"Um den Kaiserpreis !" - Eine Regatta der Sonderklasse 1903

Einer der besten Regattaberichte aller Zeiten - Text: O. Protzen

Schweigend, in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, saß die Mannschaft der WANNSEE beim Morgenkaffee. Schon schmückte die dritte Garnitur, die nur bei sehr nassen Regatten in Tätigkeit tritt, unsre wetter- und sturmerprobten Glieder.
»Das wird heute wieder ein feuchtes Vergnügen werden«, knurrte mit einem Blick zum Fenster hinaus mein Bestmann, der weit und breit mit dem Kosenamen 'Topmüller' bekannte Segelfreund. »Wenn's hier in der Kieler Ecke sich mal im Südwesten festgesetzt hat, bekommt man die ganze Woche hindurch seine Sachen nicht wieder trocken.«
»Immer kalt Blut und warm angezogen«, tröstete die 'Rakete', meine zweite Hand an Bord, und kroch in den dicksten Troyer.»Was gemacht werden kann, wird gemacht! - Heut ist zwar wieder mal TILLY's Wetter; aber wir werden ihr das Leben schon schwer machen. Ob der Prinz Heinrich wieder selbst steuert?«
»Was geht das dich an; pass nur lieber nachher besser beim Ballonklüverfall auf und sei überzeugt, dass Prinz Heinrich genau so bekniet sein wird, wie jeder andere Sterbliche!«
»Na, man nich gleich so hitzig, liebster Captain: an uns soll's nicht liegen. Wenn du aber wieder wie vorgestern, als wir den Preis in der Tasche hatten, den Kahn auf den Schlick setzt, so mustern wir für die nächste Kieler Woche nicht wieder an.«
WANNSEE und ihre Mannschaft sind nämlich sehr verwöhnt.
Seit dem Jahre l900 gibt unser Kaiser jedes Jahr einen kostbaren Preis, 'Samoapokal' genannt, für die sogenannte Sonderklasse, die nach besonderen Baubestimmungen erbaut ist. Der Grundgedanke ist ein stark gebautes Boot für alle Wetterverhältnisse zu schaffen, welches von drei Herrenseglern bedient werden kann. Um zugleich den Ehrgeiz der sporttreibenden Nationen anzustacheln, ist bestimmt, dass die Boote in dem Lande erbaut, besegelt und ausgerüstet sein müssen, aus denen ihre Mannschaft stammt. Den Kaiserpreis erhält, wer in drei Rennen zweimal Sieger ist, oder wer nach dem dritten Rennen im Entscheidungskampf zwischen den drei Siegern der Vorrennen gewinnt. Vom ersten Jahre ihres Bestehens erfreut sich diese Boots-Klasse der Vorliebe aller seefahrenden Nationen; denn abgesehen von dem erziehlichen Einfluss des schönen Sports, der Körper und Seele stählt, sind diese jährlichen Zusammenkünfte in Kiel das beste Mittel, freundschaftliche Berührungspunkte zu schaffen zwischen Nationen und Achtung vor ihren technischen und persönlichen Leistungen zu erringen – Pro patria est, dum ludere videmur. - Mit gleichen Waffen stehen wir uns hier gegenüber, um Theorie und Praxis zu fördern und nutzbar zu machen für die Seeschifffahrt. Ein reiner Herrensport; frei von jedem Drang nach Geldgewinn, in dem nur der Mann gilt und sein Wissen und Können - weder Rang noch Würde gibt den Ausschlag - der wirklich Beste siegt, und nicht Voreingenommenheit oder Bevorzugung, wie so leicht bei anderen Künsten.
Seit dem Jahr 1900 war auch jedes Jahr eine neue WANNSEE auf dem Plan erschienen, um mit um den Platz an der Sonne zu kämpfen, und bis heute ist es nur einmal dem Uncle Sam gelungen, die kostbare Trophäe über den Großen Teich zu entführen, einmal riß Hamburg die Palme der Herrensegler an sich und zweimal gewann je ein anderes Boot, mit Spreewasser getauft, des Kaisers Preis.
WANNSEE und ihre Mannschaft hatten also einen Grund dazu, etwas verwöhnt zu sein, und auch, wenn in Berlin, in Dänemark oder Schweden etwas zu holen war, hatten sie es sich gewöhnlich nicht entgehen lassen.
Heute galt nun die Entscheidung zwischen dem Franzmann, zwischen TILLY und unsrer WANNSEE, da an jedem der vorhergegangenen Rennen ein andres Boot Sieger gewesen war. Die andren Nationen, die Engländer, Spanier, die Belgier und Dänen, die außerdem beteiligt waren, hatten gar nicht so recht mithalten können.
