1909: Die Ostseereise auf der "Freia"
Unser Baas
Endlich war der sehnlichst erwartete 27. Juni 1908 gekommen, und am frühen Nachmittage warfen wir beim Einsetzen der Ebbe die „Freia" von der Boje los, um unsere dreiwöchige Ostseereise anzutreten. Die „Freia" ist eine 10 Segelmeter grosse stählerne Yawl, welche in Blumenthal unterhalb Vegesack, wo ihr Eigner seinen Wohnsitz hat, beheimatet ist. Unsere Crew bestand aus dem Eigner, welcher dementsprechend an Bord den Titel Baas führte, seinem jungen Freunde F., der ihn schon häufig auf seinen Segeltouren begleitet hatte, meiner Wenigkeit und Peip, der bezahlten Hand. Dieser Peip hatte eine siebenjährige Seefahrzeit hinter sich, war also „Fahrensmann", wie sich Seeleute nennen, und wir versprachen uns von ihm sehr viel, zumal er, wie er mir beim Anmustern mitgeteilt, sich auch schon als Smutje versucht hatte. Peip war schon vor zwei Tagen an Bord gegangen, um die „Freia" seeklar zu machen, d, h. um im Verein mit Freund F. die neuen Tourensegel unterzuschlagen, wie auch um den Proviant nach den ihm vom Baas mitgegebenen Anweisungen zu verstauen. Diese Tätigkeit schien ihm aber nicht zu liegen; denn wir hatten, als wir Sonnabend vormittags an Bord kamen, noch alle Hände voll zu tun, um das in der Kajüte herrschende Tohuwabohu einiger-massen aufzuklaren und die „Freia" etwas in Trimm zu bringen. Herzerfreuend war allerdings die Ruhe, mit der P. unserem Treiben zusah, und da diese Charaktereigenschaft bei einem Segler besonders schätzenswert ist, so taten wir nichts, um ihn aus seiner Gleichgewichtslage zu bringen. Als er dann, um seine freie Zeit nutzbringend zu verwenden, versuchte, sich mit den Eigentümlichkeiten und der Handhabung des Beibootes vertraut zu machen, versäumten wir nicht, ihn wegen seiner Erfolge zu beglückwünschen; war es ihm doch endlich gelungen, mit unserer Unterstützung die „Freia" wieder zu erreichen.
Gegen steifen NW ankreuzend, segelten wir die Weser abwärts, da der Wind aber allmählich abflaute und wir doch gegen den später einsetzenden Flutstrom nicht würden aufkreuzen können, ankerten wir gegen Abend bei Blexen, eben oberhalb Bremerhaven, zusammen mit einer Reihe von Küstenfahrern, welche wohl von denselben Erwägungen wie wir geleitet worden waren.
Während wir die Segel beschlugen und Deck aufklarten, verschwand P. in der Kombüse, und bald veranlasste auch uns ein von dort kommender äusserst angenehmer Geruch, die Kajüte aufzusuchen, wo uns P. mit Beefsteak und Spiegeleiern einen vollgültigen Beweis seiner Smutje-Tätigkeit und für die Wahrheit des Satzes produzierte, dass jeder Mensch brauchbar ist, wenn man ihm nur Gelegenheit gibt, sich nach seinen Neigungen zu betätigen. Die Peipsche lag offenbar nach der Kombüse hin. Nachdem wir noch durch einen recht nördlichen Grog den Schlusspunkt hinter unseren ersten Segeltag gesetzt hatten, gingen wir früh zur Koje, da wir mit Morgengrauen wieder unter Segel sein wollten. Ich hatte mir mein Lager in der Kajüte auf dem Backbord-Sofa zurecht gemacht, während Baas auf dem andren zu Anker ging. Das Lager war mollig, meine Stimmung angenehm, aber trotzdem konnte ich nicht gleich einschlafen. Ich beneidete meinen Gefährten, welcher seine ungeahnte musikalische Begabung durch ein Schnarchkonzert zum besten gab. In richtiger Reihenfolge kroch er mit seinen Lauten die Tonleiter hinauf, oben angekommen, überschlug er sich, gab seiner Freude, mit heilen Knochen unten angekommen zu sein, durch einen Triller kund und begann unentwegt seine melodiöse Turnübung von neuem. Zuerst freute ich mich darüber, dann philosophierte ich: daran musst du dich gewöhnen! und versuchte das Konzert zu überhören, überraschte mich aber immer wieder dabei, dass ich mit gewisser Genugtuung feststellte, dass meine Vorhersage, jetzt kommt der Triller, richtig war. Ich glaubte eben eingeschlafen zu sein, als wir von Baas durch den Ruf: „Rise, rise, hie Anker!'' geweckt wurden. Bald waren wir wieder unter Segel, der NW-Wind war aber so schwach, dass uns diese Tide nicht mal bis Bremen-Feuerschiff brachte, wo uns die einsetzende Flut zwang, zwischen den schwarzen Tonnen wieder zu Anker zu gehen. Nach eingenommenem Frühstück versuchte jeder, die spärliche Nachtruhe zu ergänzen; die etwas zulegende Brise und ein aufkommender Schwell brachte aber bald Bewegung in unser Fahrzeug, was Wunden dass es uns nicht lange in den Posen litt, und kaum versprach die etwas nachlassende Flut einigen Fortgang, als wir unseren Greifen aufholten.
Wenn auch langsam, wir kamen doch vorwärts, als wir aber nach Passieren von Bremen - Feuerschiff mit Kurs auf Nord-Scharhörn-Tonne die Schoten etwas schricken konnten und die Brise stetig zulegte, stürmte die „Freia" dahin, dass uns allen das Herz im Leibe lachte bis auf P., dessen Nasenspitze immer weisser wurde, bis er in der gröber werdenden See endlich seine Flagge strich und Kette stecken musste, was das Zeug halten wollte.
Wir erinnerten ihn an das bekannte Seemannsmittel, ein Stück fetten Speck, befestigt an einem Schiemannsgarn, wegzuschlucken und wieder heraufzuholen, aber P. winkte nur ab und blieb seiner Beschäftigung treu, bis sein Kettenkasten leer war.
