50 Jahre Deutsche Meßverfahren (1927)
C. Busley, ab 1912 DSV(b) -Vorsitzender, veröffentlichte diesen Artikel - ein Rückblick auf "50 Jahre deutsche Meßverfahren" aus DSV(b)-Sicht - anläßlich des Seglertages 1927 in der "Yacht". Dieser Seglertag, abgehalten in Wien, leitete den Wiedereintritt in die IYRU ein und führte nachfolgend zu einer Umkrempelung der bis dahin geltenden Klassenpolitik.
l. Das Raummeßverfahren. (1878 - 1893)
Als der Norddeutsche Regatta-Verein am 23. Juli 1882 die erste Kieler Regatta veranstaltete, beteiligten sich zwanzig Yachten der verschiedensten Größe, Bauart und Takelung, Küsten- und Binnen-Yachten, von denen nicht eine der anderen glich. Für die Wettfahrt wurden sie nach dem bereits seit vier Jahren im Norddeutschen Regatta-Verein eingeführten Raummeßverfahren eingeteilt. Die hierfür bestehende bisher nur für die AIster-Wettfahrten mit kleinen Fahrzeugen benutzte Vergütungstabelle reichte für die Seewettfahrt nicht mehr aus. Deshalb hatten es mein alter Schulkamerad Saefkow und ich unternommen, eine neue Zeitvergütungstabelle aufzustellen. Nach vielem Suchen, Vergleichen und Rechnen gelang es uns, unter Zugrundelegung der Alster-Tabelle und uns bekannt gewordenen Bruchstücken englischer und amerikanischer Tabellen eine Zeitvergütungstabelle auszuarbeiten. Sie ist wider Erwarten gut ausgefallen, weil sie ohne Änderung solange in Gebrauch geblieben ist, wie das Meßverfahren selbst.
Das Raummeßverfahren wurde in folgender Weide ausgeführt: Die Länge der Yacht wurde vom vordersten Punkte der Außenkantesponung des Hinterstevens in gerader Linie festgelegt und in eine gerade Anzahl gleicher Teile geteilt. An jedem Teilpunkt wurde der innere Querschnitt der Yacht aufgemessen und nach der bekannten Simpson'schen Formel berechnet. Die sich in Quadratmetern ergebenden Querschnitte Fl, Fll usw. wurden in der folgenden Formel vereinigt, die den Rauminhalt der Yacht unter Deck in Kubikmeter ergab.
Der große Fehler des Raummeßverfahrens bestand darin, daß der Inhalt der flachen Schwert-Yachten vollständig erfaßt wurde, während die unterhalb der tiefsten inneren Sponung liegenden Kiel-Partien der Kiel-Yachten nicht mitgemessen wurden. Alle Schwert-Yachten waren deshalb höher belastet als Kiel-Yachten. Die Größe der Segelfläche wurde nicht in Betracht gezogen, nur Schoner segelten zu 3/6 und Yawis zu 4/5 ihrer durch die Vermessung festgestellten Größe und zwar in den Klassen, in die sie nach ihrer vermessenen Größe gehörten.
Die Dauer des Raummeßverfahrens betrug für Seewettfahrten 12 Jahre, von 1882 bis 1893, denn nach der Gründung des Deutschen Segler-Verbandes am 4. März 1888 wurde es beibehalten und nun auch auf die Seewettfahrten der zum Verbande gehörenden deutschen Küstenvereine übertragen, während die Binnen-Wettfahrten nach einem besonderen Meßverfahren abgehalten wurden, auf das hier wegen seiner primitiven Form und Kurzfristigkeit nicht näher eingegangen werden soll.
II. Die Benzon- Formel (1894-1898)
Der Kaiser hatte im Juni 1891 in England die bekannte Amerika-Pokalkämpferin "Thistle" erworben und ihr den Namen "Meteor" gegeben. Prinz Heinrich von Preußen hatte sich in Schottland von Watson eine große Yacht "Irene" erbauen lassen, die beide im Juni dieses Jahres nach Kiel kamen. Hierzu gesellte sich zu den Kieler Regatten die von Hamburger Herren ebenfalls aus englischem Besitz angekaufte "Atalanta" und andere in Kiel erscheinende größere skandinavische Yachten, so daß die Unhaltbarkeit des Raummeßverfahrens immer deutlicher wurde.
