1959: Die Westberliner Reviere
Berlin, das wie kaum eine andere Weltstadt von Binnengewässern umgeben ist, auf denen man Wassersport treiben kann, war bis zum zweiten Weltkrieg der Mittelpunkt des deutschen Segel-und Motorbootsports. Hier gab es die meisten Segler und Motorbootfahrer, die meisten Jollen und Motorboote, aber auch die meisten seegehenden Segel- und Motoryachten, da die Ostsee verhältnismäßig leicht auf dem Wasserweg nach Stettin zu erreichen war. Durch die unglückselige Teilung Berlins haben die Westberliner Segler nicht nur fast alle Wanderreviere, sondern auch den ungehinderten Zugang über Stettin zur Ostsee und die Elbe abwärts über Lübeck zur Ostsee und über Hamburg zur Nordsee verloren. Geblieben ist ihnen nur der Wannsee, die Havel von der Pfaueninsel bis Spandau und der Tegeler See. Auf diesen Gewässern tummeln sich im Sommer rund 20 000 nicht bei Vereinen eingetragene Segel-, Motor-, Paddel-und Ruderboote. Hinzuzählen muß man die rund 1500 Yachten und Jollen und die 140 Motorboote, die den 49 Vereinen des Berliner Segler-Verbandes angehören, außerdem die Motorboote und Motoryachten des Berliner Motoryachtverbandes.
Die Berliner sind nicht zu erschüttern, lassen sich nicht unterkriegen und suchen das Beste aus ihrer Lage zu machen. Nur wenige Berliner Segler konnten ihre größeren Yachten in westdeutschen Ostseehäfen stationieren. Andere Berliner Wandersegler haben, so lange es möglich war, elbeabwärts die westdeutschen Küstengewässer und die freie See erreicht. Da auch der Transport auf dem Wasserwege elbeabwärts behindert wurde, haben die Berliner Segler jetzt einen Transportanhänger gebaut, der Jollenkreuzer auf dem Landwege zu den westdeutschen Revieren bringen kann.
Für die Fahrtensegler, die zu Haus bleiben müssen, veranstaltet der Potsdamer Yacht-Club eine 60-Seemeilen-Regatta, die rund 12 Stunden dauert, nachts gesegelt wird und bei der zwei Wendemarken im Wannsee und vor Picheisdorf zu runden sind.
Die Westberliner Segelvereine, deren Stander und Bootsliegeplätze in die Karte eingezeichnet sind, gehören zum Teil zu den ältesten deutschen Segelvereinen mit einer großen Vergangenheit im internationalen Rennsegelsport. Die bisher einzige olympische Goldmedaille im Segelsport wurde von dem Starboot „Wannsee" des Vereins Seglerhaus am Wannsee errungen. Berliner Rennyachten sind in vielen internationalen Rennen in Finnland, Schweden, Holland, in Ungarn, Frankreich, in Italien und in der Schweiz und auch jenseits des Großen Teiches gestartet. Aber auch auf dem heimatlichen Wannsee haben die Berliner Segler große Schlachten um ihre großen internationalen Pokale, wie den berühmten „Seglerhaus-Preis" der 22er Renn Jollen mit französischen, englischen, ungarischen und österreichischen Seglern geschlagen.
Auf den Berliner Gewässern findet man noch heute Vertreter fast aller Klassen und Bootstypen von der kleinen Einmann-Renn jolle bis zum Seekreuzer und der holländischen Tjalk. Die Berliner Segler hatten stets eine Vorliebe für rassige Kielyachten, wie es die Schärenkreuzer waren. Seit jeher ist Berlin das Jollen-Paradies. In jüngster Zeit sind zu den alten, stark vertretenen Wander- und Rennjollenklassen die FD's und die Finn-Dinghies hinzugekommen. Typisch für Berlin sind die Jollenkreuzerklassen, die sich besonders gut für die Berliner Gewässer eignen.
Wannseewoche der Olympia-Klassen
Der Berliner Regattasport leidet seit Jahren zwangsläufig an einer gewissen Einseitigkeit, weil die Berliner Rennsegler in ihren Regatten zumeist unter sich blieben. Hinzu kommt, daß fast jedes Wochenende mit sich überschneidenden Rennveranstaltungen besetzt war, und an den Sonntagen die Westberliner Reviere mit Hunderten von Motor- und Segelbooten, Ruder- und Paddelbooten angefüllt sind, und dadurch die Durchführung von Rennen erschwert wird. Um solchen Schwierigkeiten auszuweichen und zugleich den in Berlin immer mehr an Bedeutung gewinnenden Olympia-Klassen einen Auftrieb zu geben, haben sich der Verein Seglerhaus am Wannsee und der Potsdamer Yacht-Club zur Veranstaltung der „Berliner Wannseewoche" zusammengefunden, die zum erstenmal vom 27. bis zum 30. Mai auf Wannsee und Havel, und zwar an Wochentagen, an denen der Sportbootverkehr geringer ist, durchgeführt wird. Die 5 Rennen sind für die Drachen, Stare, FD's und Finn-Dinghies ausgeschrieben. Gesegelt wird um wertvolle Sonderpreise, und zwar ist für jede Klasse ein Wanderpreis ausgesetzt, der nach dem Sieg-System ausgesegelt wird und ein zweiter, für den der Sieger nach dem Punktsystem des DSV ermittelt wird. Zum Teil handelt es sich um bekannte Preise für die bisherigen traditionellen Sonderwettfahrten der beiden veranstaltenden Vereine.