Bald hatten wir die Ansegelungstonne der Elbe erreicht, und nun ging es mit rauschender Fahrt in die Elbe hinein. Der NW-Wind war allmählich auf Stärke 7—-8 angewachsen und hatte gegen die auslaufende Ebbe eine mächtige See aufgewühlt. Bis zum Elbe II-Feuerschiff hatten wir den Wind noch einen Strich ein, von da aber ging es ,,platt vorm Laken" und es bedurfte der angestrengtesten Aufmerksamkeit und einer sicheren Hand an der Pinne, um ein Uebergehen des Grosssegels zu verhindern. Ein Versuch, auch unseren Fahrensmann Ruderturn gehen zu lassen, musste leider als misslungen angesehen werden, da er entweder das Bestreben zeigte, mit Backstagsbrise über den Mittelgrund zu gehen, oder aber zu schiften, ein Versuch, der uns in Peips Ausführung wahrscheinlich den Mast gekostet haben würde.
Moens Klint (Insel Moen)
Nach Passieren von Elbe IV wurde der Grossbaum übergenommen, und da wir jetzt in ruhigeres Wasser kamen, wurde unser Smutje auch allmählich so weit wieder handig, dass er uns nach dem Passieren von Cuxhaven zu einer Toilette unseres inneren Menschen verhelfen konnte. Um 9 1/2 Uhr abends ankerten wir in der Kanalmündung, von wo uns ein Schlepper bald durch die Schleusenkammer nach dem Hafen verholte. Der Baas, durch seine häufigen Ostseereisen mit den notwendigen Förmlichkeiten vertraut, hatte dieselben bald in so zufrieden stellender Weise erfüllt, dass wir, obgleich der Hafen voller Fahrzeuge lag, die alle am nächsten Morgen geschleppt werden sollten, gleich mit dem ersten Schleppzuge um 5 1/2 Uhr am nächsten Morgen in Gang kamen. Wir hatten die Absicht gehabt, unseren Kompass, dessen Deviation dieses Jahr noch nicht festgestellt worden war, auf den östlichen Kursen hinter der Grünenthaler Hochbrücke zu kompensieren. Da wir aber neben einem grossen, eisernen Baggerprahm schleppten, mussten wir davon abstehen, benutzten dann aber, als es aufklarte, die Sonne, um unser Zeug und Decken sowie den Vorrat an Würsten, Schinken und Fleisch, die im Vorschiff aufbewahrt gewesen waren, zu trocknen. P. hatte nämlich im Drange der Geschäfte in Blumenthal vergessen, den neuen Mastkragen an Deck zu befestigen, und da die Schrauben für die dazu dienenden Messingstreifen von ihm an Land gelassen worden waren, konnte der Schaden nicht behoben werden. So hatte in der Aussenelbe, wenn die „Freia" bei dem hohen, auflaufenden Seegang ihren Bug in die See schob, manche Pütze Wasser ihren Weg in das Vorschiff und in den querab vom Mast befindlichen Kleiderschrank gefunden. Die Sonne vollführte das Geschäft des Trocknens bald in ausgiebigster Weise, das Deck, welches sehr dem Innern eines Trödlerbude glich, wurde bald wieder aufgeklart, und als bei Rendsburg unser eiserner Nachbar loswarf, wurden Peilscheibe und Azimuttafel hervorgeholt, die Uhr auf wahre Ortszeit gestellt und Sonnen-Azimute genommen. Obgleich wegen der grossen Höhe der Sonne diese Peilungen nur mühsam und auch nicht ganz einwandfrei gemacht werden konnten, gelang es uns doch, durch Verlegen der Magnete die auf Ostkurs beobachtete Ablenkung von 1 1/2 Strich Ost auf 1/4 Strich zu reduzieren.
Baas'n produziert sich
Bei dieser Gelegenheit möchte ich nicht unterlassen, auf die Wichtigkeit einer guten Deviationsbestimmung des Kompasses einer eisernen oder stählernen Yacht hinzuweisen. Kompass und Logge sind neben der Seekarte die einzigen Hülfsmittel, die der Segler bei Ausübung seines Sportes zur Verfügung hat. Was nützt ihm die neueste Karte, das beste Patentlogg und der vorzüglichste Fluidkompass, wenn die Kurse, die er steuert, die Peilungen, welche er nimmt, durch fehlerhafte Deviation gefälscht ist. Wegen der grossen Nähe der Eisenmassen beim Kompass erreicht die Deviation beträchtliche Werte. In der Regel findet man für im Cockpit aufgestellte Steuerkompasse auf Nord- oder Südkurs gar keine, auf Ost- oder Westkurs die grösste Ablenkung der Kompassnadel, und zwar auf Ostkurs westliche, auf Westkurs östliche Ablenkung. Die Erklärung hierfür ist einfach: in dem nahe liegenden massiven eisernen oder stählernen Achtersteven und Ruder wird durch den Erdmagnetismus unten ein Nordpol, oben aber ein Südpol induziert. Liegt das Schiff Ostkurs an, so liegt dieser Südpol links von der Kompassnadel, er zieht den Nadel auch nach links, also nach Westen, die Ablenkung ist westlich; auf Westkurs ist es gerade umgekehrt, der Südpol liegt rechts von der Kompassnadel, der Nordpol der Nadel wird nach Osten abgelenkt, es ist östliche Ablenkung vorhanden. Auf Nord- oder Südkurs liegt dieser Pol aber gerade hinter resp. vor der Kompassnadel und kann daher keine Ablenkung hervorrufen. Es sind also die östlichen und westlichen Kurse diejenigen, welche durch diese Ablenkung besonders stark gefälscht werden. Dass an Bord der „Freia" auf Ostkurs östliche Ablenkung gefunden wurde, erklärt sich durch den grossen eisernen Decksaufbau mit eisernen Kajütstüren, der sich vor dem Kompass befand.