Durch einen leichten Neuanstrich erstrahlte unser kleiner Liebling wieder in fleckenloser Schönheit, und erst spät abends war man todmüde und in dem Bewusstsein, dass man morgen für die Ehre Deutschlands einzutreten habe, zur Koje gegangen. Beim letzten Glase war, wie gewöhnlich, der Beschluss gefasst worden, zu siegen oder zu sterben.
»Ist das Frühstück immer noch nicht fertig!« - Steuerleute pflegen vor der Wettfahrt etwas nervös zu sein. - Besser vorher als während. - Man liest krampfhaft die Zeitung, hat aber natürlich nachher keine Ahnung, was in der Welt vorgegangen ist. Die inzwischen erschienenen Brötchen und die Flasche Portwein werden in die Gummistiefel verstaut, die man sorglich unter dem Arm trägt, um keinen Sand an Bord einzuschleppen. So ziehen die drei zur Landungsbrücke.
WANNSEE ahoi!! - Der Bootsjunge, der die Persennings schon abgedeckt und das Messing schön geputzt, bringt uns mit dem Beiboot hinüber. Jeder sieht prüfend ins Wetter. - »Das wird heute ein Dreireffer.«
»Unsinn; in einer halben Stunde flaut es ab!«
»Wir werden ja sehen«, setzt die phlegmatische Rakete besänftigend hinzu.
Alles, was einigermaßen entbehrlich ist, wandert ins Beiboot, und drei Reffe werden eingesteckt. Wenn's draußen flauer werden sollte, können wir ja immer noch ausreffen; denn es ist noch ein weiter Weg bis zum Startplatz. Unterwegs wird der Ballonklüver, klar zum Ausreißen, eingebunden, die Wanten nachgeschraubt und die beim Reffen leicht entstehenden Falten im Großsegel glattgestrichen, wie wenn eine Dame ihr neues Jackett anprobiert.
Um dem erwartungsvoll klopfenden Blute durch Beschäftigung besänftigende Ablenkung zu geben, wird jedes Fall, jeder Schäkel, jeder Stropp auf seine Haltbarkeit hin geprüft und peinliche Ordnung an Bord geschaffen. Nachdem im Boot beim besten Willen nichts mehr zu tun, klettert Topmüller auf den Mast. - Immer wenn Topmüller freudig oder zornig erregt ist, klettert er auf den Mast. - Auch dort oben in schwindelnder Höhe beklopft und befühlt er alles eingehend.
Währenddem laufen wir in flotter Gangart zwischen den Reihen der verankerten Kriegsschiffe hinaus aus dem Hafen auf die freie Kieler Förde.
»Wir machen aber gar keine Fahrt voraus!« stellt der besorgte Captain kopfschüttelnd fest, mit einem Blick auf die rechts und links vorbeischießende Bugwelle und das strudelnde Heckwasser. »Ich glaube , wir haben wieder mal Seetang oder Putzwolle mit dem Ruder gefasst.«
»Ob ich eine Stunde früher oder später naß werde, ist mir auch gleich«, antwortet der Allerweltstopmüller, zieht sich ohne viel Worte aus und hüpft, nachdem WANNSEE in den Wind gegangen, in kühnem Bogen über Bord, um zu tauchen. Und richtig; mit schrecklichem Fluche das Salzwasser und einige Qualen ausspeiend, befördert er eine Strohpuppe ans Licht, die einst eine Sektflasche liebevoll umsponnen hatte.
»Sekttrinken müsste während der Kieler Woche polizeilich verboten werden!« - Ich habe auch schon einmal vierzehn Tage lang Regatten gesegelt mit einem Tauende von zwei Meter Länge, das sich im Balanceruder vertörnt hatte.
Jetzt mal hinüber zu den schwarzen Tonnen; dann zu den roten Stangenseezeichen, um festzustellen, wo heute der Strom aus- oder einläuft. Dann wird dicht unter Land beigedreht, um die Frühstücksvorräte zu vertilgen; denn nachher ist keine Zeit dazu. Der erste Tropfen wird unter feierlichen Zeremonien den Göttern der Meere und der Winde geweiht.
