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"Rusalka" - 50 qm Seefahrtkreuzer

Text und Fotos: Jan Huerkamp

Anfang November 1936 wurde das Polnische Marine-Transportschiff „Wilja“ auf der Weser mit einer kleinen Flotte von erstklassigen neuen Yachten beladen, um sie in ihre zukünftige Heimat Gdynia in der Danziger Bucht zu bringen. Der neue Oficersky Y.C. hatte bei der renommierten Werft Abeking & Rasmussen eine Reihe von Booten bestellt: zwei 80iger Seefahrtkreuzer, vier 50iger Seefahrtkreuzer, zwei 6mR-Yachten und sechs Starboote (Yacht, Nov. 1936). Einer der 50iger war „Rusalka“. Sie war nach den Linien der A&R BauNr. 3038 („Seehecht“ 1936) gebaut worden, wohingegen der Segelriss dem der BauNr. 2907 („Seebär“ 1935) entsprach. Nach den drei Linienrissen und dem einen Segelriss, die Henry Rasmussen für die 50iger Seefahrtkreuzerklasse schuf, entstanden von 1935-38 nicht weniger als 34 Boote. (A&R BauNr. Liste“). Die Segel für die Boote lieferte, wie üblich, die Segelmacherei Wilhelm Mählitz, Lemwerder.

Auslieferung der 14 Boote bei A&R 1936

Als Schulungsboote fuhren „Rusalka“ und ihre Schwestern in den folgenden drei Jahren Touren und Regatten auf der Ostsee. Unter anderem waren sie bei der neuen Seeregatta „Gotland Runt“ 1937 und 1939 dabei, und ihre Mannschaften verdienten sich Respekt und Anerkennung bei ihren deutschen und schwedischen Mitstreitern – allerdings wohl mehr durch ambitioniertes Segeln und gute Kameradschaft, als durch gute Platzierungen und herausragende Regelkenntnisse (Yacht).

Im September 1939 marschierten deutsche und russische Truppen in Polen ein und teilten das Land zum vierten Mal in seiner Geschichte. Nach der „Befreiung“ der Danziger Bucht fanden die deutschen Besatzer im zum „Gotenhafen“ umbenannten Gdynia (dt: Gdingen) u.a. nur drei der vier 50iger. (Yacht Heft 44 vom 04.11.1939). Die „Panna Wodna“ war schon 1939 aus Lloyds Yachtregister verschwunden und tauchte 1940 mit Einschusslöchern an Schwedens Küste wieder auf (heute „Cirrus“). Und so endete das kurze Kapitel der polnischen Seefahrtkreuzer: Obwohl die deutsche Luftwaffe die Boote übernimmt, waren sie bei Lloyds noch bis 1947 unter ihrem alten Namen und Eigner registriert. Ihre Überlebens-Chancen der Boote waren immerhin höher als die ihrer ehemaligen Mannschaften, denn mit der ihm eigenen Skrupellosigkeit hatte Stalin, nach der Besetzung des Landes, nahezu alle polnischen Offiziere hinrichten lassen.

Nachdem die Luftwaffe die Boote an sich genommen hatte, wurde „Rusalka“ 1942 zu „Sperling“ umbenannt (A&R BauNr. Liste), und war weiterhin ohne Maschine als Schulungsboot im Einsatz.

1945 wurde unser Boot zum zweiten mal in seinem jungen Leben „befreit“. Die Briten zeigten verständlicherweise ein hohes Interesse an den hervorragenden Yachten, die sie im zerstörten Deutschland vorfanden, und so kamen Hunderte von Yachten über 10m Länge nach Großbritannien. „Windfall“ nannten sie das passender weise – also Windbruch ( = das was man nach einem schlimmen Sturm einfach mitnehmen kann). Ich hörte mal an einem Steg in Guernsey, wie ein älterer englischer Segler seinem Kumpel den Sachverhalt erklärte: „The windfall-yachts were then brought back to England, well, in fact they were stolen...“
Wie auch immer, die neuen Eigner bauten 1948 die erste Maschine ein, einen 2 Zylinder Stuart Turner Benzinmotor mit 8 PS. Ab 1953 finden sich wieder Einträge Lloyds Yachtregister. Der Name „Sperling“ wurde beibehalten und der Eigner war nun der 1952 gegründete Flying Training Command Sailing Club der R.A.F. in Southampton, dessen Clubhaus „The Welsh Harp“ in Hendon sich verdächtig nach einem Pub anhört...

