"Schwalbe" - G 1417
Text: Jürgen Schaper - Foto: Kai Greiser
Unsere SY „Schwalbe“ (diesen Namen führt unser Schiff seit Mai 1974) wurde 1952 auf der damals sehr bekannten Werft von H. Heidtmann in Hamburg gebaut. Die Heidtmann-Werft war 1855 gegründet worden und existierte mehr als 100 Jahre.("100 Jahre Heidtmann")
Das Schiff gehörte zuletzt dem bekannten Segler Kurt Sommer und Vizekommodore des HSC Kurt Sommer. Dieser hatte das Schiff 1952 für sich auf eigene Rechnung bauen lassen. Gezeichnet wurde es damals von dem bekannten Konstrukteur namhafter Seekreuzer Ernst Krassmann, ebenfalls HSC. Ursprünglich hieß das Schiff „Helgoland“, wie dann sämtliche Yachten Kurt Sommers später hießen.
Die „Helgoland“ war von Krassmann in die sogenannte KR-Klasse hineinkonstruiert worden. Die KR-Formel (Kreuzer-Renn-Formel) war bereits in der Mitte der 20er Jahre zur Vermessung seegehender Fahrtenyachten, die man zu dieser Zeit noch Kreuzeryachten nannte, entwickelt worden. 1948 wurde sie entsprechend einem Entwurf von Henry (Jimmy) Rasmussen vom DSV auf nationaler Ebene als Seekreuzer-Bau- und Vermessungsformel neu formuliert.
In den Folgejahren entstanden viele Schiffe in den sogen. KR-Klassen, die noch auf halbe Werte abgestuft waren, also 5 KR, 5,5 - 6 - 6,5 - 7 - 7,5 - 8 usw.. Die Formel wurde mehrfach geändert, so entfielen z.B. ab Mitte der 60er Jahre die „Halbwerte“, fortan gab es also nur noch 5 - 6 - 7 - 8 KR usw.. Ende der 60er wurde die KR-Formel zugunsten der neu eingeführten internationalen IOR-Formel abgeschafft.
Da man in den ersten Jahren nach dem Kriege der Meinung war, man würde sich im Laufe der Zeit an die britische RORC-Formel (Royal-Ocean-Racing-Club-Formel) anlehnen, damit man an internationalen europäischen Regatten teilnehmen könne, wurden damals viele Schiffe im Hinblick auf eine spätere RORC-Vermessung entsprechend dieser Formel gebaut. So hatte auch Ernst Krassmann die „Helgoland“ nicht nur für die KR-Formel, sondern auch für die RORC-Formel gezeichnet. Die RORC-Formel begünstigte lange, schmale und tiefgehende Yachten mit kleinem Spiegelheck. Man sieht dem Schiff noch heute deutlich seinen „Stall“, also die Herkunft aus der englischen RORC-Formel an.
Das Schiff war zunächst auf 8 KR vermessen und führte die rote Segelnummer 8/8. Durch die roten Ziffern im Segel unterschieden sich die KR-Yachten von den übrigen nationalen Klassen, wie z.B. den Nationalen- und Seefahrtkreuzern sowie den Meter-R-Yachten, welche schwarze Zahlen im Segel trugen. Es erfolgte dann eine Neuvermessung auf 7,5 KR, Nr. 7,5/11 (rot). Nach Abschaffung der Halbwerte war die Segelnummer G 7/112 (rot). Nach Abschaffung der KR-Formel wurde das Schiff in der IOR-Klasse III (Eintonner) vermessen und führte ab 1974 die Nummer G 1417 (schwarz).
Doch weiter zur Geschichte des Schiffes. Kurt Sommer verkaufte seine „Helgoland“ bereits 1954 an Werner Weber, der sie „Tinsdal“ nannte und 15 Jahre unter dem Stander der SVWS segelte. Als „Tinsdal“ ersegelte sie viele Regattapreise. Werner Weber verkaufte das Schiff an Hans-Peter Baum und hier hieß es dann kurze Zeit „Fairwind“. Schon nach kurzer Zeit erwarb ich es im Mai 1974 von Hans-Peter Baum. Seitdem trägt es den Namen „Schwalbe“. Dies ist der Traditionsname in unserer Familie. Meine sämtlichen Schiffe hießen so, ebenfalls die Yachten meines Vaters und das Segelboot meines Großvaters!