Roter Sand-Leuchtturm
Abends um 6 Uhr kamen wir in Holtenau an und gingen in dem Aussenhafen zu Anker. Von Kiel aus wollte ein anderer Bremer Herr sich für 8—10 Tage an unserer Tour beteiligen. In Brunsbüttel hatte der Baas ihm unsere voraussichtliche Ankunft in Holtenau telegraphisch mitgeteilt, aber niemand liess sich blicken. Darauf hin fuhren F. und P. mit dem Dampfer nach Kiel, um sich die ihnen noch nicht bekannte Kieler Föhrde, sowie die zur Kieler Woche versammelten Schlachtschiffe und Yachten anzusehen. Um 10 Uhr fuhren Baas und meine Wenigkeit im Beiboot an Land, um bei einem Glase Bier Ansichtskarten vom Stapel zu lassen, wie auch, wie verabredet, unsere beiden Jünger an Bord zu holen. Eben hatten wir uns mit einer schäumenden Würzburger vertäut, als die grossartige Illumination der Flotte begann und uns bis zum Schlüsse gefangen hielt. Vergeblich warteten wir auf unsere Leute. Als sich um 12 Uhr immer noch nichts blicken liess, bestiegen wir unser Beiboot, alle möglichen Segenswünsche auf Herz und Lippen für diejenigen, für die sie gemeint waren. Mit dem beabsichtigten Wegsegeln am frühen Morgen war es also nichts. Gross war aber unsere Ueberraschung und schnell waren wir besänftigt, als wir an Bord im Cockpit einen Reisekoffer, fürsorglich eingehüllt in eine entliehene alte Persenning und an der Kajütstüre einen Zettel fanden, dessen Inschrift uns zu wissen tat, dass unser Bremer Chumy M. uns an Bord vergeblich erwartet habe, und er sich daher am nächsten Morgen um 7 Uhr an Bord einfinden würde.
Am Dienstagmorgen kamen alle drei Ersehnten zusammen auch richtig an Bord. Die Erlebnisse von F. und P. waren bald erzählt. Die Reize der Kieler Föhrde, der Flottenbeleuchtung etc. etc. hatten es ihnen angetan, und dass sie nicht an Bord gekommen waren, war lediglich, wie beide mit treuherzigem Augenaufschlag versicherten, die Schuld des Hafendampfers, der sie an entlegenem Gestade gelandet hatte. Nicht so einfach war die Sache mit M.'s Abreise von Bremen, Eintreffen in Kiel, Hafenbesichtigung etc. etc., Jagd nach der „Freia" mit Hilfe von angeheuerten Ortskundigen, Chartern einer Barkasse zu gleichem Zwecke, Hinterlegung des Koffers; unverhofftes Zusammentreffen mit den Leidensgefährten im Hotel waren Momente, die er uns noch lange nachher in recht lebhafter, origineller Art und Weise zu schildern verstand, was manchmal ihm selbst so romanhaft klang, dass er seine Schilderung hin und wieder durch ein eingeschobenes „ja, es ist wahr!" glaubte bekräftigen zu müssen. Selbstverständlich war alles wahr, wer hätte wohl daran gezweifelt? — Schnell wurden Segel gesetzt und hinaus ging's in die Ostsee. Leider war unsere Freude bei Bülk- Feuerschiff schon zu Ende. Die bis dahin flaue südliche Brise war nach Osten umgesprungen, und so gaben wir unsren Plan, unsere Reise ostwärts segelnd zu beginnen, auf und setzten unsren Kurs auf Marstal, um von dort nach Svendburg zu versegeln. Mit diesem Platz verbindet mich die Erinnerung an einen besonders würdigen Vertreter. Vor 3 Jahren hatten wir im Svendburg-Sund bei einer Biegung des Fahrwassers unsren Kahn aufgebrummt und sollten dann durch den ausgebrachten Anker einen Pricken umgerissen und einen andren verschoben haben. Der würdige Polizeimeister von Svendburg zitierte uns vor seinen Richterstuhl, las uns in mangelhaftem Englisch den Gesetzesparagraphen vor, der von der Beschädigung der Seezeichen handelt, wobei er wohl versehentlich das Wort „vorsätzlich" wegliess, machte uns mit besonders stark gerunzelter Stirn auf das Höchstmass der Strafe aufmerksam und beschloss seine Rede mit einem Strafmandat von 1 Pfd. Sterling, die Höhe der Strafe nachträglich damit begründend, dass die paar Mark bei uns ja keine Rolle spielten. Eine Bezahlung unter Protest, sowie das Ausstellen einer Quittung lehnte er ab, weil er schon Schreiberei genug davon gehabt habe. Um der Sache ein Ende zu machen und um wegzukommen, bezahlten wir nach längerem Palawer, konnten es uns aber nicht verkneifen, zwischen Tür und Angel uns bei dem jetzt recht freundlichen Herrn nach der Adresse des deutschen Konsulats zu erkundigen, die ihm aber, wie vorauszusehen war, leider unbekannt war.
Allmählich schlief die Brise ganz ein, ein schöner Anfang, wie sollten wir so mit unserer grossen Tour zu Ende kommen!- Nachdem uns Freund M. mit seinen Döntjes genugsam unterhalten hatte, entpuppte er sich auch als unterstützende Kraft; denn er bestand darauf, beim Deckwaschen „das Wasser zu streuen", wie er es nannte. Da dieses Job an Bord immer vom Bootsmann ausgeübt wird, und er in der Geschicklichkeit jeden, der in seine Nähe kam, unabsichtlich auch mit Wasser zu bestreuen, ungeahnte Höhe erreichte, so wurde ihm zu seinem grossen Ergötzen der Titel „Bos'n" verliehen. Mit Essen, Trinken, Rauchen und Baden verging der Tag und die Sonne wollte schon zur Rüste gehen, als sich eine leichte Kühlte erhob und uns nach Marstal hinschob. Jedoch liefen wir weniger als uns lieb war, und so war es so dunkel geworden, als wir vor Marstal ankamen, dass wir die östliche Einfahrt ins Fahrwasser nicht finden konnten und dann in der westlichen so wenig Wasser antrafen, dass wir die „Freia" mit dem roten Ansegelungspricken an Steuerbord sanft auf Grund schoben. Mit geringer Mühe wurde der Kutter wieder ab- und in tieferem Wasser
Anschlagen des Kreuz-Obermars-Segels
zu Anker gebracht. Inzwischen hatte die Dunkelheit einer überraschenden Lichterscheinung Platz gemacht. Ein rotgoldener Lichtstreifen von etwa 25 Grad Breite erstreckte sich über den nördlichen Horizont, nach oben zu wurde die Färbung des Streifens gelblich und ging schliesslich ins grünlich-blaue über, während sich nach Westen blaugrüne Streifen in den dunklen Himmel ergossen. Die ganze Erscheinung war durchsetzt von einzelnen zarten, farbigen Federwolken und bot einen Anblik von solch zauberhafter Schönheit, dass wir die Nacht, in Betrachtung versunken, im Cockpit zubrachten. Das Phänomen erinnerte etwas an die Dämmerungserscheinungen vom Jahre 1883, die auf die Vulkanausbrüche des Krakatana in der Sundastrasse zurückzuführen waren. Vielleicht auch hing das Farbenspiel, wie bei den Nordlicht - Erscheinungen, mit grossen Veränderungen auf der Sonnenoberfläche zusammen, durch die in der Erd-Atmosphäre elektrische Entladungen hervorgerufen werden.
