pflegte sein Boot aufs vortrefflichste, so dass selbst die Fugen des Stabdecks aus Oregonpinie jedes Jahr weiß gestrichen wurden, und das auch nach 75 Jahren im Original vorliegt. Wilhelm Piper war im Verein lange aktiv. Sein Vater, Hermann Piper, war ab 1935 Vereinsvorsitzender. Vater und Sohn machten sich um den Verein verdient, so dass 1952 ein neuer Pirat auf den Namen „Hermann Piper“ getauft wurde und ein großer Steg des Vereins hieß „Hermann Piper Steg". Wilhelm Piper war nach dem 2. Weltkrieg lange Segelwart des Vereins, Vorsitzender der Schulungs- und Prüfungskommission und Regattaleiter. In den Jahren des Aufbaus des Vereins waren die Pipers prägend. Vater Piper sorgte für einen Flaggenmast mit entsprechenden Signalflaggen und einer Flaggengala. Der Flaggenmast des Eisenbahner-Segel-Vereins war immer der höchste und schönste, so die Vereinschronik. Es wurde auf Tradition geachtet. Das betraf auch die korrekte Seglergarderobe in den Farben Weiß, Blau und Grau.
Seebär im Winterlager 1932
„Seebär“ trug schon 1929 ein Hochsegel, als es noch üblich war, Gaffelsegel zu fahren, aber die damals neuen Regattaregeln legten fest, dass grundsätzlich gegen den Wind gestartet wurde. Zum Gegen den Wind-Kreuzen ist eine Hochtakelung besser geeignet, und so setzte sich die Hochtakelung immer mehr durch.
Der besondere Stolz Wihelm Pipers war es, dass der „Seebär" am Steg den höchsten Mast von immerhin 9m hatte.
R 53 ca. 1930
Vor dem 2. Weltkrieg ist Wilhelm Piper ein erfolgreicher Regattasegler. In den Kriegswirren zum Ende des Krieges schwamm das Boot herrenlos auf dem See herum. Eine andere Version der Geschichte besagt, dass Wilhelm Piper sein Boot versenkte, um es zu retten. Es wurde später gehoben und komplett abgezogen. Die Russen hatten aber für den Mast Verwendung. Sie benutzten ihn als Schlagbaum. Bemühungen Wilhelm Pipers, den Mast wiederzubekommen, scheiterten auch dann noch, als er ihnen einen Stahlschlagbaum anbot. Wilhelm Piper hat sich den Mast nach Abzug der Russen aus der besetzten Seestraße, etwa 1947/48, zurückgeholt. Er wohnte in der Nachbarstraße und hatte daher die Information und schnellen Zugriff. Piper hatte also Glück, denn in der Sowjetischen Besatzungszone wurden die meisten Boote als Reparationsleistung nach Osten gebracht oder einfach zerstört.
Schleppfahrt ca. 1950
Nach dem Krieg war die Familie Piper als Fahrtensegler unterwegs. Ab 1950 wurde Seebär im Register der DDR mit der Nr. R53 vermessen und eingetragen. Der Eisenbahner-Segel-Verein wurde wieder aufgebaut, doch auf dem Gelände war vieles zerstört oder zweckentfremdet worden, und es herrschte Mangel an allem. Dennoch gelang es den Segelfreunden, das Vereinsleben aufrechtzuhalten. Die Boote wurden trotz fehlender Farben und völlig ungeeigneter Anifouling-Anstriche weiter gepflegt. In den 60iger Jahren bekam man langsam Grund in den Verein. Die notwendigsten Gebäude waren instandgesetzt, die Stege brauchbar gemacht worden.
W. Piper ca. 1953
Als Wilhelm Piper 1973 starb, verkaufte die Witwe das Boot, da ihr Sohn keine Bezug zum Segelsport hatte. Hier verliert sich die Spur des „Seebär“ für 20 Jahre nach Storkow. In dieser Zeit erneuerten die Eigner u.a. die Fenster und strichen die Seilkammer weiß an. Der Holzmast wurde durch einen Alumast ersetzt. Das Deck wurde mit einer glasfaserverstärkten Polyesterbeschichtung abgedichet.
Nach einem weiteren Besitzerwechsel nach der Wende wurde die Restaurierung des Bootes begonnen. Viele Arbeiten zur Erhaltung des Seebär wurden in Angriff genommen. Es wurde das Deck vom glasfa-serverstärkten Polyesterharz befreit. Die Außenplanken wurden abgedichtet und das gesamte Lacksystem umgestellt. Eine neue Fock und eine neue Persenning rundeten das Bild ab. Außerdem wurden alle Seile erneuert. Wegen des fortschreitenden Alters dieser Eigner, die bald den Segelsport aufgaben und sich nur der Erhaltung des Jollenkreuzers widmeten, stand „Seebär“ Anfang 2000 abermals zum Verkauf.
