"Hamburg"

Alfred Lichtwark beschreibt das berühmte erste Schiff des Hamburgischen Verein Seefahrt (HYS) - 1904

An der Landungstreppe vorm Kieler Bahnhof erwarten uns ein Boot und eine Dampfbarkasse, das Boot für Gepäck, die Barkasse für uns.
Die Barkasse schoss wie ein lebendiges Wesen über die Fläche und warf breite Massen Schaum auf die Seiten. Auf ein kurzes Gewitter, das die Wellen ausgelöscht hatte, war eine unbegreifliche Windstille gefolgt. Wie auf dem ruhigen Spiegel der Alster sahen wir die HAMBURG in der Ferne vor der Seebadeanstalt liegen, zierlich, fast niedlich. Sollte sie wirklich Platz für mehr als dreißig Menschen enthalten?
Auch als wir näher kamen, erschien die HAMBURG nicht viel größer als aus der Ferne.
Den ersten Begriff von der wirklichen Größe bekamen wir, als uns die Barkasse an Bord folgte. Es ging so rasch, dass man den Eindruck hatte, sie käme uns von selber nachgeklettert. Ehe wir es uns versahen, stand sie wie ein Spielzeug auf dem Vordeck. Das Ruderboot folgte ebenso geschwind. Sie fanden Gesellschaft. Ein Kutter zum Segeln und ein größeres Boot hingen in den Davits.
Bei der Flaute blieb das Schiff an der Boje, und wir benutzten die Zeit, uns zurechtzufinden und einzurichten. Meine Kabine gefiel mir gleich. Es war mehr ein Zimmer. Die Schlafzimmer in Pariser Privatwohnungen großem Stils sind nicht geräumiger. Dass keine Stuhle oder andere Möbel, die bei Sturm zu tanzen anfangen konnten, umherstanden, verstärkte die einheitliche Wirkung und gab Ruhe. Decken und Wände waren weiß lackiert. In den Wandfüllungen helle, freundliche französische Kattune. Der Teppich rot.
Links vom Eingang stand das Bett, in eine Nische eingebaut. Der Raum darunter war als Kommode mit sechs Schiebfächern ausgebildet. Dem Bett gegenüber eine Nische mit bequemem Diwan. An der Wand dazwischen der Waschtisch, weiß lackiert, wie die Wände, und mit einem Aufsatz von rotem Marmor. An der vierten Wand ein sehr umsichtig eingerichteter Kleiderschrank. Als ich mich eingerichtet und die Koffer auf dem Boden des Schranks verstaut hatte, fühlte ich mich schon zu Haus.