Mit Sonnenaufgang setzten wir Segel. Da wir es bei der leichten westlichen Brise nicht für geraten hielten, mit 2 Meter Tiefgang das enge Fahrwasser nach Marstal einzukreuzen, legten wir kurz entschlossen das Ruder den anderen Weg, um durch den grossen Belt und Smallands Fahrwasser nach Möen zu segeln. Dieser Mittwoch glich dem verflossenen Dienstag wie ein Ei dem andern. Die leichte Brise schlief bald ein und nur ein stark mitsetzender Strom verschaffte uns im Belt einigen Fortgang. Eine allgemeine Wurstigkeit hatte sich bei der grossen Hitze unserer bemächtigt. Der einzige, dem dieselbe noch Spass machte und der sie schön fand, war Bos'n. Er pflegte mit aufgerollten Hemdsärmeln und offenem Hemd sich in der Sonne breit zu machen, um sich bräunen zu lassen. Auf unsere Vorstellungen hin verhüllte er wohl keusch Busen und Arme, aber immer nur für kurze Zeit. Er fand es eben schön und wurde erst eines besseren belehrt, als er nach einigen Tagen aus seiner Haut fahren konnte.
Einige Abwechslung brachte die Mittagsmahlzeit. Baas hatte von einem Fischer ein Gericht Butt erstanden, deren Zubereitung er selbst in die Hand nahm und zu einem solchen vorzüglichen Ende führte, dass er sich unsern ungeteilten Beifall erwarb.
Nach Sonnenuntergang bekamen wir doch noch die so sehnlichst erwünschte Brise, welche schnell auffrischte, und wir setzten, nachdem Ouse Wiek-Tonne passiert war, unsern Kurs gut klar nördlich von Vejrö. Mit ausgebaumtem Ballonklüver als Spinnaker ging es vor dem Winde mit 7 Knoten Fahrt vorwärts. Das in unserer älteren Karte als rot angegebene Feuer von Vejrö sollte schon in Sicht sein, aber nichts war zu sehen, als einige weisse Lichter an Backbord, die wahrscheinlich mehreren Fischerfahrzeugen angehörten, von denen einige in Sicht waren. Omöfeuer war in der etwas diesigen Luft noch eben zu sehen, aber wo war Vejrö? — Ganz in Ordnung schien die Sache nicht zu sein. Der Kurs wurde nachgeprüft und richtig befunden; aber noch hatten wir unsern Entschluss, das Lot zu werfen, nicht ausgeführt, als „Freia" nach einigen gewaltigen Stössen und Sätzen plötzlich zum Stillstand kam. So kritisch unsere Situation auch war, ich konnte es mir doch nicht versagen, unsern Baas zu bewundern. Mit affenartiger Geschwindigkeit war er am Ruder; dann aber kamen seine Orders mit einer Ruhe und Gelassenheit, als wenn es sich um die alltäglichste Geschichte handelte, und der Zigarrenstummel glimmte genau so friedlich weiter wie vorher. Schnell wurden Gaffeltopsegel und Spinnaker weggenommen und der Kutter an den Wind gelegt. Noch einige Male setzte er hart auf, dann hatten wir freies Wasser. Nachdem wir uns durch Peilen der Büschen davon überzeugt hatten, dass wir noch mit dem blauen Auge davongekommen waren, gingen wir in 5 m Wasser zu Anker. Wo waren wir eigentlich? — Eine Peilung von Omö Feuer konnte nicht mehr genommen werden, denn es war inzwischen ganz unsichtig geworden. Nach dem alten Sprichwort verfuhren auch wir. Erst jetzt sahen wir im Feuerbuch und Segelanweisung nach und stellten fest, dass Vejrö nicht rot, wie auf unserer Karte angegeben, sondern weiss zeigt. Die Besteckversetzung klärte auch unsere Kompasslaterne auf. Wir hatten dazu eine Acetylenlaterne benutzt, welche angeblich aus Messing sein sollte, sich aber teilweise aus vernickeltem Eisenblech erwies. Da sie an der Hinterseite des Kompasshauses angebracht war, hatte sie auf dem östlichen Kurs, welchen wir steuerten, eine östliche Ablenkung hervorgerufen, so dass wir südlicher hingingen als wir beabsichtigten. Wir hätten also statt an Steuerbord voraus nach einem roten Feuer Ausguck zu halten, 2—3 Strich an Backbord nach einem Licht aussehen müssen und würden dann vielleicht auch zwischen den weissen Fischerlichtern Vejrö-Feuer gesichtet haben.
Donnerstag Morgen war das Wetter wenig einladend, Nebel und Regen erfreuten uns abwechselnd, so dass wir erst nach Frühstück unter Segel gehen konnten. Vor dem Winde kreuzend, um nicht die steife Brise und die schnell aufkommende See direkt von hinten zu haben, legten wir die Strecke bis Masnedö zurück und passierten dann, vom prächtigsten Wetter begleitet, den herrlichen Storström und Grönsund. Um unserer nautischen Reputation, die durch unser Kombüsen-Besteck vor Vejrö etwas gelitten hatte, wieder auf die Beine zu helfen und um Umweg zu sparen, wählten wir zur Ausfahrt in die Ostsee das nördliche Fahrwasser „Möens Tief".
