"Piraya" - Typ "Störtebeker"
Text: Rolf Kelling-Eischeid, Titelfoto: Kai Greiser
„Außergewöhnliche Taten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen“ - unter dieser Maxime dürften Anfang der 30er Jahre Henry Rasmussen und Kapitän Ludwig Schlimbach zusammengekommen sein. Schlimbach, eine Legende des deutschen Yachtsports, hatte sich schon damals einen Namen mit Atlantiküberquerungen gemacht auf recht kleinen Segelschiffen gemacht. Er plante 1937 eine neue seglerische Höchstleistung: Er wollte, als 61jähriger, mit einem kleinen Boot von 10 Metern Länge, als erster Deutscher einhand über den Atlantik segeln! Henry Rasmussen entwarf also Schlimbach’s STÖRTEBEKER III, die bei Abeking & Rasmussen gebaut wurde - ein Schiff mit weicher Linienführung und kurzen Überhängen, kräftig und solide gebaut. Mit einer 45qm großen Segelfläche, als Yawl getakelt, schaffte es Schlimbach in 59 Tagen von Lissabon nach New York, obwohl ungewöhnlich schlechtes Wetter geherrscht haben soll. Seine Leistung machte Schlimbach noch bekannter als er ohnehin schon war und sein Schiff wurde zum Traum vieler Segelsportler.
Doch es sollte bis 1949 dauern, bis Abeking & Rasmussen wieder ein solches Boot bauen würde. Der deutsche Hochseesegelsport lag nach dem Krieg am Boden, man bemühte sich, zumindest den Vorkriegsstand des Yachtbaus für den Segelwettkampf wieder zu erreichen. Nachfolger der Seefahrtkreuzerklassen wurden die KR-Klassen von 4 bis 14 KR, die alten Seefahrtkreuzer wurden nach einem bestimmten Schlüssel den KR-Klassen zugeteilt. Die KR-Formel hielt sich bis 1969 (zuletzt geändert 1963), bis sie dann durch die IOR-Formel ersetzt wurde.
Henry Rasmussen wurde nach dem Krieg mit der Überarbeitung der alten KR-Ausgleichsformel von 1926 beauftragt, die neue Formulierung als Bauformel lag 1948 vor. Ein Jahr darauf lief „Piraya“ vom Stapel - als erstes Schiff der 7 KR-Klasse, Segelnummer 7 / 1. Es handelte sich dabei um den unveränderten Riß der legendären „Störtebeker III“, nun allerdings mit Sloop-Takelage: Länge ü.a. 10,2 m, Länge in der Wasserlinie 7,5 m, Breite 2,6 m, Tiefgang 1,6 m, Segelfläche 46,8 qm.
Henry Wilkens war erster Eigner der „Piraya“. Der Vorsitzende des Weser-Yachtclubs bis 1959 segelte das Boot fast nie ohne „Nachwuchs“, so bekannte Leute wie Stefan Lehnert oder Hermann Schaedla bekamen hier ihre erste Segelausbildung. Die „Piraya“-“Störtebeker“ war dabei immer ein äußerst schnelles und seefähiges Schiff, zahlreiche erste und zweite Preise, z.B. im Skagenrennen oder bei den Nordseewochen oder in den Gotland-Rund-Regatten belegen dies. Bis 1975 war Wilkens Eigner des Bootes, seine Erfolge machten die „Piraya“ so bekannt, daß noch heute Leute von der Weser sich erinnernd vor der „Piraya“ stehen bleiben. 1957 wurde die Yacht übrigens durch eine Gaskocherexplosion auf Grund geschickt. Dieser Unfall war Anlaß für eine strenge Änderung der Vorschriften für Gasanlagen.
Aufnahmen aus den 50ern
Nächster Eigner war Ernst Conrad aus Bremen. Auch er segelte das Boot intensiv und sportlich. Heimische Regatten (Rote Sand), Nordseewochen und Edinburgh-Regatta standen auf dem Programm.
1984 stand die „Piraya“ wieder zum Verkauf. Die Gelegenheit für den Kieler Wilfried Horns, der sogleich von den Linien hingerissen war, kaufte und sie seither regelmäßig und umfassend selbst pflegt. Das Boot befindet sich noch weitgehendst im „Original“-Zustand, vom Sprucemast über die verzinkten Beschläge, dem baumwollbezogenen Kajütdach bis hin zur unveränderten Inneneinrichtung. Ein von Wilkens irgendwann einmal errichteter Seezaun mit Sitzbank am Heck wurde allerdings wieder „rückgebaut“. Nicht mehr 50 Jahre alt ist das Deck. Infolge Abnutzung wurde es bereits 1975 zum ersten, 1998 zum zweiten Mal neu belegt. „Nur“ 30 Jahre ist der Einbau-Benziner alt, der vom Konstrukteur in seinem motorlosen "Störtebeker"-Entwurf auch gar nicht vorgesehen war.
Aktuelle Aufnahmen
W. Horns segelt wie seine Vorgänger auch gern Regatten. Doch so richtig Spaß macht es erst, seit es die Veteranenregatta gibt, bei der nicht supermoderne Racer dominieren. Und durch seine Kontakte im „Freundeskreis“ hat er auch Verbindung zu weiteren Eignern des Typs „Störtebeker“, von dem von Abeking & Rasmussen noch weitere Exemplare gefertigt wurden: „Skjold“(1950), „Freya“ (1950), „Taranga“ (1956) und „Träumerei“ (1956), alle mit längerem Heck und teils auch topgeriggt. Zwei weitere „Störtebeker“ wurden übrigens noch in den 90ern von der britischen Werft Farrow & Chambers im West-System gebaut.
Einmal alle „Störtebekers“ gemeinsam an die Startlinie zu bringen, ist noch Wunschvorstellung. Aber das muß ja nicht so bleiben...