Um besonders für die skandinavischen und deutschen Yachten eine Erleichterung des gegenseitigen Verkehrs durch ein passenderes Meßverfahren herbeizuführen, lud der Königlich Dänische Yacht-Club vom 16. bis 18. März 1893 deutsche und skandinavische Klubs zu einer Sitzung nach Kopenhagen ein, an der ich als Vertreter des Deutschen Segler-Verbandes teilnahm und der Kaiserliche Yacht-Club mir zwei seiner besten Segler, den Schiffbaudirektor Zimmermann von der Germania-Werft und den Rittergutsbesitzer v Schiller aus Buckhagen zugesellt hatte. Die Dänen waren hauptsächlich vertreten durch Benzon und den Marine-Schiffbauingenieur Tuxen neben einigen auch in Kiel bekannteren Seglern wie Ekman und Lindholm, sowie durch den seit längerer Zeit in Kopenhagen ansässigen englischen Ingenieur und Yacht-Besitzer Marshall. Außerdem waren zwei Herren von der Göteborg Segel-Sälskap anwesend und die Fachpresse war durch einzelne Redakteure von Fachblättern vertreten, unter denen sich auch unser Belitz befand. Nach zweitägigen langstündigen Verhandlungen ging die Versammlung auf den von deutscher Seite gemachten Vorschlag ein, unter Verzichtleistung auf alle anderen Meßformeln die neue französische einer näheren Prüfung zu unterziehen. Sie ist dann im Laufe des Sommers von Benzon einer Umgestaltung unterworfen worden, die er auf dem 26. November 1893 in Berlin stattfindenden Seglertage in ausführlicher Weise zum Vortrag brachte.
Seine Formel lautete:
Ohne auf minder wesentliche Einzelheiten einzugehen, führe ich nur an, daß L die Länge der Yacht in der Wasserlinie ist, G der Umfang der Yacht. Um diesen zu finden, wird der Unterwasserumfang P mit einer Kette von der Wasserlinie um den Kiel bis zur Wasserlinie an derjenigen Stelle der Yacht gemessen, wo er am größten ist. Der Freibord wird nicht mitgemessen. Diesem Umfange wird das arithmetische Mittel der größten Breite in der Wasserlinie B und ihrer größten Breite über Wasser B l hinzugefügt. Mithin wird
Für Schwert-Yachten wurde G als Mittel bei herabgelassenem und heraufge-nommenem Schwert festgesetzt.
S Die Segelfläche der Yacht wurde nach dem englischen Verfahren der Yacht-Racing-Association ermittelt.
Der Fehler der Benzon'schen Formel lag darin, daß sie auf ein genügendes Deplacement der Yachten keine Rücksicht nahm und dadurch recht bedeutsame Auswüchse enstehen ließ. Ich erinnere nur an die Berliner Yacht "Triumpf" von Krüger, die ein schmales, kleines Mittelschiff darstellte, über welchem sich dicht über der Wasserlinie auf beiden Seiten ein neuer Rumpf erhob. Abgesehen von den Schwierigkeiten, die sich schon bei der Vermessung einstellten, hat dieses Fahrzeug auch in den Wettfahrten keine besonderen Erfolge erzielt. Viele Berliner Segler werden sich noch der Yachten in den kleinen Klassen erinnern, von denen manche wegen ihrer kleinen Deplacements schon wiederholt vor ihrem Startschuß auf der Müggel kenterten.
III. Die Annäherung an die englische Y.R.A.-FormeI. (1898-1907)
Schon im Sommer 1897 hatte in Kopenhagen eine Sitzung von Vertretern skandinavischer Segler-Vereine stattgefunden, in welcher über ein neues gemeinsam anzunehmendes Meßverfahren beraten wurde. Als Grundlage hierfür wurde die bestehende Meßformel der englischen "Yacht Racing Association" (Y.R.A.) herangezogen. Wenn man auch ihre Tendenz billigt, so war man im einzelnen nicht ganz mit ihr einverstanden, denn man wollte außer den reinen Renn-Yachten noch Kreuzer-Yachten schaffen, die für Seefahrten möglichst bequem und stabil sein sollten, sich nebenbei aber auch an Wettfahrten beteiligen könnten.
Der Bau der Kreuzer-Yachten sollte nach den Vorschriften der Klassifikations-Gesellschaften erfolgen, wodurch sie bei gleicher Größe schwerer wurden als die leichter gebauten Yachten und deswegen mußte für die Kreuzer-Yachten eine andere, ein größeres Deplacement berücksichtigende Formel eingeführt werden.
