1954: Die Kieler Förde
Kommt man aus dem Bahnhof heraus, stutzt man und glaubt, verkehrt ausgestiegen zu sein. Wo ist der altvertraute Platz, das Hansahotel und was sonst da herum stand? Ausradiert, wie fast die ganze Altstadt. Aber der Hafen ist Gott sei Dank noch da und an der Gaardener Seite ragen die eisernen Spinnennetze der Helgen, und gewaltige Kräne recken ihre knochigen Arme gen Himmel. Auch die Hafendampfer fahren noch, genau wie zur Zeit als ich herkam, lang, lang ist's her. Sie gehörten der „Neuen" Dampfer-Kompagnie, aber man konnte sich nicht vorstellen, daß es eine noch ältere gegeben hat. Um die Jahrhundertwende gründete einer unserer Vereinsbrüder vom ASV - Berlin, Friedrich Stellter, genannt „Fritze", eine Konkurrenzlinie. Zum Unterschied von den schwarzen Schiffen strich er seine weiß an, aber in der rauchgeschwängerten Atmosphäre blieben sie nicht lange weiß und hießen deshalb die „schmuddligen Fritzchen".
Erste Station, wenn man vom Bahnhof kam, war, wie heute noch, die Reventlowbrücke. An der Stelle, auf der später die KSV ihr stattliches Heim erbaute, stand ein Gartenlokal: „Volkers Garten". Hier spielten sonntags abwechselnd die „85er" und die Marinekapelle zu Kaffee, Strickstrumpf und musikalischem Bräutigamsfang. Außerdem gab es den Bootsvermieter Remka, der jeden Fremden anfiel mit der Frage: „Wollen Sie nicht ein büschen rudern, segeln, oder ein klein Kriegschiff ansehn? Ich fahr Ihnen gern mal rüber!"
Gleich hinter der Reventlowbrücke begann das weite Gelände der Marine-Akademie, wo Scharen hoffnungsvoller Fähnriche, genannt „Pünktchen", sich nautische Weisheit aneigneten. Das Gebäude war nüchtern und charakterlos, wie alles aus dem späten 19. Jahrhundert und paßte nicht hierher. Es hätte auch nirgend anders hingepaßt. Nicht ganz so schlimm war der ebenfalls noch stehende Signalturm, dem man auf Wunsch von S. M. die Silhouette eines Seeräuberkastells gegeben hatte. Er bezeichnet den Anfang der Uferpromenade, zuerst Strandweg, später „Hindenburgufer" genannt, großartiges Geschenk von Alfred Krupp, dem dritten der Dynastie, an die Stadt. Er hatte die Baupassion, und er hat mit dieser Straße etwas geschaffen, das sich dem „Riverside-drive" Newyorks und der „Langen Linie" Kopenhagens zur Seite stellen kann: Einen Freiluft-Festsaal mit Ausblick aufs Meer in unmittelbarer Nähe einer Großstadt.
An seiner Landseite stand ein großes rotes Haus, leider nicht parallel zur Straße, sondern im spitzen Winkel, so daß man immer versucht war, es gerade zu rücken. Dieses baute Krupp aus und stellte es dem Kaiserlichen Yacht-Club zur Verfügung, sozusagen als Retourkommission für die enormen Marine-Aufträge. Jedoch war es kein Geschenk und wurde ihm eines Tages wieder weggenommen. Unten enthielt es einen sehr festlichen Saal, oben Klubräume mit vielen ledernen Sesseln, aber völlig charakterlos. Hier hätte ebensogut ein Pferde- oder Tennisklub hausen können, wären nicht die Wände gepflastert gewesen mit quadratmetergroßen Marine-Schinken, die der Kaiser gelegentlich schenkte, wenn er nicht wußte, wohin damit. In diesen Räumen trafen sich donnerstags die Klubmitglieder, Segler und auch Nicht-Segler, unter Vorsitz des Prinzen Heinrich. An den übrigen Tagen waren die Räume nur „Kaiserlicher Skatklub" für all die netten alten Exzellenzen, die sonst nichts zu tun hatten.
Ebenfalls ein Geschenk von Krupp war der davor liegende Yachthafen mit der Startanlage für Binnenregatten, die damals hier ihren Anfang und Schluß hatten. Nach dem ersten Weltkrieg, als kein Geld da war, betrat man die Brücken nur mit Angst und Zagen, denn der Belag war so vermorscht, daß man leicht hindurchtrat. Im Olympiajahr 1936 entstand ein zweiter, geräumiger Bootshafen mit Mastenkran, und jetzt ist sogar ein dritter im Bau, so daß in Zukunft alle auswärtigen Gäste unterkommen können, anstatt draußen an Bojen zu liegen, wo es bei unruhigem Wasser nicht immer schön ist.
