"AR" - 125 qm Seefahrtkreuzer
Text und Foto Tom Nitsch
Henry Rasmussen hatte seiner Frau versprochen, daß die neue AR sein drittes und letztes Schiff sein sollte. Es war die Blütezeit der Seefahrtkreuzerklasse, an deren Entstehen Rasmussen maßgeblich beteiligt war. Natürlich mußte AR in diese Klasse gezeichnet werden, und ebenso selbstverständlich mußte sie seine Ideale und damit Abeking & Rasmussen repräsentieren, als da wären perfektes Handwerk, Ästhetik und schnelles Design.
Die Olympiade 1936 in Kiel sollte AR’s erste Repräsentationsaufgabe sein, und aus der Tatsache, daß dieser selbstgesetzte Termin eigentlich gar nicht zu halten war, entstand eine der vielen Geschichten dieser Werft, wie fast Unmögliches dann doch noch durch den engagierten Einsatz einer eingeschworenen und hochmotivierten Mannschaft möglich wurde. Damit war der Streß aber nicht vorbei, denn anschließend gab es Empfang nach Empfang der olympischen Gäste durch Rasmussen an Bord. Es wird berichtet, daß der damalige Kohleherd noch glühte, als die heißen Regattatage längst vorbei waren.
Danach war Rasmussen so entspannt, daß er auf der folgenden Sommerreise mit AR erst einmal im Svendborgsund festsaß. Kein Revier kannte er angeblich so gut wie dieses, wo er aufgewachsen war, aber ausgerechnet hier saß er mehrfach auf Grund, wie er selbst berichtete. Insgesamt zeigte AR ihm aber offenbar, daß sie auch laufen konnte. Jedenfalls bekräftigte er nach dieser Reise, sie nie verkaufen zu wollen. Aber auch Meister irren! Als „Harro IV“ gewann AR bald danach unter neuem Eigner die Nordseewoche und zeigte das, wofür die Seefahrtkreuzer bekannt waren: Die optimale Verbindung der scheinbaren Gegensätze Geschwindigkeit und „Cruising Comfort“, d.h. angenehmes Seeverhalten und Komfort unter Deck.
Nach dem Krieg segelte AR als „Lively“ unter englischer Flagge Regatten im Solent und kam 1953 zurück als „Möwe“ in den Dienst der Hanseatischen Yachtschule in Glücksburg. Sie gewann das Blaue Band der Flnsburger Förde und hielt lange Jahre yachtschulinterne Geschwindigkeitsrekorde. Nach 27 Schulschiffjahren und so etwa 120.000 Seemeilen konnten wir das Schiff 1982 erwerben. Es gab noch nicht so etwas wie eine Renaissance der klassischen Yachten, aber dafür noch Gentlemen. Einer von Ihnen war definitiv Herr von Georg, der die Yachtschule für diesen Verkauf repräsentierte. Er gab uns den Vorzug gegenüber anderen Interessenten, die alles rausreißen wollten, um damit mehr und moderneren Platz für Chartergäste zu schaffen.
Wir suchten damals eine Yacht, die nur etwas größer als unsere 30 Fuß „Windnes“ sein sollte, aber manchmal ist man eben machtlos..! „Windnes“ hatten wir fünf Jahre und damit schon einiges an Restaurierungserfahrungen gesammelt, und trotzdem hatten wir Lust, uns auf ein so verrücktes Projekt einzulassen. Über all die Jahre schien es so, daß AR auch uns ausgesucht hatte, und in mancher stillen Stunde hätte ich gerne gewußt, was von Georg und AR über uns getuschelt haben. Jedenfalls machte sie uns, bei aller heruntergekommener Kosmetik und nach all den Segelschulmeilen, das große Geschenk, konstruktiv gesund zu sein! Aber natürlich bleibt genug Arbeit nach, so daß eine Zeitlang neben der Frage, wer eigentlich wen ausgesucht hatte, auch die auftauchte, wer eigentlich wem gehört. Man lernt einiges über persönliche „Relativitätstheorien“.
Aus der "Yacht" 1940, Heft 51, Seite 610 ff
Um Dinge zu verändern, mußte die Praxis uns immer erst beweisen, daß es so, wie es war, nicht ging. Doch das konnte sie meistens nicht. Das waren ja damals keine Amateure! So wurden nur Kleinigkeiten verändert, um das Schiff zu zweit oder auch alleine segeln zu können. Heute verschwindet die Ankerkette z.B. direkt am Spill unter Deck und muß nicht mehr umständlich über Deck getragen und unten weggestaut werden, wodurch aus den dafür notwendigen vier Leuten eine Ein-Personen-Operation wurde. Und auch das Reffen wurde so organisiert, daß man nicht mehr zu dritt 20 Minuten schweißgebadet über dem Großbaum hängt, sondern es in 5-10 Minuten alleine geht.