Hiernach wurde die YR.A.-Regel in die folgenden beiden Formeln umgestaltet. Die Renn-Yachten wurden nach:
Und die Kreuzer-Yachten nach:
berechnet. Hierin bedeutet:
L: Die Länge der Yacht in Metern
B: Die größte Breite der Yacht in Metern
C: Den Umfang der Yacht in Metern
F: Die Freibordhöhe der Yacht in Metern
S: Die Segelfläche der Yacht in Quadratmetern
D: Die Differenz zwischen dem Schmiegen- und Kettenumfang der Yacht in Metern.
Auf dem Seglertage am 6. November 1896 kam Benzon nach Berlin und trug dies neue, von den Skandinaviern angenommene Meßverfahren vor. Der Seglertag nahm darauf das Meßverfahren auf die Dauer von 3 Jahren an, nach deren Ablaufes noch zweimal auf eine dreijährige Dauer verlängert wurde, worauf es mit Ablauf des Jahres 1907 erlosch.
In den ersten Jahren nach der Einführung dieses Meßverfahrens fiel es zwar auf, daß einzelne Renner wie z.B. "Polly" und Kreuzer wie zum z.B. "Kommodore", so oft sie starteten, fast immer die ersten Preise errangen, aber man untersuchte dies nicht ernstlicher, weil das Meßverfahren die großen Fehler der beiden vorhergegangenen nicht besaß, und sonst kein Grund vorlag, derartigen Zufälligkeiten, wie man annahm, weitergehende Beachtung zu schenken.
IV. Die l.Y.R.U.-Formel. (1908-1917)
Mit dem Jahre 1907 lief nicht bloß die vorstehende skandinavisch-deutsche Formel ab, sondern auch die in England bestehende Y.R.A. -Formel und die in Frankreich vorherrschende des Yacht-Club de France. Nun war im Laufe der letzten Jahre bei der Entwicklung, die der Segelsport genommen hatte, insbesondere durch das vom Kaiser 1897 ins Leben gerufene Rennen der großen Yachten von Dover nach Helgoland der Wunsch immer lauter geworden, ein für Europa allgemeingültiges Meßverfahren für die Rennsegelei einzufüheren.
Ich selbst habe von 1905 ab mit den führenden Seglern in England persönlich und mit dem Vorstande des Yacht-Club de France schriftlich in Verbindung gestanden, und es ist mir gelungen, daß durch meine Anregungen die Y.R.A. auf den 15 Januar 1906 eine Sitzung nach London einberief, zu der jeder der aufgeforderten Vereine zwei Vertreter entsenden konnte. Eingeladen waren der:
Deutsche Seglerverband,
Yacht-Club de France,
Königlich Dänische Yacht-Club
Königlich Schwedische Yacht-Club,
Norsk Forening for Lystseylads,
Kaiserlich und Königliche Yacht-Geschwader in Pola
Regio Yacht-Club Italiano in Genua.
Als deutsche Vertreter wurden vom Verbandsvorstand Burmester und ich zu dieser Konferenz entsandt, die sich zur Herbeiführung eines internationalen Meßverfahrens auf folgende Formel einigte, die eine Geltungsdauer von 10 Jahren vom l. Januar 1908 bis 31 .Dezember 1917 haben sollte:
In der Formel bedeutet:
L: Die Länge der Yacht in Metern
B: Die Breite der Yacht in Metern
G: Der Umfang der Yacht in Metern
D: Die Differenz zwischen den Ketten- und Schmiegenumfang der Yacht in Metern
S: Die Segelfläche der Yacht in Quadratmetern
F: Die Freibordhöhe der Yacht in Metern
Am 12. und 13. Juni 1906 hat eine zweite Sitzung der Länder-Vertreter in London stattgefunden, um die Erklärungen und Wünsche der verschiedenen Länder entgegenzunehmen und einige noch schwebende Fragen zu erledigen. Hierzu gehörte auch der deutsche Antrag, mit R, wie es in Januar beschlossen war, nicht bei 8 m stehen zu bleiben, sondern bis auf 5 m herunter zu gehen. Dies war ein Wunsch des für die Annahme des Meßverfahrens auf den 25. März 1906 in Berlin einberufenen außerordentlichen Seglertages. Dieser Antrag wurde angenommen, trotzdem sich in der Konferenz schon Stimmen dagegen aussprachen, welche die Formel nur für Yachten von mehr als R = 8 m angewandt wissen wollten. Diese Einwürfe haben sich auch später als berechtigt erwiesen, denn es muß anerkannt werden, daß sich die Formel für größere Yachten im allgemeinen bewährt hat, nur für die kleineren war sie etwas zu kompliziert und machte sie deshalb teuer. Trotz des Krieges und trotzdem wir allmählich erkannten, daß alle Meßformeln einen Fehler haben, blieb in Deutschland die I.YR.U.-Formel, wie beschlossen war, bis zum 31. Dezember 1917 aufrechterhalten. Heute wissen wir, daß die Konstukteure, wenn sie sich erst in die vorgeschriebene Formel - mag sie lauten wie sie will - eingearbeitet haben, in der Lage sind, den von ihnen zu entwerfenden Yachten einen Typ zu geben, wie ihn die Formel begünstigt. Alle anderen Yachten sind dann um so mehr benachteiligt, je weniger sie diesem Typ nahe kommen. Diese Erfahrung muß zu denken geben.