Inzwischen kommt der Startdampfer mit dem Richterausschuss heran und legt sich in der genau vorgeschriebenen Peilung vor Anker. Starten wir heute oben oder unten an der Linie? - Wenn man nur zwei Gegner hat, immer dort wo der schlimmste ist; vor allem aber »mit der Sekunde!« -
TILLY erscheint auf dem Kampfplatz und bald darauf im Schlepp einer Dampfyacht der Franzose, an seinen roten Hosen schon von weitem erkennbar. Wir begrüßen ehrfurchtsvoll unsren königlichen Gegner und höflich, aber ernst den Vertreter der Grande Nation; dann gehen wir uns aus dem Wege, damit nicht der eine am andren noch in der letzten Minute Studien über die zweckmäßigste Segelführung machen kann.
Von fernher ertönen lustige Walzermelodien; die dicht besetzten Begleitdampfer nahen, geschmückt mit dem Stander der das Rennen veranstaltenden Vereine. Frohes Tücherschwenken und aufmunternde Zurufe von den mit uns hoffenden, mit uns bangenden Freunden. In sicherem Wurf erreicht uns ein duftender Strauß köstlicher weißer Nelken. Aha - die Gewinnblumen! - Sie wirken Wunder, wenn während des Rennens an der Mütze oder am Sweater getragen. Wer also künftig Kaiserpreise gewinnen will, beachte dieses Zaubermittel!
Ein Schwärm von Pinassen, mehrere Torpedoboote, Dampf- und Segelyachten stellen sich dicht bei der Startlinie auf. Die Standarte des Kaisers und der Kaiserin, die Prinzen ziehen die Blicke eine Zeitlang von dem bunten Regattabild ab. Am Signalmast des Startdampfers steigt eine weiße und eine grüne Flagge hoch; die Bahn ist also nur einmal und zwar rechts herum anzusegeln. Einmal ist auch gerade genug bei dem Wetter!
Die Zeit des Starts rückt heran, alle Fallen und Strecker werden nachgesetzt; es weht mit ungeschwächter Kraft aus Südwesten. Mit der Stoppuhr in der Hand umkreisen wir den Startdampfer. Dumpf rollt der Donner des kleinen Geschützes über die schaumgekrönten Wellen; in demselben Augenblick bringt mein Finger den Sekundenzeiger der Startuhr in Bewegung, So, jetzt noch fünf Minuten. Heiß auf die Ballonfock! Aber vorsichtig, damit die Schot nicht das Segel vorzeitig ausbricht. Topmüller kriecht aufs Vorschiff, das schon ständig von den Seen überspült wird, und hakt, auf dem Bauche liegend, die Segel ans Vorstag; die Rakete holt das Fall nach. - Noch zwei Minuten! -
Nun bringen wir unsren Renner in Bewegung; der Franzose hat sich mit
losen Schoten zu luv von der Linie aufgestellt, TILLY schießt dicht an der Linie auf und ab. Die wollen wir uns mal vornehmen.
Noch eine Minute! - In demselben Moment meldet die Rakete, dass der Signalball auf das letzte Feld am Mast gerückt ist. TILLY liegt ganz in Lee an der Startlinie und will sich zum Startschuss bis an den Dampfer hart am Wind hinaufmogeln. WANNSEE lässt ziehen, was ziehen will - noch zwanzig Sekunden! – und rennt ihr über die Segel, so dass sie aus der Fahrt und zu spät in die Linie kommt. Noch zehn Sekunden! - Der Franzose, der beiliegend fast bis an den Start getrieben, hat nicht Fahrt genug, um die unter ihm durchbrechende WANNSEE abzudecken. »Wir kommen zu früh!« schreit die Rakete angsterfüllt. »Reiß aus Ballon!« brülle ich als Antwort. »Bum« dröhnt der Schuss, und WANNSEE stürmt durch die Linie als erste, dicht gefolgt von TILLY
Ein guter Start ist schon halb gewonnen; denn es ist im allgemeinen nicht leicht, an einem geschickten Gegner vorbeizukommen. T1LLY schnaubt wütend hinter uns drein; diese Gangart mit Ballonklüver liebt sie ganz besonders. Bald ist ihr Vorschiff bei unsrem Heck angelangt, da sie geschickt in unsrem glatten Kielwasser laufend, die von uns schon gebrochenen Seen leichter überwindet.
Großschot und Vorschoten dichter! -TILLY luvt aber mit. »Wir sind nicht mehr frei!« - WANNSEE fällt stark ab auf ihren Kurs zurück, um dem Franzosen nicht die Rolle des tertius gaudens einzuräumen und wird kurz darauf abgedeckt. Der Gegner zieht lächelnd in Luv vorüber.