Anschlagen des Kreuzstengestagsegels
Sieben Knoten Fahrt, zwei Meter Tiefgang und die geringe Breite des gewundenen, nur von 2 Tonnen gekennzeichneten Fahrwassers machten das Manöver nicht gerade zu einer Spielerei, aber hierin lag ja gerade der Reiz. Unter andauerndem Loten und mit Baas an der Pinne gelang uns glatt die Ausfahrt. Die frische Brise förderte unsern Fortgang so, dass wir schon am frühen Nachmittage in Klintholm Hafen ankamen. Bos'n lebt auf! — Während wir die „Freia" vertäuten, hatte Bos'n auf dem Achterdeck gesessen und mit langgestielten Augen nach einem nahe liegenden Steinfischer hinüber gestarrt, auf dessen Deck an einer Zeugleine mehrere weibliche Bekleidungsstücke zum Trocknen hingen. Als nun die Besitzerin derselben in Gestalt einer ziemlich korpulenten Dame an Deck erschien, war Bos'n nicht mehr zu halten. Mit dem Rufe: „Kinder, ein Weib, seit drei Tagen das erste Weib!" stürmte er in die Kajüte, den armen verdutzten Peip, der sich nicht schnell genug aus den Kinken bergen konnte, über den Haufen rennend, erschien mit der grössten Kamera bewaffnet wieder an Deck und ruhte nicht eher, bis er besagte Dame, ihren glücklichen Besitzer mit Kind und Kanarienvogel traulich vereint auf der Platte hatte. Nach dem Abendbrot machten wir noch einen kleinen Spaziergang nach dem nahegelegenen Dorf, war es doch seit Kiel das erstemal, dass wir ein Bein an den Grund bekamen, um mit vom Ansichtskartenschreiben wunden Fingern an Bord zurückzukehren.
Der Freitag war der Besichtigung von Möens Klint gewidmet. Schon am frühen Morgen machten wir uns auf die Beine. Ist auch der erste Teil des Weges, welcher auf staubiger Landstrasse dahin-führt, wenig erbaulich, so wurden wir doch reichlich entschädigt, als uns nach etwa einstündiger Wanderung der herrliche Buchenwald aufnahm. Bald gelangten wir auch zu den Kreidefelsen, welche in den zerrissensten Formationen, teils kahl, teils bewaldet, steil zur Ostsee hinabfallen. Der grüne Wald, die weissen Felsen, tief unten zu den Füssen die blaue See, dazu strahlender Sonnenschein und über dem Ganzen eine erhabene Ruhe, nur unterbrochen durch das Rauschen der Bäume und das leise Plätschern, der Wellen unten am Strande, nahmen uns das Herz gefangen, so dass wir uns ins grüne Moos warfen und still diesen herrlichen Fleck Erde bewunderten. Was ist Rügen gegen Möen! — Wohl ist der Wald hier wie dort, aber die Kreidefelsen auf Möen sind viel romantischer, und vor allen Dingen fehlt hier wegen des Mangels jeglicher Verbindung der Touristenverkehr, welcher auf Stubbenkammer jeden vollen Genuss zur Unmöglichkeit macht. Nachdem wir unserm inneren Menschen in dem im Walde befindlichen kleinen Restaurant sein Recht hatten zuteil werden lassen, streuten wir wieder am Strande, in den Felsen und im Walde herum, bis uns die hereinbrechende Nacht zur Heimkehr zwang.
Wer immer die westliche Ostsee besegelt, sollte nicht versäumen, Möens Klint einen Besuch abzustatten und wenn angängig, mehrere Tage dafür opfern. Klintholm Hafen ist für Fahrzeuge bis 2 Meter Tiefgang ein guter Liegeplatz. Aber auch derjenige, dem es gänzlich an Zeit gebricht, kann, wenn Wind und Wetter es gestatten, von See aus den Felsen einen Besuch machen, da eine Treppe den Zugang zum Strande und eine Anlegebrücke das Landen mit Booten ermöglicht. Der Sonnabend fand uns schon früh auf den Beinen. Nachdem wir die „Freia" mit dem Beiboot als Vorspann aus dem Hafen gebracht hatten, schob uns ein leiser Zug, zu dessen Wertschätzung wir erst dadurch kamen, dass er hin und wieder streikte, bis zu den Kreidefelsen, um uns dort gänzlich zu verlassen. Wir benutzten die Gelegenheit, um uns noch einmal ordentlich die Augen zu verklaren und um die herrliche Szenerie auf die Platte zu bekommen.
Jedes Ding hat ein Ende, diese Flaute hatte aber scheinbar keins. Alles Flöten und Kratzen an der Achterkante des Mastes war vergeblich. Ein Motorfischer, den wir anpreiten, konnte uns wohl zu einem Gericht Butt, aber zu keinem Schlepp verhelfen, da sein Kurs in die Faxebucht führte, während wir nach Kopenhagen wollten. Endlich gegen Abend kam ein leiser Zug auf, der uns bis in Sicht des Drogden Feuerschiffs schob, um uns dann wieder schmählich im Stich zu lassen. Was wollten wir noch lange herumtreiben, spät genug war es so wie so, also weg mit dem Schlickhaken und Ankerwache aufgesetzt.
Bekanntlich ist Jan Maat, wenn er halb ausgeschlafen aus der warmen Koje ans kalte Deck kommt, der missmutigste, brummigste und unzufriedenste Mensch von der Welt. Wir konnten das mitempfinden, als wir nach kurzer Rast durch eine steife nördliche Brise, gewürzt durch starken Regen, gezwungen wurden, Anker auf und unter Segel zu gehen. In der schnell aufkommenden krappen See ging „Freia" bös zu kehr, und da wir Schlag auf Schlag kreuzen mussten, so war trotz der recht empfindlichen Kühle nicht eher an Frühstück zu denken, als bis wir durch die Lynetten Kopenhagen erreicht hatten, wo wir „Freia" vor dem Yachthafen zu Anker brachten.
Sonntag und Montag wurden der Besichtigung der Sehenswürdigkeiten Kopenhagens gewidmet. Das prachtvoll eingerichtete Clubhaus des königl. dänischen Yachtclubs an der langen Linie, die Friedrichskirche, das Thorwaldsen-Museum, Rosenborgs Schloss, die Amalienborg mit der historischen Wachtparade, der runde Turm, das neue Rathaus und last but not least das Vergnügen-Sammelsurium Tivoli sind zu bekannt, um hier näher beschrieben zu werden. Da ein grösseres Segelschiff, eine Viermast-Bark, deren Kapitän mir befreundet war, sich im Hafen befand, so benutzte ich die Gelegenheit, ihn zu begrüssen und liebe Erinnerungen wieder aufzufrischen. An Bord herrschte rege Tätigkeit. Aussenbords waren drei Mann im Scheuerprahm mit dem Ausbessern der Farbe beschäftigt. Auf dem Achterdeck wurde die Dampfwinsch sauber gemacht, mittschiffs feierten Besen und Schrubber, unterstützt von einer Sündflut von Wasser, ihre Orgien, während oben im Kreuztop Segel angeschlagen wurden. Ich konnte es mir nicht versagen, mit meiner Kamera bewaffnet, in die Mars des Grosstops zu entern, um das Bild auf die Platte zu bekommen.