Eignerkammer an Bord eines kaiserlichen Schoners sowie "Meteor"-Salon

Auf dem Deck wurde für die Abfahrt gerüstet. Ich ging nach dem Heck, um einen überblick zu haben. Bis zum Steven, wo in ihren weißen Anzügen und roten Mützen die Mannschaft beschäftigt war, dehnte sich eine weite Perspektive.
Es war ein Schauspiel, den Bewegungen und Gruppierungen der Leute zu folgen, wie sie unhörbare Befehle ausführten und wie das Weiß ihrer Kleidung, je nachdem sie in Sonne oder in Schatten kamen, warm oder kühl stand.
Unwillkürlich stieg der Blick an den Masten und Segeln empor zu den Wimpeln, die in der Windstille schlapp hingen. Dass die Länge des Decks und die Höhe der Masten ungefähr gleich waren, ließ sich kaum schätzen. Der Mast erschien bedeutend kürzer, als er war. Ein Auge, das nicht gewöhnt war, Verhältnisse auf See zu schätzen, hätte sicher nicht gewagt anzugeben, dass die Höhe bis zum Wimpel am Hauptmast einige zwanzig Meter mehr betrüge als die des Berliner Schlosses.
Mit Spannung wurde dann eine Orientierungsreise ins Innere angetreten, das auf dem Weg zur Kabine nur flüchtig durcheilt war.
Schon beim Treppenhaus überraschte die sinnige und auf lange Erfahrung deutende Umsicht der Ausbildung. Der Eingang ist durch eine feste Hütte aus schwerem, gegen den stärksten Wellenschlag unempfindlichem Teakholz überdacht und als eine Art Veranda oder Beischlag ausgebildet. Zu beiden Seiten ziehen sich unter der Bedachung, die sich zurückschieben lässt, so dass man bei starkem Wind durch die Wände geschützt ist und doch offenen Himmel über sich hat, bequeme, mit Lederpolstern ausgestattete Bänke hin, die der ganzen Schiffsgesellschaft bei schlechtem Wetter Unterkunft gewähren. Die linke Bank ist erheblich breiter. Es braucht einem nicht gesagt zu werden, dass sie sehr bequem zum Liegen ist.
Damit die Füße nicht den fallenden Grund der Treppe ah Stützpunkt haben, ist nach den ersten drei Stufen der Länge der Bänke nach eine Rast in den Lauf eingefügt. Wo die Treppe anfängt, setzen sich die Bänke in Gestalt von Börtern fort, die sehr brauchbar sind. So steht auf der Schmalseite ein in Fächer geteilter Bort mit den Signalflaggen, und für Karten, Bücher, Deckstühle, Ferngläser, Kissen bleibt Platz genug.
Unten mündet die Treppe in einen Vorraum. Geradeaus geht es durch eine Flügeltür in die Gesellschaftsräume, die mittschiffs um den großen Mast liegen.
Dass der Mast den Schnittpunkt für die Raumteilung hergegeben hat, sieht man nicht auf den ersten Blick, denn er ist ganz eingebaut in die Vertäfelung des Salons, der quer durch die ganze Breite des Schiffes geht. Zwischen Mast und der Außenwand öffnet sich auf der einen Seite eine tiefe Nische mit einem Kamin zwischen zwei Diwans, auf der ändern Seite führt die Tür in den Speisesaal.
Der Salon ist ungemein behaglich. Man empfindet beim Eintreten, dass er nicht, wie unsere Einrichtungen so oft, eine Übung am Phantom, sondern bis in alle Einzelheiten der Aus druck ganz bestimmter Bedürfnisse ist. Er soll bei rauhem Wetter und abends nach Tisch die Gesellschaft behaglich vereinigen. Dazugehört, dass ein Platz da ist, an dem sich alle - nach der Zahl der Kabinen sieben oder acht - oder die Mehrzahl zu einer gemütlichen Plauderei niederlassen können, und dass daneben einzelne, die allein sein wollen, um zu lesen oder zu schreiben, oder die zu zweien oder dreien eine Unterhaltung führen wollen, vorbereitete Plätze finden. Alle diese Anforderungen hat der Erbauer umsichtig erfüllt.
Die Diwans in der Kaminecke sind gerade soweit von einander entfernt, dass die Füße der Plaudernden, die von den Kissen und Polstern der niedrigen Diwans mollig aufgenommen werden, nicht miteinander in Konflikt kommen, und dass kleine Tische für Gläser oder Aschenbecher noch reichlich Platz haben.
Wer schreiben will, findet einen halb in die Wand gebauten Schreibtisch, der mit allem Material ausgestattet ist, oder er kann sich an einen der beiden größeren Tische setzen, die sich an die Wand halten, damit sie keinen Durchgang v ersperren. Wer allein seine Zeitung lesen will, kann sich in einen der tiefen, überaus bequemen Lehnstühle niederlassen, die in gutem Licht an den Tischen allein stehen. Vorübergehende stören ihn nicht und er sperrt keinen Durchgang. Sie sehen aus wie andere Lehnstühle, lassen sich jedoch nicht vom Platz bewegen, sondern nur drehen. Ein Ruck, und man hat Anschluss an einen Nachbarn jenseits des Tisches. Links vom Eingang an der Außenwand steht noch ein breiter Diwan. Hier kann sich ausstrecken, wer ruhen will, und mit dem benachbarten Lehnstuhl zusammen bildet der Diwan Gelass für eine engere Gruppe. Einige leichte Stühle, die rasch hin und her zu schieben sind und nirgend im Wege stehen, dienen dem Bedürfnis raschen Anschlusses.
Dass die großen Lehnstühle befestigt sind, fordert die Bewegung des Schiffes. Aber es ist eine Vorrichtung, die innerhalb gewisser Grenzen auch für die Einrichtung des Wohnhauses vorbildlich ist. Die Möbel müssten auch im Zimmer so aufgestellt werden, dass bei der Benutzung. niemand das Bedürfnis hat, einen Stuhl zu rücken.
Für die Beleuchtung sorgen Wandarme und Lampen, die mit der bekannten Hängevorrichtung den Schiffsbewegungen sich anpassen.
Man fühlt überall: Der das eingerichtet hat, ist von der Frage nach dem Bedürfnis erzogener Menschen ausgegangen, die einander zu geben bereit sind, was sie Bestes in sich haben, die ab er an den einzelnen und an die Gesellschaft keine lästigen Ansprüche stellen. Jeder ist frei und allein, wann er will. Aber er wird es nicht wollen, wenn die ändern seiner bedürfen.
Auf Menschen von Geschmack weist auch die farbige Ausstattung des Raumes. Wände und Decke sind weiß lackiert. Die Wandfüllungen sind mit gestreifter grüner Seide bespannt, ein sattgrüner einfarbiger Teppich deckt den Boden. Der Bezug der Lehnstühle, Diwans und Kissen gleicht dem der Wandfüllungen. Der Schreibtisch, die großen Tische und die Glasschränke bringen als Abwechslung den freundlichen Ton des Mahagoni hinein. Ihre Formen sind englisch (Chippendale), die der architektonischen Ausgestaltung des Raumes französisch (Louis XVI.).
Nirgends eine Spur von Pomp oder Prunk. Nirgends ein Ornament oder ein Ausstattungsstück mit symbolischem oder beziehungsreichem Schmuck. Es soll nirgends und für nichts Stimmung gemacht werden, eine Neigung, die wir bei einer solchen Aufgabe wohl kaum zu unterdrücken vermöchten. Was würden wir wohl in den Wandfüllungen aufgeboten haben, was in dem Feld über dem Kamin?
Aber gerade, weil nichts gewollt ist, kommt alles von selber. Von welchem Platz aus man den Raum überschaut, stets fühlt man den Organismus der Anordnung, und überall gibt es deshalb ausdrucksvolle Perspektiven.
Bei aller Freundlichkeit doch nirgends ein auffallender Luxus.

Albert Ballin, größter deutscher Reeder seiner Zeit und Gründer des HVS
Die Yacht, die dem Hamburger Verein Seefahrt gehört, ist 1898 in Glasgow für eine englische Familie erbaut. Die Kosten konnte ich nicht mit Sicherheit erfahren. Es hieß, sie hätten etwa 8 00.000 Mark betragen. Die Pläne stammen von dem Konstrukteur Charles Lindsay. Erbaut wurde das Schiff auf der Werft von D. und W. Henderson & Co. in Partick (nach den Vorschriften für höchste Klasse 20 Jahre AI mit Stern des englischen Lloyd). Es ist für atlantische Fahrt berechnet.
Bei der Übernahme durch den Verein Seefahrt wurde die Klasse bei einer erneuten Prüfung durch die Agenten des Lloyd bestätigt. Ihren ersten Namen RAINBOW vertauscht sie mit dem Namen HAMBURG.

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