In solchen Minuten krampft sich das Herz zusammen. Aber nicht locker lassen und Ruhe im Boot und in der Hand! Kaum hat ihre Großbaumnock unser Vorstag passiert, als wir auch schon in ihr Kielwasser aufdrehen, uns nun das zunutze machend, was vorher dem Feinde vorteilhaft war. Wie zusammengebunden durchfliegen wir das Wasser. Die Gischt staubt über uns fort; die durch zerfetzte Wolken brechende Sonne verwandelt ihn in Tausende von Diamanten und malt auf die schäumende Wasserfläche tiefblaue Schatten und grünglitzernde Flecke. Wir aber haben nicht Zeit und Sinn, auf dieses herrliche Bild zu achten; denn hart überliegend nähern wir uns dem Strander Markboot.
»Macht den Spinnaker klar an Steuerbord!«
Auch TILLY's Mannschaft arbeitet schon an den Segeln. Vor Freude zitternd sehe ich, dass sie ihn für Backbord vorbereiten. Jetzt gilt's. TILLY fiert die Großschot weit auf und bäumt ihren schnell geheißten Spinnaker an Backbord aus. Zwei Längen hinter ihr schießt WANNSEE herum; mit aller Gewalt wird die Ruderpinne nach luv gepresst. In Lee des Großsegels steigt in die Wendung der Spinnaker hoch. Die Achterbrasse ist richtig belegt, und als mit lautem Krach der Großbaum herumfliegt bis an die Backbordwante, so daß der Luvbackstag kaum mehr steif zu setzen ist, zieht auch schon der Spinnaker, sich wie ein Luftballon nach vorwärts wölbend. Schnell liegen wir längsseits des Gegners, der im Augenblick seinen Fehler erkennt und durch blitzartiges Halsen mit uns wieder gleiche Chancen herstellt. Bord an Bord ziehen wir nach Osten auf Tonne l zu. Eine halbe Minute hinter uns folgt der Franzose, dem der krause Seegang nicht zu behagen scheint. Jetzt ist nicht mehr viel zu machen; nur nicht das Boot quälen mit zu vielem Rudergeben. Stark gierend, taumeln wir zwischen den Wellenbergen hin und her.
»Rakete, rutsche mal etwas weiter nach vorn; ich glaube, das Heck saugt sich fest!« - dann wieder lautlose Stille im Boot; nur das gleichmäßige Gurgeln und Brausen der See und das Knarren der ächzenden Spieren. Ein munterer Galopp schlägt von fern her an unser Ohr; er stammt vom Begleitdampfer. Wir hören ihn nur wie im Traum; jeder Nerv, jeder Gedanken gehört unsrem Kampfe. Wie gebannt starrt das Auge nach vorn, um die zu rundende Tonne zu erspähen.
»Da, siehst du sie nicht? Etwas rechts voraus auf jenem dunklen Fleck am Horizont zu.« - Als der Spinnakerbaum mal wieder hochsteigt, kann ich unter ihm durchsehen. »Richtig, gerade unter den Schafhäusern: wenn TILLY nur nicht anfängt zu drängeln!« - Keinen Zentimeter entfernen sich die beiden führenden Yachten voneinander; der Franzose kam von hinten etwas auf. So eine Spinnakertour ist eine schreckliche Geduldsprobe!
»Ich glaube, es wird flauer.« - »Lass nur gut sein: Vorm Wind ist's immer flau; wenn aber bei Tonne l l der Tanz gegenan beginnt, dann wundert ihr euch!« - Die Tonne wächst immer höher aus dem Wasser heraus, weißer Schaum tost um sie herum und in wilden Sprüngen wirft sie sich an ihrer schweren Kette hin und her. Wehe der Yacht, der dieses Ungetüm mal in die Planken springt!
Eine nachschiebende See hat TILLY um eine halbe Länge vorgeworfen; schon geht ihre Mannschaft aufs Vordeck, das bis an den Mast unter die See rennt.
»Wir müssen den Spinnaker bergen!« - »Warte noch ein paar Sekunden, sonst rennt sie unter unsrer Lee durch.« - »So, nun herunter mit dem Kram!« In wütendem Kampfe wird das wild um sich schlagende Segel geborgen.
TILLY luvt. »Raum an der Boje!« Vier Hände holen mit übermenschlicher Gewalt die Großschot dicht. »Hol’ an, hol' an! Hand über Hand hol' an!!«
Topmüller bändigt mit eisernen Fingern die Stagfock, und wenige Zentimeter zwischen Tonne und Gegner zwängt sich WANNSEE durch. Da die Hände nicht frei, müssen die Beine das Ruder herumdrücken; auch die Zähne müssen bei den Schoten mithelfen.