Es sei hier eingefügt, daß die I.Y.R.U. ihre Formel in Laufe der Zeit geändert hat, und daß sie seit 1924 lautet:
worin die Buchstaben dieselbe Bedeutung haben, wie vorstehend angegeben. Die Klassen teilen sich in solche über 20 m, 20m, l 7m, 14m, 12m, 10m, 8m, 6m, also 6 R-Klassen. Dazu kommen zwei französische Klassen von 8,5 und 6,5 m und die beiden schwedischen Schären-Kreuzer-Klassen von 40 und 30 qm. Endlich noch eine internationale 18 und eine ebensolche 12-Fuß-Bootsklasse, zusammen also 14 Klassen. Zur I.YR.U. gehören augenblicklich die 12 Länder:
- Argentinien
- Belgien
- Dänemark
- England
- Estland
- Finnland
- Frankreich
- Holland
- Italien
- Norwegen
- Schweden
- Schweiz
- Spanien
- Ungarn
V. Die Segelflächenvermessung. (1918-1927)
Auf dem Seglertag am 6.November 1909 wurde vom Norddeutschen Regatta-Verein ein Antrag auf Schaffung einer billigen Binnen-Jolle für die Heranbildung von Jungmannen gestellt, weil die kleinen R-Klassen-Yachten; wie ich oben schon erwähnte, zu teuer wurden. Als Vermessungsgrundlage für diese Jollen, die sich auch an Wettfahrten beteiligen sollten, wurden 22-m2-Segelfläche festgesetzt. Hierzu trat später noch eine Küsten-Jolle von zuerst 25 m2 und dann 30 m2 Segelfläche, ferner ein ebenfalls vom Norddeutschen Regatta-Verein beantragtes 15 m2 Rennboot, dem ein 30 m2 Rennboot folgte. Inzwischen war 1911 auf Anregung vom Potsdamer Yacht-Club noch eine 45 m2 und eine 75 m2-Kreuzer-Yacht eingeführt worden. Als mit Anfang des Jahres 1918 die I.Y.R.U.-Formel abgelaufen war, gab es im Deutschen Segler-Verband, abgesehen von einigen alten R-Yachten, nur nach ihrer Segelfläche vermessene Yachten, und zwar die 22-und 30-m2-Jollen und außer der 15- und 30-m2-Rennklasse, die zuletzt eingeführten 5-, l0-, 20-, 35- und 40-m2-Rennklassen, wozu noch 125-, 75-.45- und 35-m2-Kreuzer-Klassen kamen.
Dasselbe gilt für den am 7. Mai 1916 in Wien geschlossenen Deutsch-Österreichischen-Ungarischen Yacht-Verband, aus dem Ungarn nach dem Kriege wieder ausgetreten ist, um sich seglerisch der I.Y.R.U. anzuschließen.
Die Segelflächenvermessung hat den Vorteil, daß die Schiffskörper in keiner Weise beeinflußt werden, sondern sich ganz nach dem Geschmack des Bestellers herstellen lassen. Um Auswüchse zu vermeiden, müssen natürlich für die einzelnen Abmessungen, wie Länge, Breite, Tiefe, durch Erfahrungen gesammelte Grenzwerte festgesetzt werden. Wir sind bis jetzt mit der Segelflächenvermessung im allgemeinen nicht schlecht gefahren, so daß wir sie für unsere zukünftigen Klassen ruhig wieder zugrunde legen können.