Die Yacht emanzipiert sich: Schwertboote
„In weit selbständigerer Weise als die fast ausschließlich nach englischem Vorbild geformte Seeyacht hat sich bei uns in Deutschland die Binnenyacht herausgebildet. Ihr erstes Vorbild fand sie aber doch nicht, wie man leicht wohl vermuthen könnte, im binnenländischen flachbodigen Kahn, wie er als Fischer- oder Frachtfahrzeug noch heut in Gebrauch ist - dazu sind dies zu schlechte Beimwinder - sondern in den Beibooten der Seeschiffe und in den diesen nachgebildeten Verkehrsbooten der Seehäfen, ... wenigstens haben die meist offenen oder bestenfalls halbgedeckten Segelboote der 40er Jahre in vielen Beziehungen [mit ihnen] Ähnlichkeiten aufzuweisen", lesen wir in „Seglers Handbuch" von 1897.
Laura (Aus: Seglers Handbuch, 1897)
Rennjolle Laura, 1864 (Aus: Stöwer, Dt. Segelsport)
Vom Segeln als Freizeitvergnügen hören wir in Deutschland erstmals um 1820. Berlin mit seinen Seen und der Havel und Hamburg mit seiner Alster waren die Schwerpunkte, nicht etwa die Küste. Bootscorso, Piratenspiele, geselliges Miteinander bildeten den Schwerpunkt des Vergnügens. „Einen wesentlichen Umschwung bewirkte das Auftreten des ersten, von Amerika nach Deutschland gebrachten Schwertbootes, in welchem alle Eigenschaften vereint zu sein schienen, die man einem Binnensegelfahrzeug wünschen konnte" (Seglers Handbuch). 1864 hatte ein Herr A. Tietgens die 3 Jahre zuvor in New York gebaute, sehr erfolgreiche Jolle Lauranach Hamburg gebracht, und etwa um die gleiche Zeit kam ein ähnliches Boot nach Berlin. Die Laura war 8,17 m lang, 2,8 m breit und trug, vom Cat-boot zur Slup umgetakelt, 101,26 m2 Segel. Diese gewaltige Segelfläche konnte „mit 12 Mann Besatzung noch bei frischem Wind getragen werden". Die Siegeslaufbahn des Bootes war unwahrscheinlich: Bis 1879 wurde es nur in 5 Regatten geschlagen, obwohl ihm immer neue Boote entgegengestellt wurden. Ein anderes Boot, die Fiametta, 1890, 5 m lang und 2,44 m breit mit einem Cat-Segel von 30 m2, ist interessant, weil es dem heutigen Finndingi nicht unähnlich ist, nur hat dieses bei 4,5 m Länge nicht mehr als 10 m2 Segelfläche; man sieht, um wieviel größer damals die Segelflächen ganz allgemein waren. Auch Jollenkreuzer gab es schon, so die Sportvon 1883, etwa 6 m lang und 2,8 m breit. In „Seglers Handbuch" steht über das Boot: „Die Kajüte ist eichen, mit poliertem Ahorn verziert, außen Ahorn mit Palisandersäulen und Mahagoni-Fensterrahmen, Spiegelscheiben, Schiebethüren. Die Kajüte hat 1,5 m innere Höhe und bietet bequem Raum für 4-6 Personen." Na, ja!
Aus einem Vortrag des Marine-Ingenieurs Saefkow, begeisterter Segler und seinerzeit bekannter Konstrukteur: „Es ist eine bekannte Thatsache, daß auf unseren Flüssen und Binnengewässern fast ausschließlich Segelboote mit Mittelschwert im Gebrauch sind ... Schwertboote kreuzen etwas besser als Kielboote von gleichen Formen und Größen-Verhältnissen. Der Grund dieser Erscheinung liegt in der Gestalt des Schwertes, welches mit seiner scharfen Vorkante bei der aus Abdrift und Vorwärtsgang zusammengesetzten Bewegung des Bootes in ein größeres Volumen unbewegten Wassers einschneidet als der mehr oder weniger horizontale Kiel, der nur eine verhältnismäßig kurze Vorkante besitzt. ...Das schnelle Manövrieren des Schwertbootes wird ermöglicht durch den geringen Widerstand, welchen die flachgehenden Enden des Bootes der Drehung entgegensetzen. ,.. Die Verringerung des Widerstandes durch Aufholen des Schwertes beim Raumsegeln und vor dem Winde ist ziemlich bedeutend." Dem ist auch heute nichts hinzuzufügen, bedeutet es doch, dass man erkannt hatte, wie wichtig ein hydrodynamisch gut geformter Lateralplan und ein hohes Seitenverhältnis der Flosse sind.
Die hohe Wertschätzung des Schwertbootes, die aus diesen Worten spricht, ist deshalb von Interesse, weil in England Schwertboote bis 1887 zu Regatten nicht zugelassen waren. Damals ging der Kampf zwischen Kiel und Schwert heftig hin und her — wir erinnern an die Vorliebe der Amerikaner für Schwertboote. Gegen Ende des Jahrhunderts schälte sich aus den Diskussionen heraus, dass die Bevorzugung des Schwertes, wie Saefkow sie vertrat, jedenfalls bei kleineren Booten bis etwa 7 m Länge berechtigt war.
Scow von 1891 (Aus: Sciarelli, Die Yacht)
Ein bemerkenswertes Schwertboot war die Scow, bei uns „Rennflunder" genannt. Der Riss zeigt einen sehr flachen Rumpf mit langen, in sehr kleinem Winkel zur Wasserlinie verlaufenden Überhängen. Damit wurde bewirkt, dass die Wasserlinie bereits bei geringster Krängung auf der eintauchenden Seite merklich länger wurde, mithin das Boot bei günstiger Vermessung, die wesentlich von der Länge der Wasserlinie abhing - und das hat sich bis heute nicht geändert -.schneller laufen kann. Diese Flundern waren 7-8 m über alles, die Wasserlinie maß etwa 4,5 m. Sie waren extrem leicht gebaut - die oben erwähnten „Streichholzschachteln" -, und sie trugen um 20 m2 Segelfläche. Auch sie fielen einer neuen Formel zum Opfer, die es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, solche Extreme zu beschneiden. Doch hat die Konzeption dieser Boote zweifellos bei mancher modernen Jollenklasse Pate gestanden.