Es werden vergeben: In der Drachen klasse: Der Otto-Protzen-Preis (Verein Seglerhaus am Wannsee) — Der silberne Drachen: Alfred-Köcher-Erinnerungspreis (Potsdamer Yacht Club); in der Starboot- Klasse: Das silberne Starboot, gegeben von Herrn Dr. D. von Falkenhayn (Potsdamer Yacht Club) — Grüner Pokal (Verein Seglerhaus am Wannsee); Flying-Dutchman-Klasse: Royal-Louise-Preis (Verein Seglerhaus am Wannsee) — Preis des Regierenden Bürgermeisters von Berlin (Potsdamer Yacht Club); in der Finn-Dinghy- Klasse: Das silberne Finn-Dinghy, Lambert - Lind - Erinnerungspreis (Potsdamer Yacht Club) — Preis des Senats der Stadt Berlin (Verein Seglerhaus am Wannsee).
Diese neue Regattawoche hat die besondere Unterstützung der Stadt Berlin gefunden. Die Veranstalter hoffen, daß sich nicht nur Rennsegler aus Nord-, Süd- und Westdeutschland, sondern auch aus dem Ausland beteiligen werden. Die Termine sind an den Anfang der Renn-Segel-Saison gelegt worden, damit Regatten gleichzeitig als die ersten deutschen Trimm- und Vergleichsrennen in den Olympia-Klassen noch rechtzeitig vor der Kieler Woche dienen können. Für die Berliner Rennsegler ist durch diese Zusammenfassung mehrerer bisheriger Sonderwettfahrten eine große Zahl von Wochenenden von Regattaveranstaltungen frei geworden.
Der Motorbootsport in Berlin
Der Motorbootsport ist so recht etwas nach dem Herzen der Berliner, und er findet trotz des zusammengeschrumpften Reviers ohne die vielen märkischen Wandergebiete, die früher zur Verfügung standen, immer neue Freunde. Leider gehört erst ein verschwindend kleiner Teil der Berliner Motorbootfahrer den vier im Berliner Motoryacht-Verband zusammengeschlossenen Motorboot-Vereinen an. Das ist deshalb bedauerlich, weil die Vereine sich bemühen, dem Neuling das notwendige Wissen für die Handhabung eines Motorbootes, die Seemannschaft und die Kenntnisse der Vorschriften über Ausweichen usw. zu vermitteln. Der Deutsche Autbord-Club, der seinen Bootsliegeplatz in Picheisdorf hat und sich vor allem dem Motorboot-Rennsport widmet, stellte 1958 drei Europameister, und zwar in den Klassen C, A und B. Die Mitglieder nahmen 1958 an 21 Rennen in Deutschland, Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Polen, zumeist mit gutem Erfolg, teil. Außerdem führte der Club eine Weltrekordfahrt durch, bei der es Werner Schrimpf gelang, die beiden 12-Seemeilen-Welt-rekorde der Klassen A und B zu brechen. Auf den Westberliner Gewässern kann man, ohne die vielen anderen Sportboote zu gefährden, die Geschwindigkeiten moderner Motorboote nicht mehr ausfahren. Dazu ist Gelegenheit auf der Rennstrecke der Berliner Motorbootfahrer auf dem Tegeler See, wo (auf der in der Karte eingezeichneten Bahn) internationale und Meisterschafts-Rennen, darunter die Rennen um das Blaue Band von Berlin ausgetragen werden. Der Motor-Yacht-Club von Deutschland ist im vergangenen Jahr mit vorbildlichen, für alle Motorbootfahrer offene Veranstaltungen hervorgetreten, die im Rahmen von Wettbewerben der motorsportlichen Ausbildung dienten.
Bilderläuterung:
Stander mit schwarzen Nummern: Die Vereine des Berliner Motoryacht-Verbandes: 1. Deutscher Autbord-Club (Klubhaus und Klubhafen: Pichelsdorf-Piwa). — 2. Motorboot-Club Charlottenburg (Klubheim und Klubhafen: Pichelswerder). — 3. Motor-Yacht-Club Tegel (Klubhaus und Klubhafen: Tegel-Seepavillon). — Außerdem der auch dem Deutschen Segler-Verband angehörende Motor-Yacht-Club von Deutschland (Nr. 45 rot. Klubhaus und Klubhafen: Berlin-Wannsee).