Deckwaschen
Montag nachmittag gegen 5 Uhr gingen wir wieder mit voller Mannschaft unter Segel. Bos'n, den die Reize Kopenhagens zu dem Entschluss veranlasst hatten, abzumustern, um dann auf eigene Faust Entdeckungsreisen antreten zu können, hatte sich schliesslich eines besseren besonnen und sich zur Abfahrt wieder an Bord eingefunden; versprach auch er sich doch sehr viel von den Naturschönheiten Bornholms, unseres nächsten Reiseziels. Eine steife, nordwestliche Brise liess die „Freia" mit 8 Knoten dahinstürmen. In den Drogden hatten wir einen Anblick, der jedes Auge erfreuen musste. Ueber ein Dutzend Segler hatten sich hier Rendezvous gegeben; Vollschiffe, Barken, Schoner, sogar eine Brigg, alle unter vollem Zeug, vereinigten sich zu einem Bilde, so dass man sich um 30 Jahre in die Blütezeit der Segelschiffahrt zurückversetzt glauben konnte. Erwies sich auch die milchweise Farbe jener Bark beim Näherkommen als recht schmutzig und von zahlreichen Rostflecken durchsetzt, während die breiten Nähte der Aussenhaut, wie die Runzeln in einem Gesicht, auf das hohe Alter des Fahrzeuges schliessen liessen, zeigten sich auch bei näherer Betrachtung die Segel jener Brigg, deren Leesegel unsere Begeisterung entflammt hatten, als ein Haufen von schlecht stehenden, arg geflickten und nicht ordentlich vorgeschoteter Lappen, so vereinigten sich doch alle Fahrzeuge zu einem Bilde, welches Herz und Auge entzücken musste. War es Wunder, dass wir uns krampfhaft bemühten, alle die schönen Bilder, welche sich uns boten, auf die Platte zu bannen. In allen möglichen Körperverrenkungen wurde versucht, unsere Kameras in Funktion zu bringen und Baas an der Pinne hatte genug zu tun, um unsern Wünschen: luv, stütze, abfallen, zu entsprechen. Leider erwies sich später, dass das Resultat unseres Feldzuges ein recht bescheidenes war. Teilweise war das Bild wegen der stark rollenden „Freia" verwackelt, oder wir hatten wegen plötzlichen Gierens nur das halbe Schiff, dafür aber viel Wasser oder unser halbes Grosssegel aufgenommen. Auch war es uns im Eifer des Gefechts gelungen, zwei Bilder auf eine Platte zu bekommen.
Mit fliegender Fahrt rundeten wir Falsterbo Riff. Wir hatten zuerst die Absicht gehabt, Seewache zu gehen, um nach Bornholm die Nacht durchzusegeln; aber das schmierige Aussehen des Himmels und die stetig zulegende Brise liess uns das nicht geraten erscheinen, und so setzten wir unsern Kurs von dort auf Trelleborg, das wir gegen Einbruch der Dunkelheit erreichten.
Vom Hafenmeister in Trelleborg auf das Gartenkonzert im Stadthotel aufmerksam gemacht, beschlossen wir nach geringer Toilette, uns diesen Genuss teilhaftig werden zu lassen. Wir waren aber sehr enttäuscht, als wir in dem ziemlich kümmerlichen Garten eine gleichartige Musik dem wenig zahlreichen Publikum verzapfen hörten und sich die weiblichen Ganymeds weigerten, uns ausser einem Glase Bier irgend welche Atzung zu verabreichen. Selbst die von Bos'n in doppelter Grösse künstlerisch ausgeführte Skizze einer Schüssel Erdbeeren, einer Kanne Milch und einer Schüssel mit Braten vermochte ihnen das Verständnis für unsere Bedürfnisse nicht zu erwecken. Sei es, weil wir uns nicht mit Lackstiefeln und Mehlspeise angetan hatten, sei es, dass einige im Hintergrund befindliche Verehrer der bedienenden Grazien Bos'ns Konkurrenz fürchteten, genug, wir wurden schmählich geschnitten und räumten deshalb das Feld, um an Bord unserm knurrenden Magen Befriedigung zu gewähren.
Am nächsten Morgen wurden wir von Bos'n, den seine gestrigen negativen Erfolge vermutlich nicht hatten schlafen fassen, mit Indianergeheul geweckt. Ihn sehnte nach einem andern Schauplatz seiner Tätigkeit. Leider war an Ausfahrt nicht zu denken; denn es wehte NW-Sturm und draussen stand eine recht hohe See. Als es aber im Laufe des Vormittags etwas handiger wurde, schalkten wir unser Beiboot, refften Grosssegel und gingen gegen den Rat mehrerer Küstenfahrer, die sich noch nicht hinausgetrauten, in See.
Man begegnet sehr häufig in Seglerkreisen der Ansicht, dass man beim Lenzen in schwerem Seegang möglichst viel Segel fahren muss, um der auflaufenden See wegzulaufen und um so zu vermeiden, dass man Brecher an Deck bekommt. Diese Ansicht ist eine sehr irrige aus mehreren Gründen. Wenn das Schiff vor dem Winde segelt, so wird der Bug in die See gedrückt, das Heck gehoben, das Schiff steuert also schlecht, und zwar umso schlechter, je mehr Segel man führt. Ist Seegang vorhanden, so rollt das Schiff sehr stark, es erleidet also abwechselnd der Backbord- wie der Steuerbord-Bug grosse Widerstände, der Bug wird dementsprechend bald nach Steuerbord, bald nach Backbord aus-scheeren, so dass Gefahr vorliegt, dwars See zu kommen, und umsomehr, je grösser der Widerstand, d. h. die Fahrt ist.
Reinigen der Winsch
Dieses Ausscheeren kann man nicht unmittelbar durch das Ruder verhindern; denn zur selben Zeit, wann der Bug sich in der See vergräbt, wird die Fahrt gestoppt, das Heck gehoben und das Ruder verliert seine Steuerkraft. Anderseits erzeugt das Schiff, wenn es viel Fahrt läuft, eine Heckwelle, die mit der auflaufenden See von Zeit zu Zeit zusammenfällt und so die besonders hohen Brecher erzeugt. Durch diese wird das Heck noch mehr gehoben, während sich der Bug in die See schieben muss. Infolge seines eigenen grossen Moments kann das Fahrzeug der hebenden Kraft des Wassers nicht gleich Folge leisten und die See bricht an Deck. Was nun das Weglaufen vor der See anbelangt, so ist dies ausgeschlossen. Die Geschwindigkeit der Wellen ist immer eine so grosse, dass ein paar Meilen mehr oder weniger Fahrt ganz und gar nichts ausmachen; sind doch Wellengeschwindigkeiten von 50 und mehr Seemeilen beobachtet worden. Aus allem erhellt, dass man beim Lenzen in schwerem Seegange ein um so handigeres Schiff hat, je weniger Fahrt man läuft, und jedes frei im Wasser treibende Stück Holz bestätigt diese Erfahrung.