Die „Schwalbe“ ist, da sie auf Hochseeregatten bei jedem Wetter seefähig bleiben mußte, äußerst stabil aus Mahagoni auf Eichespanten und mit eisernen Wrangen gebaut. Die stabile Bauweise macht sich bis heute bezahlt, da das Schiff noch immer sehr kräftig ist und auch heute noch kein Wasser macht. Für ein viel und hart gesegeltes Holzschiff ist dies eine Seltenheit.
Bei der Sturmflut am 3.1.1976 nahm die „Schwalbe“ starken Schaden. Sie wurde aber auf der Werft Wegener in Wedel fachgerecht repariert und ist seitdem besser als zuvor. Harte Regatten segeln wir heute natürlich nicht mehr, höchstens noch Club- oder Veteranship-Wettfahrten wie die in Laboe. Dann ist unsere „Schwalbe“ immer noch ein schneller Vogel.
Gesegelt wird die „Schwalbe“ allein von meiner Frau und mir. Wir machen lange Fahrten in alle europäischen Gewässer (Lieblingsziel Norwegen). Bereits 1993 haben wir die 40.000 Seemeilenmarke überschritten - dies sind mindestens zwei Weltumsegelungen.
Noch etwas am Rande: Wir bemühen uns, das Schiff in seinem Aussehen zun halten, wie es 1952 ausgesehen hatte. Das heißt: keine modernen Beschläge und Extras, keine Elektronik und keine stromschluckende Ausrüstung. Das Schiff wird von uns seegerecht benutzt, also viel gesegelt und wenig motort. Mit seinem 20PS-Diesel ist es nach der heutigen allgemeinen Auffassung sowieso untermotorisiert - für uns reicht’s: Es wird viel geankert. Bereits zu Zeiten meiner Berufstätigkeit wurde es 100 Tage im Jahr „bewegt“. Heute, nach meiner Pensionierung, werden es wohl 120 oder 130 Tage sein. Während der vielen Ankertage zeichnet oder aquarelliert Marlies (s. „Yacht“ 24/93) und ich schreibe dann ein bißchen.
Natürlich begrüße ich die Bewegung, die die klassischen Yachten, zu denen die „Schwalbe“ als früher Nachkriegsbau ja in besonderer Weise gehört, wieder in Erinnerung bringt. Ich lege dabei Wert auf die Feststellung, daß es sich hierbei nicht, wie z.B. die „Kieler Nachrichten“ einen Artikel überschrieben, um „Lustyachten“ handelt. Die alten Yachten sind viel sportlicher und nasser zu segeln als die heute modernen. Darüber hinaus sind sie auch viel spartanischer eingerichtet. Mit den heutigen Plastikwohnlauben sind sie in keinster Weise zu vergleichen. Mit ihrem modernen Wohnlaubenkomfort sind sie viel eher Luxus. Die alten Schiffe besaßen viel Segel und wenig Platz, keine Heizung und keinen Kühlschrank und oftmals nicht mal einen Motor! Und wenn sie einen besaßen, dann hatte er nur wenige PS. Die Yachten waren reine Sportgeräte und als handwerklich gefertigte Einzelstücke waren es fast immer auch ästhetische Kunstwerke.
Da solche Schiffe heute so gut wie nicht mehr anzufertigen sind, einerseits weil es kaum noch solch fähige Handwerker gibt, andererseits weil solche Schiffe heute unerschwinglich teuer wären, bin ich der Meinung, daß Yachten, wie sie in Laboe zu sehen sind, inzwischen Kulturgüter ersten Ranges sind. In einer Zeit, wo jede Schott’sche Karre, Kaffeemühle oder alte Heißmangel als museumswürdig angesehen wird, sind es diese Schiffe schon längst.
Aus dem Mitteilungsblatt 2/94 des Freundeskreises