Aufgrund der Angabe von verschiedenen Rennwerten (z.B. 1957 RORC 27.53 ft) dürfen wir wohl annehmen, dass ausgiebig auf dem Solent regattiert wurde. Dafür sprechen auch die gelegentlichen neuen Segel von zunächst Lucas (1951) und später von Williams (1959,’61,’62) (Lloyds Register of Yachts 1937 – 1980). Auch die alte Regattawunde am Boot (an der Stb-Außenhaut auf Höhe des Cockpits) wird wohl bis dahin erworben worden sein – ein mächtiges Dreieck, fast bis zur Wasserlinie. Da wollte wohl einer zu knapp am Heck vorbei...
Ab 1965 fanden die Wettfahrten wohl ohne „Sperling“ statt. Sie fuhr nun seit fast 30 Jahren im harten Schulungs- und Regatta-Betrieb, und vielleicht war mit ihr kein Blumentopf mehr zu gewinnen, oder die Jugend wollte lieber mit modernen GFK-Booten heizen, auf denen nicht ständig einer lenzen musste, wenn’s zur Sache ging.
1980 war der Heimathafen Plymouth. Zu dieser Zeit waren die Segel 18, die Maschine 22, das Boot selbst 44 Jahre alt. Irgendwann ist die Kajüte um zwei Spantabstände verlängert, und dem Zeitgeschmack angepasst worden. Es ging wohl langsam bergab mit dem Mädchen.

Rusalka mit alter Kajüte auf dem Humber

Ein Gutachten, das 1990 in Leight on Sea, Essex für den Verkauf des Bootes angefertigt wurde, berichtet von dem damaligen Zustand: „...ziemlich dreckig und ungepflegt, zeigt aber keine Anzeichen von Deformierung, die meisten Teile des Rumpfes sind in guter Verfassung, durch viele Plankennähte scheint die Sonne und der Rumpf ist nur geprimert, es sind kaum Decksbeschläge vorhanden, das Ruder und die Pinne sind nicht mehr zu gebrauchen, Das Sperrholzdeck ist an vielen Stellen weich-gerottet, die Einrichtung ist in sehr schlechtem Zustand und auch nicht original, das stehende Gut ist verrostet und sollte ersetzt werden, der Motor ist nicht mehr vorhanden, die Elektrik ist hin, ... , Fazit: Das Fahrzeug ist für das Alter und den Typ in ziemlich gutem Zustand, und verdient eine Überholung, weil sie von klassischer Form und Ausführung ist, und wird mit 10.000 englischen Pfund bewertet.“