Messbrief 1976
So erwarben wir das Boot und fanden es in einem ausgezeichneten Zustand vor. Es war Liebe auf den ersten Blick. Keine einzige Spante war gebrochen oder je ausgetauscht worden. Das Deck, welches aus Gründen der Dichtigkeit mit einer Polyesterharzmatte beschichtet war, hatte Familie E. schon freigelegt mit Sikaflex abgedichtet und mit Ceolan behandelt. Die Beplankung lag im Original vor. Lediglich die Plankennähte wurden mit Sikaflex abgedichtet. Beplankung war mit Otrawol D1 und D2 vorbildlich gestrichen. Die Bilge und Innenbords wurde gründlich mit Firnis behandelt. Ein Alumast war montiert worden. Das Kajütdach und die Backdeckel waren nicht einwandfrei.
Unsere Aufgabe bestand nun darin zu entscheiden, wie weit wir an den Originalzustand heran wollten mit einer weiteren Restaurierung.
Schließlich sollte „Seebär“ in Fahrt gehalten werden, so dass man einen Kompromiss aus Originalzustand und Alltagstauglichkeit bzw. Sicherheit finden musste.
Die Behandlung des Holzes mit Naturfarben ist jahrzehntelang bewährt und sinnvoll. Wir verwendeten D1 als Holzschutz, Firnis im Innen-bereich, D2 als Lack an unbeanspruchten Stellen, und Letonkinois (Lacköl auf Firnisbasis) an beanspruchten Stellen. In der Plicht verwende ich Original von International.
Da der Originalmast vorhanden war, wurde der Alumast ersetzt. Die Leimung war unbeschädigt, das Holz gesund. Der Mast wurde nach dem Abziehen mit D1 durchgetränkt und mit Letonkinois endbehandelt. Der Baum war altersschwach und musste erneuert werden.
Lack ist ab (2003)
Die Beschläge am Mast und am Boot waren zum größten Teil noch im Original vorhanden. Sie sind aus Messing gebaut worden und ursprünglich verchromt. Vom Chrom konnte man noch Spuren erahnen. Meist waren sie mit Alusil überpinselt, wenige Teile sind neu verchromt worden. Die Beschläge habe ich gereinigt, angeschlagene neu angefertigt, poliert, aber nicht neu verchromt.
Alle Aluteile habe ich entfernt. Wo das nicht möglich ist, z.B. Fenstereinfassungen, wurden diese goldeloxiert. Den Reitbalken habe ich vollkommen überholt. Um größere Vorsegel fahren zu können, habe ich eine Winsch in der Mitte des Reitbalkens montiert. Beim stehenden Gut montierten wir aus Gründen der Sicherheit Niroseile. Beim laufenden Gut erwarben wir Seile, die ihrem Äußerem nach wie Hanfseile aussehen, aber aus modernen Kunstfasern gefertigt werden. Sie verbinden die Vorteile leistungsstarker Seile mit traditionellem Aussehen. Die Segel wurden aus beigefarbenem Segeltuch in traditionellem Outfit neu gearbeitet. Dabei haben wir uns an die heutigen Vermessungsregeln gehalten, uns aber vom Aussehen am alten orientiert.
Am Deck machten sich dunkle Streifen immer stärker bemerkbar, weil die vor Jahren aufgetragene Beschichtung mit Ceolan das Holz nicht ausreichend atmen lässt. Nässe staute sich im Holz, so dass wir es abzogen. Anschließend habe ich das Oregonpinienholz mit Owatrol gebleicht, mit D1 durchgeölt und mit Letonkinois lackiert.
Das Kajütendach war mit glasfaserverstärktem Epoxitharz beschichtet und weiß gestrichen. Die Beschichtung löste sich an einigen Stellen, und darunter erschien ein gesundes, gut erhaltenes Holzdach. Die Bretter waren mit Nut und Feder miteinander verbunden. Um sie dicht zu bekommen, musste ich die Nuten auffräsen und mit Sikaflex abdichten.
Abgezogenes Kajütdach
Der Ableger für den Baum, die Backkistendeckel (aus Möbelteilen improvisiert vom Vorbesitzer erneuert) und die Mastlegevorrichtung wurden vollkommen überarbeitet bzw. neu gebaut. Der Ableger ist aus Eiche gearbeitet, die Führungsschienen sind aus Messing gebaut. Zum Mastlegen fertigte ich aus stabilem Messingrohr eine halbhohe Reling, welche mit einem Seilzug als Toter Mann fungiert.
Nach vier Jahren Arbeit bleiben uns noch folgende Dinge zu erledigen:
_ Elektrische Beleuchtung und Antrieb
_ Einbau eines Gasherdes
_ Auswechseln des zu schweren Stahlruders gegen ein Holzruder
_ Entfernung der weißen Farbe in der Seilkammer
_ Inspektion des Schwertes, evtl. Überholung und Austausch der Bolzen
_ Blitzschutz
_ Erneuerung der Schottür