Nachdem wir die Molen verlassen hatten, wurden wir erst gewahr, wie stark der Wind war und welcher Seegang draussen stand; aber umkehren und womöglich den ganzen Tag in dem öden Trelleborg versauern, daran war nicht zu denken. Je weiter wir von Land kamen, desto schwerer wurde die See. Jeder Kamm brach sich, und wenn uns der Brecher passierte, war „Freya" umgeben von einer weissen, schäumenden Masse, welche der Wind mit Pfeifen und Heulen vor uns hertrieb. So schwer Wind und Seegang auch war, „Freia" machte gutes Wetter daraus. Regelmässig wie das Ticken einer Uhr nahm sie die See, und wenn wir auch, auf dem Kamm derselben angelangt, Schaum und Spritzer genug an Deck bekamen, so nahmen wir doch keinen einzigen Brecher über. Auch unser Beiboot betrug sich vorzüglich. Wir hatten die Fangleine ebenso lang wie die Wellenlänge genommen, so dass die Bewegung des Wassers sich auf Mutter und Tochter gleichzeitig übertrug. So kam nicht allzuviel Lose in die Leine und wir brauchten nicht zu befürchten, dass die Trosse abgerissen oder dass das Boot uns aufs Heck geworfen würde. Zuerst hatten wir beabsichtigt, in der Nähe des Hecks zwei Oelbeutel auszuhängen, unterliessen es aber, da auch so keine Brecher an Deck kamen. Im Laufe des Nachmittages Hessen Wind und See immer mehr nach, so dass wir, als die weissen Köpfe verschwanden, noch volles Zeug setzen konnten und vor Einbruch der Dunkelheit Rönne auf Bornholm erreichten.
Der Mittwoch wurde uns buchstäblich zu Wasser, es goss in Strömen, so dass wir an den beabsichtigten Landausflug per Wagen nicht denken konnten. Als es gegen Nachmittag besser wurde, waren keine Wagen mehr zu erhalten, da sie sämtlich von Passagieren eines Touristendampfers in Anspruch genommen worden waren. Gern wären wir noch nach Hammerhus oder Allinge gesegelt, aber da schon über die Hälfte unseres Urlaubes verstrichen war, mussten wir ernstlich an unsere Heimreise denken. Als daher gegen Abend eine leichte Brise aufsprang, gingen wir wieder in See mit dem Kurs auf Sassnitz.
Die ganze Nacht und den folgenden Tag trieben wir in Flaute, nur hin und wieder von einem leisen Zuge begünstigt, so dass wir froh waren, als wir endlich gegen Abend Sassnitz erreichten. Hier nahm Bos'n endgültig Abschied von der „Freia" und siedelte in ein Hotel über. Am Freitag morgen besuchten wir noch gemeinsam Stubbenkammer, konnten aber Bos'n nicht dazu bewegen, mit uns noch nach Binz hinüberzufahren, der Zug nach Berlin musste benutzt werden. Ein Händedruck, ein Tücherschwenken, und bald verloren wir den Gefährten aus den Augen, welcher uns durch seine drolligen Spässe und Schnurren manche Stunde erheitert hatte. Den beabsichtigten Abstecher von Binz nach Granitz schoben wir auf; denn es war inzwischen eine prächtige Ostsüdost-Brise aufgekommen, welche wir zur Reise nach Warnemünde nicht unbenutzt lassen konnten, hatte uns doch die gestrige Reise alle Lust an Flautentreiberei verdorben.
In den Drogden - Barkentine, Dreimast-Gaffelschoner + Bark
Schnell waren wir wieder im Gange und passierten bei Arkona die auf der Wettfahrt von Warnemünde nach Sassnitz begriffenen Yachten unter Führung von „Comet" und „Armgard". Lange sollte aber unser günstiger Wind nicht anhalten. Wir hatten Dornbusch noch nicht dwars, als er nach Westen ausschoss, kurz darauf mit starkem Regen nach SW krimpte und immer mehr an Stärke zunahm, so dass wir Gaffeltopsegel bergen und die Schoten dicht holen mussten. Allmählich wurde es doch recht unangenehm. Es regnete, was vom Himmel herunter wollte, so dass wir trotz Oelzeug bald ziemlich eingeweicht waren, von Landfeuern war nichts mehr zu sehen und an Schlaf für die Wache zur Koje nicht zu denken. Der Wind heulte bös in der Takelung und das donnernde Geräusch des vom Buge gepeitschten Wassers, welches von Zeit zu Zeit über das Vorschiff brach, brachte noch einen besonders markanten Ton in das Geräusch des musizierenden Tauwerks. Unter dem gewaltigen Druck des vollen Grosssegels mit der Leereeling unter Wasser stürmte „Freia1* dahin, aber leider wurde unser Fortgang recht bald bedenklich gehemmt. In allen unsern Flautentreibereien war unser Beiboot geschalkt gewesen, jetzt, wo es nötig gewesen wäre, war es natürlich unterblieben, und die Folge war, dass es in der wilden Fahrt in kurzer Zeit vollschlug. Ein Versuch, es an Deck zu setzen, musste als aussichtslos aufgegeben werden, und es blieb uns nichts übrig, als das volle Beiboot hinter uns her zu -schleppen. Natürlich war es mit unserer Fahrt nun vorbei, wir waren aber recht angenehm überrascht, als wir, als es gegen 8 Uhr morgens endlich im Westen aufklarte, die Küste von Falster sichteten. Wir waren also unserm Besteck weit voraus und mussten trotz des vollen Beibootes in dem groben Seegang gegen 4 Knoten gelaufen haben. Leider flaute der Wind bald so stark ab, dass wir über den andern Bug nur wenig Fahrt machten; erst gegen Mittag wurde der Wind etwas frischer, so dass wir, durch das inzwischen gelenzte Beiboot nicht mehr gehindert, am frühen Nachmittag bei herrlichem Wetter in Warnemünde einliefen, wo uns ein Herr erwartete, der die Heimreise mitmachen wollte. Nachdem Kleider und Kojenzeug, die von der Feuchtigkeit der letzten Nacht ihr gutes Teil abbekommen hatten, zum Trocknen an Deck geholt worden waren, nahmen wir an Land ein lukullisches Mahl ein und machten, um auch dem Auge zu seinem Recht zu verhelfen, einen ausgedehnten Spaziergang auf die Mole und zum Strande. Alle Reize des Badelebens aber vermochten nicht, uns von einem frühen Zurkojegehen abzuhalten, und der Sonntag-Morgen war schon ziemlich weit vorgeschritten, als es an Bord der „Freia" wieder lebendig wurde. Nach einem stärkenden Bade und nach Verklarung von Auge und Ohr beim Frühkonzert in den Strandanlagen gingen wir gegen Mittag wieder unter Segel.