Natürlich ist die Pantry vor dem Mast nichts Praktisches, sondern einfach nur ein Spleen aus jenen Tagen, als die Bootsmänner im Vorschiff lebten, von dort in die Pantry kamen und von dort wiederum die Messe zu bedienen hatten. Aber man müßte schon sehr gefühllos sein, wenn man sie dort raussägen und mit der Gästekammer tauschen würde, wo die Schiffsbewegungen ruhiger sind und der Weg bis ins Cockpit kürzer wäre. Hätte man wirklich etwas gespart? Zumindest wäre man um einige Geschichten und Lacher ärmer, wie z.B. die nach der Kocherei da vorne mit heißer Suppe und kabbeliger See und „AR auf dem Ohr“, und ich auf dem Weg von der Pantry-Wendeltreppe hoch an Deck und am Kartenhaus vorbei und schließlich in der Schwärze der Nacht fast ins Cockpit fallend. Mein alter Freund Jörgen Praestegaard (nicht wegen seiner 73 Jahre) am Rohr verschwindet gleich mit einem Teller voll Suppe im Kartenhaus, weil einem an Deck alles wegfliegt. Die Suppe hat jetzt ca. 18m und 2 Treppen hinter sich und Jörgen kommt gleich alles wieder hoch: „Sorry, I think it was the smell of the petroleum-lamp!“
Als wir das von der Yachtschule auf das Original aufgelegte Deck herunterreißen, um von Walsteds Baadevaerft ein neues auflegen zu lassen und auch die Beschläge aus dem Leibholz herausnehmen, kommt A&R-Qualität zu Tage, abgesehen von der ehemaligen Ofenrohrdurchführung, wo das Holz ziemlich verkohlt ist und damit den Wahrheitsgehalt der olympischen Kochorgie untermauert. Die verzinkten Eisenbleche sind über Deck ziemlich verrostet, ihre Bolzen sind jedoch so saugend perfekt mit Bleiweiß eingesetzt, daß sie wie neu wirken. Andere Bolzen dagegen, welche vielleicht erst vor 20 Jahren von anderen eingesetzt wurden, sind total zerfressen.
Damit soll keineswegs gesagt werden, daß früher besser gebaut wurde. Natürlich gibt es heute eine ganze Reihe von Werften mit einem sensationellen Qualitätsstandard. Und doch ist AR aus einer anderen Zeit mit anderen Werten. Beim Seeverhalten spüren wir es am deutlichsten. Als Beispiel vielleicht die kleine Geschichte, als Angelika und ich in der Plicht, wie so häufig, beim Tee sitzen. Es weht, Reff im Groß und Schrick in der Schot, kleiner Klüver, Baumfock. Eine hochmoderne Ketsch, Wasserlinie ca. so lang wie wir über Deck, kommt von Langeland unter Maschine „rüber“ auf unsere Seite unter Fünens Küste und ist dann 2 Längen hinter uns. Nun müssen sie uns zeigen, daß sie auch segeln können, und sogar schneller. Die große Genua wird ausgerollt, der Besan wird ausgerollt. Angelika und ich trinken Tee. AR schießt entspannt und unbeeindruckt dahin, läßt sich jedenfalls nichts anmerken. Natürlich beobachten wir die anderen bei aller zur Schau getragenen Teilnahmslosigkeit aus den Augenwinkeln. Hat sie eventuell einen Meter gut machen können? Bloß jetzt nicht die eigenen Schoten nachjustieren. Nur Tee trinken! Da schießt die andere Yacht in den Wind, ist nicht mehr zu kontrollieren. Die Segel killen. Man fällt wieder ab, nimmt wieder Fahrt auf, versucht es nochmals, jetzt deutlich hinter uns. Zwei Minuten später das gleiche Spiel, die Yacht ist nicht mehr zu halten und rast wieder in Richtung Wiese. Die Segel werden eingerollt, man entschließt sich wieder zum Motoren. Wir haben immer noch die Teetassen in der Hand. AR sehr in Balance - mit der freien Hand leicht zu halten. Das Ruder fühlt sich gut und glücklich an. Nein, ganz überholt sind diese Yachten nicht.