Gegenüber den Jachthäfen erhebt sich die einstige „Seebadeanstalt", ein riesiges, gleichfalls von Krupp erbautes Hotel, an der Stelle, wo die frühere „Seebadeanstalt" stand, eins der ältesten Seebäder Norddeutschlands, von dem also der Name stammt. Zum neuen Hotel gehörte auch eine luxuriöse schwimmende Badeanstalt, in der aber niemand badete, weil das Wasser viel zu schmutzig war. Das Hotel entsprach gleichfalls nicht den Erwartungen. Krupp hatte sich gedacht, daß all die Leute, die geschäftlich die ihm gleichfalls gehörende Germania-Werft aufsuchten, hier wohnen würden, wie in Essen im „Essener Hof". Aber die Entfernung war viel zu groß, zumal es damals noch keine Autos gab, sondern nur die eingleisige, unsäglich trödelige Straßenbahn. Das Riesengebäude stand also, mit Ausnahme der Kieler Woche, das ganze Jahr hindurch leer! Nach dem Zusammenbruch 1918 wurde es Institut für Weltwirtschaft. Zu dieser Zeit mußte sich der gleichfalls exmittierte KYC ein neues Heim schaffen, und das war sehr schwierig, nachdem das große Klubvermögen in der Inflation zerronnen war. Aber dieser Klub, der die Krone im Stander und den Adler in seiner Flagge führte, hat es abgelehnt, nach der Revolution „wie andere Klubs" seinen Namen „zeitgemäß" zu ändern. Diesen Entschluß durchgesetzt hat in der selir stürmischen Sitzung der Landrat „Friedel" Rogge, Bruder des Admirals und Sohn des Oberhofpredigers Rogge, der bei der Kaiserproklamation in Versailles 1870 die Predigt gehalten hatte. Der Klub hat nicht aufgehört, den verbannten Kaiser als seinen „allerhöchsten Kommodore" zu betrachten und führte weiter im Stander die Krone. Zum Dank dafür kam aus Doorn ein erheblicher Zuschuß zum Bau des neuen Klubheims. — Ein derartig in Traditionen lebender Klub wurde natürlich sofort von den Nazis „gleichgeschaltet", als sie zur Herrschaft kamen, und über dem Klubhaus wehte das Hakenkreuz. Nach dem verlorenen Krieg beschlagnahmten die Engländer das Gebäude, zugleich mit fast allen Rennbooten und unsern vielen stattlichen Fahrtenkreuzern. Erst kürzlich ist es freigegeben und wieder Heim eines KYC, was aber jetzt „Kieler Yacht Club" bedeutet, dem führenden Verein der Stadt und Gastgeber zur Kieler Woche.
Eine Erinnerung an das Olympia jähr ist das ehemalige Olympische Gästehaus, jetzt „Weltklub". Der moderne luftige Bau erhebt sich aus blumengeschmückten Terrassen und blickt aus riesigen Fenstern weit über Hafen und Förde. Er wurde durch Herrn Professor Baade zu einem Wohnheim für hier studierende Ausländer umgestaltet, hat aber auch ein vorzügliches Restaurant, das, wie der ganze Betrieb, der liebenswürdigen Frau Professor Baade untersteht und also „warm" empfohlen werden kann.
Weiterhin sind fast alle Villen der Zerstörung zum Opfer gefallen, aber zum Glück sind die herrlichen alten Buchen erhalten, die diesem Stück Welt einen so malerischen Hintergrund geben. Kurz vor Bellevue stand ein einfaches, langgestrecktes, niedriges Haus, das die Devise trug: „Statt die Nächte zu verludern, Junge Leute gehet rudern." Es war das Heim der Schülerrudervereine, die nachmittags und auch abends ihre Bootchen die Brücke hinunter trugen. Wir aber waren der Meinung, frei nach Seume: „Wo man segelt, laß dich ruhig nieder, Böse Menschen rudern lieber." Wo der Weg aufwärts nach Bellevue abzweigt, steht das Unterseeboot-Ehrenmal. Wie manches U-Boot sah man von hier aus an die Front gehn, sommers mit Rosen, winters mit Tannengrün geschmückt. Nicht alle kehrten zurück . . .