Vor dem Winde
Eine frische östliche Brise versprach eine schnelle Reise nach Travemünde. Leider erfüllte sie nur kurze Zeit unsere Erwartungen; denn allmählich schlief sie ganz ein, und so wurde es gegen Abend, als wir die Wismar-Bucht passierten. Dafür wurden wir durch eine grossartige Naturerscheinung entschädigt. Der Himmel hatte nach und nach eine blutigrote Färbung angenommen, welche allmählich in orange und dann in schwelelgelb überging. Dabei sah man viele Blitze von zartvioletter Farbe, welche wohl ohne Bedeutung gewesen wären, wenn sie nicht unterstützt worden wären durch eine dicke, schwarze Masse von Wolken, welche sich im SW über den Horizont erhob. Hin und wieder sah man in weiten Zwischenräumen grünes Feuer in der See, als ob der Schein einer farbigen Laterne auf das Wasser fiele. Es war ersichtlich, dass ein ausserordentlich schweres Gewitter im Anzüge war und dass ein Umschwung in der Totenstille ganz plötzlich eintreten würde. Um dem gerüstet gegenüberzustehen, nahmen wir Grosssegel und Klüver weg. Allmählich bedeckte sich der ganze Himmel mit schwarzen Wolken, welche das andauernde Blitzen immer greller hervortreten Hessen, bis der ganze südliche und westliche Himmel zeitweilig ein Flammenmeer zu sein schien; aber während der ganzen Zeit wurde die spiegelglatte Oberfläche der See auch nicht durch das leichteste Lüftchen getrübt. Die Feuer von Travemünde und Pelzerhaken, welche wir schon lange in Sicht gehabt hatten, waren wieder verschwunden. Ich war eben nach unten gegangen, um mir eine neue Pfeife anzustecken, als das Licht eines hellen Blitzstrahls durch das Skylight fiel und mit seinem blendenden, bläulichgrünen Schein die Kajütslampe verdunkelte. Ein furchtbarer Donner folgte unmittelbar darauf und gleichzeitig ging eine wahre Sintflut nieder, gemischt mit Hagelkörnern. Nach kurzer Zeit hörte die Schauer mit erstaunlicher Schnelligkeit wieder auf und gleich darauf brach der Sturm los; und so heftig war der erste Puff, dass für die ersten 10—20 Sekunden die „Freia" platt auf der Seite lag. Wie aber Fahrt in die Yacht kam, richtete sie sich wieder auf, und mit einer Geschwindigkeit von etwa 7 Knoten stürmte sie unter Fock und Besahn dahin. Ein reiner Wolkenbruch hatte wieder eingesetzt, wodurch ein Aufkommen der See, aber auch jeder Ausguck verhindert wurde. So waren wir, als nach etwa einer Stunde noch immer nichts zu sehen war, schon im Begriff, die „Freia" zu Anker zu bringen, als es ebenso plötzlich aufklarte und wir uns in der Nähe der Ansegelungstonne von Travemünde fanden. So ungestüm wie der Sturm gekommen, so schnell nahm er zum leichten Zuge ab, und es dauerte bis gegen Mitternacht, ehe wir die Yacht an den Dukdalben von Travemünde festgemacht hatten.
Den Montag benützten wir zu einer sehr lohnenden Dampferfahrt nach Lübeck. Die alte, überaus sehenswerte Hansestadt ist aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und macht bedeutende Anstrengungen, das Versäumte nachzuholen. Es ist nur zu bedauern, dass die Lübecker mit ihrem vorzüglichen Yachthafen und ihrem guten Segelrevier dem edlen Sport so wenig huldigen. Sollen doch, wie mir von gut informierter Seite mitgeteilt wurde, nur 7—8 Yachten lübische Eigner haben.
Leidensgefährte in der Flaute
Da wir noch eine Woche Urlaubszeit zur Verfügung hatten, so brauchten wir uns mit der Heimreise nicht allzusehr zu beeilen, und so befanden wir uns nach einem Abstecher über Heiligenhafen erst am Donnerstag im Schlepp durch den Kanal. Da die Tide uns günstig war, segelten wir gleich am selben Abend nach Cuxhaven. Unsere Absicht, am nächsten Morgen nach der Weser zu segeln, mussten wir leider aufstecken, denn starker SW-Wind und strömender Regen, welcher den ganzen Tag anhielt, verhiessen die Fahrt nicht zu einer angenehmen zu machen. Sonnabend morgen 3 Uhr ertönte zum letzten Male das gewohnte: Rise, rise, hiev Anker! von Baas. Eine frische südliche Brise brachte uns schnell aus der Elbe heraus, verliess uns aber vor der Weser, beim Roten Sand-Leuchturm, so schmählich, dass wir kaum den Strom totsegeln konnten, während ein mit uns segelnder schwedischer Schoner, der eine Ladung Dielen nach Bremen bringen wollte, zu Anker gehen musste, um nicht nach See getrieben zu werden. Erst gegen Abend erreichten wir Brake, und am Sonntag morgen machten wir „Freia" an der heimatlichen Boje fest; und wie liebkosend war der Druck, mit dem wir beim Besteigen des Beibootes die Reeling des wackeren Fahrzeuges umspannten, das uns so sicher viele Meilen getragen und uns Genuss, Freuden und Erfahrungen verschafft hatte, an deren Erinnerung wir zehren sollen bis nächstes Jahr!