Inneneinrichtung

Als Les Hartley das Boot kaufte, war er Anfang 50 und war selbstständiger Tischlermeister. Er legte seine neue alte Yacht nach Goole, dessen durch eine Schleuse geschützte Hafenanlagen etwa 55 sm flussaufwärts von der Mündung des River Humber liegen. Um dort zu segeln, musste man bei Hochwasser den Humber hinabfahren (ca. 20 sm) und konnte dann in der (sonst trockenfallenden) Mündung segeln, bis es die zurückkehrende Flut ermöglichte, den Fluss wieder hinaufzufahren. Alle Häfen dort fallen entweder trocken, oder können nur bei Hochwasser angelaufen werden. Der typische Törn dauerte also etwa 12 Stunden, no matter what. Das war aber gar nicht so schlimm, denn fast schien es dem Eigner mehr Spaß zu machen, an seinem vielbewunderten Boot zu bauen, als damit zu segeln. Im Laufe von 10 Jahren reparierte er Spanten, erneuerte die Kielbolzen, installierte einen neuen Motor, flickte das Deck, baute einen neuen Kajütaufbau mit Türen, geschliffenen Bulleyes, Oberlicht etc, und machte die Salon-Einrichtung neu. Das wird wohl hauptsächlich an den Wochenenden passiert sein, denn wohnen tat er ja in Sheffield (50 km von ab). Als er Ende der 90iger einen Herzinfarkt erlitt, sah er schweren Herzens ein, dass er wohl weniger Arbeit und mehr Kajüte brauchte, und so lag Dornröschen mit hellblauem Deck und uralten Segeln im Schlaf zwischen Motorseglern und Wohn-Bargen, und wartete auf ihren Prinz.

Etwa zur selben Zeit begab es sich, dass ein junger, frischgebackener Ingenieur eine gute Anstellung (natürlich erst ab dem Spätherbst), und etwas Geld in der Tasche hatte, und er musste jetzt endlich ein richtiges Boot haben. Es sollte groß genug sein, dass man aufrecht leben könnte, natürlich gut aussehen und anständig segeln, ’n dägern Arbeitsboot mit Gaffelsegeln und Kohleofen... So befuhr ich eine Woche lang automobil die Ostküste Englands, und suchte in den schlammigen Flussläufen nach dem Boot, das selbst noch nicht wusste, dass es zu verkaufen war. Was ich fand war oft in mäßigem Zustand und eigentlich immer teuer.

  

An Goole wollte ich eigentlich schnell vorbei fahren, aber wo ich schon mal da war, sagte ich in der Viking-Marina mein Sprüchlein auf. Was mir vorschwebte gab’s natürlich nicht im tiefen Binnenland, aber da wäre eine Yacht zu verkaufen. Auf dem Aushang stand was von Aberking & Rasmuden 1936 – ich horchte auf. Der Preis war weit jenseits meiner Möglichkeiten, aber Ankucken kostete ja erst mal nix: Der scharfe Bug ragte über den Rasen am Rand der Box, lang und schmal. Klassische Yachten sehen doch erst mal alle gleich aus, schön, aber ’n bisschen filigran. Tja, Dornröschen hättest du anders rum in der Box gelegen, hätte ich dich sofort wach geküsst (denn schräg von achtern ist sie unwiderstehlich), aber so brauchte ich noch zwei Stunden, bis die Neugier dem Kribbeln und der Aufregung wich, bis die Hirnwindungen anfingen zu rattern: Geldbeschaffung, Terminplanung, Seeklar machen, Überführung, Mannschaft, Ausrüstung...

Der Oktober 2001 war ungewöhnlich mild und wir hatten nur mäßige bis frische Winde aus Ost. Trotzdem kotzte ich mir drei Tage lang die Seele aus dem Leib, und die Schlafsäcke waren ja auch nass, weil das Deck nicht dicht war, und ich hatte schon leise Zweifel, ob ich mich nicht etwas vertan hätte mit der „neuen Lebensart“, aber zum Glück schien bei Helgoland die Sonne und alles wurde gut.

 

In den letzten drei Wintern haben wir, mit der Hilfe von ein paar Freunden, ca. 1100 Stunden an Rusalka gearbeitet, und in den Sommern sind wir nicht weniger als 4000 sm gesegelt, auf Ostsee, Nordsee und Kanal. Bei den Freundeskreisregatten haben wir sogar mal eine gewonnen. Im Winter verbringe ich Stunden und Tage über dem Studium der Yachtgeschichte, und zu Weihnachten gibt’s Spi-Schoten (im Frühjahr werden dann wieder Karten für die Saison geborgt...). Rusalka ist eigentlich zu gut, um sie nur zu haben, wir teilen eher unser Leben mit ihr.