Der Hafendampfer strebt nun Holtenau zu, wo der Kaiser-Wilhelm-Kanal endet. Der Bau des Kanals ist noch unter der Regierung des alten Kaisers begonnen, und zum Andenken daran hat sein Enkel ihm dort ein Denkmal gesetzt mit der Unterschrift: „Kaiser Wilhelm der Große". Mit diesem Beiwort hat er versucht, die Geschichte zu korrigieren, aber ohne Erfolg. Der alte Herr war ein pflichttreuer und gottesfürchtiger Monarch, aber sein großer Kanzler hat seine weitausschauenden Pläne oftmals mehr gegen, als mit seinem Herrn ausgeführt. - Die Nordsee-Segler sind an Holtenau insofern interessiert, als es das Ausfalltor ist für Ostseereisen und Kieler Wettfahrten. Gerade deswegen aber müßten dort mehr Liegeplätze für Jachten vorgesehen sein, denn die vorhandenen sind knapp und werden oft von Dienstfahrzeugen belegt. Am andern Ende, in Brunsbüttelkoog dagegen, soll in dieser Beziehung hervorragend gesorgt sein. Nun geht's nach Friedrichsort, der einstigen Festung, zugleich Standort der Matrosenartillerie und sehr beliebt bei früheren Seglern zum Abdienen ihres Jahres. Neben der Brücke wurden Torpedos eingeschossen. Kam ein Dampfer, so stoppte man, bis er festgemacht hatte. Dann erst flitzte der silberne Riesenflsch seinem Ziel zu, und die Pinnass hoppelte hinterher. Diese Begebenheit wurde von den Fahrgästen stets mit großem Interesse und unter Beifügung sachgemäßer Bemerkungen beobachtet. — Bei Friedrichsort ragt der bekannte Leuchtturm, der den Innenhafen begrenzt. „Ragt" ist nicht ganz zutreffend, denn für einen so wichtigen Leuchtturm ist er ungewöhnlich niedrig. Er bezeichnet das Ende der langen Sandbank, die den Kieler Hafen überhaupt erst zu einem Hafen macht, sonst wäre diese Förde eine offene und ungeschützte Bucht, wie die Travemünder oder Eckernförder. Durch diese lange Sandbank ist ein Naturhafen geschaffen von 4 sm Länge und ungewöhnlicher Tiefe, ohne die Gefahr, durch einen einströmenden größeren Fluß zu versanden. Er ist gegen alle Windrichtungen geschützt, nur bei dem selten wehenden Nordwind steht etwas Dünung herein. Soweit ich Häfen kenne, ist ihm nur derjenige von San Juan auf Porto Rico überlegen, er ist 8 sm lang und seine Einfahrt halb so schmal wie die Kieler. Eine einzige mit Steinen beladene Schute, dort versenkt, genügte, um jedem Feind die Einfahrt unmöglich zu machen. In Kiel brauchte man hierzu eine Minensperre. Weil man während der 4 Jahre des ersten Weltkrieges seglerisch völlig im Innenhafen eingesperrt war, benutzte man gern jede Gelegenheit, die Nase mal hinauszustecken, indem man mit jemand mitfuhr, der draußen dienstlich zu tun hatte. Schließlich kannte man jede Peilung wie ein Sperrlotse.
Dwars von hier nach Osten liegen die alten Fischerdörfer Heikendorf und Möltenort. In den zwanziger Jahren hatten eine Anzahl Rennsegler herausgefunden, daß man von dem kleinen Möltenorter Hafen aus viel schneller zum Start kam, als von drinnen, daß man dichtbei, wenn auch etwas primitiver, unterkommen konnte und — nicht zuletzt, daß man hier völlig ungeniert war. Es soll zu der Zeit sehr vergnügt zugegangen sein in Möltenort! Damen, einschließlich Gattinnen, waren ungern gesehn. Aber das war vielleicht nur Hafenklatsch!
Inzwischen haben sich die Kielbootsegler, besonders die Stare, hinübergezogen nach Strande, wo ebenfalls ein geschützter Hafen ist. Im Mitteilungsblatt des NRV wird eine Aeußerung der österreichischen Sportkameraden zitiert, die sagt, daß sie erst jetzt wirklich Freude an den Kieler Regatten hätten, seitdem sie sie verbinden könnten mit geruhsamem Strand- und Badeleben. Zum Besuch der Festlichkeiten in der Stadt ist eine Autobusverbindung eingerichtet, die vielen willkommen sein wird, auch wenn sie eigene Wagen mithaben. Aber solange Preisverteilungen noch nicht alkoholfrei vor sich gehn, Gott sei Dank!, läßt man heimzu lieber einen andern steuern.
Zum Schluß noch einmal zurück zum Ostufer, wo als äußerste Ortschaft das liebe alte Labö liegt. Es ist ein Ferienparadies für Fahrtensegler. Man liegt in geschütztem Hafen, wohnt und ißt an Bord billig wie zu Haus, kann bequem einkaufen, tagsüber segeln, während die Kleinen am Strand buddeln. Veranlaßt durch die heutigen schweren wirtschaftlichen Verhältnisse sind viele der früheren Rennsegler zu Fahrtenseglern geworden. Aber auch für die Fahrtensegler ist im Rahmen der Kieler Woche eine Gelegenheit zum Wettsegeln: Die Wettfahrt „Rund um Fehmarn". Kehren sie dann zurück, fleißig aufkreuzend gegen die kabbelige See der Howachter Bucht, so grüßt sie schon von weitem die hohe kühne Form des in aller Welt bekannten Marine-Ehrenmals. Das Mal, das 1936 nach siebenjähriger Bauzeit fertig geworden war, konnte nach Kriegsende nur nach langwierigen Verhandlungen vor der Sprengung bewahrt werden, wurde aber beschlagnahmt und ist erst jetzt freigegeben. Nunmehr wird es der „Marine-Bund" in Pflege nehmen und bleibt erhalten als ragendes Wahrzeichen der Kieler Förde.
Käthe Bruns
An dem kleinen Leuchtturm Friedrichsort, an der engsten Stelle zwischen Binnen- und Außenförde, müssen alle Jachten vorbei, die in die Förde einlaufen oder vom Olympiahafen zur Außenbahn hinsaussegeln.
Der Jachthafen Strande, der sich immer mehr zum Stützpunkt für die auf der Außenförde kämpfenden Kielboote entwickelt.