Mit fürchterlichem Krach haut das Vorschiff in die Seen ein; fast stehen wir auf der Stelle. Von vorn bis hinten überlaufen uns die Brecher, das Salzwasser beißt in die zugekniffenen Augen: aber nicht locker lassen und immer ruhig durchhalten! - Leebackstag fest!
Sobald wieder etwas Fahrt im Boot ist, gehen wir über Stag; TILLY folgt eine halbe Minute später. Der Franzose stampft sich tot in den steilen Seen; wir kundigen Thebaner streben eiligst nach der schützenden Küste zurück. Die Mannschaft kauert sich am Boden möglichst in Luv zusammen; nur der Steuermann muss die wie Hagel ins Gesicht peitschenden Sturzseen über sich ergehen lassen.
»Fier mal die Großschot ein paar Zoll; wir würgen zu sehr! - So, nun das Wasser aus dem Boot!« - Beide Kameraden mühen sich an dieser Sisyphusarbeit mit Pumpe und Schwamm. Aber soviel sie in fünf Minuten hinausschaffen, schlägt eine See in einer Sekunde wieder hinein. Etwas achteraus, aber in Luv, presst TILLY in eine Schaumwolke gehüllt, gegenan. Der Franzose ist rettungslos nach Lee versackt. Da das Wasser jetzt nahe der Küste schon glatter wird, droht die Hamburgerin uns wieder zu überholen; also kurz entschlossen: »Klar zum Wenden - Rhe!«
Wird sie noch frei von uns kommen und uns beim Bug vorbeiziehen? Eine bange Minute folgt, beide Steuerleute pressen so hoch wie möglich. Da entscheidet eine etwas räumende Brise zu unsren Gunsten; dicht unter meinem Großsegel muss sie wenden. Sobald sie etwas achteraus ist, gehen wir wieder über Stag, den Gegner dadurch nochmal um den Bruchteil einer Minute bedeckend. Jede Sekunde hilft! - Dann laufen wir bis dicht unter Land, um das Ziel mit einem Schlag anliegen zu können. TILLY setzt den ihr aufgezwungenen Schlag bis nach Laboe hinüber fort; ein nochmaliges Wenden hätte gar zuviel Zeit gekostet. Dadurch kommen wir zum ersten Mal ganz weit auseinander. Unter Land wird es flauer. Eine nagende Unruhe bemächtigt sich der Mannschaft. Welche von beiden Yachten hat das bessere Los erwählt? Denn dies ist die Entscheidung. Draußen auf See stampft TILLY auf dem nächsten Weg mit schäumendem Bug hart gegenan dem Ziele zu; hier unter Land räumt die Brise etwas.
»Ausreffen!«
Die Sperrklinke des Patentreffers wird ausgehakt, und rasselnd rollt sich das Großsegel vom Baum ab. »Halte dich fest!« - Eine Fallböe kommt schwarz angereist, erfasst das bauchig stehende Groß und krängt das Boot bis über den Rand des Cockpits. Mühsam richtet es sich wieder auf. »Heiß die Klau!« Jede Sekunde ist kostbar. Endlich steht das Vorliek wieder gut steif, die Piek ist mit dem Strecker richtig getrimmt, und WANNSEE zieht hart überliegend unter dem vermehrten Segeldruck durchs glatte Wasser.
»Das war Unsinn, auszureffen!« »Sieh doch, wohin TILLY schon inzwischen
gelaufen ist!« - »Du hast auch zuviel Höhe genommen!«
So macht sich die fiebernde Mannschaft Luft. Der für alles verantwortliche Steuermann muss schweigen und bebt in der Hoffnung, daß der Erfolg ihm recht geben möge. Wie mit Nadeln prickelt es ihm von der Hand bis in die Fußspitzen. Jede Brise, die auf dem Wasser aufschlägt, muß schon von weitem beobachtet und gebührend empfangen werden; das Auge hängt unverweilt an den Segeln und müht sich daneben ab, den Dunstschleier, der über dem Land liegt, zu durchbohren, um das Ziel zu erkennen. Dabei muß aber die Hand, die das Ruder umklammert, ruhig und leicht bleiben und keinen Millimeter weit sich unnütz bewegen. »Du knabberst zu sehr!« »Mein Vorsegel kommt schon wieder lose!«
»Himmelkreuzdonnerwetter, dann nehmt doch die Schoten dichter!« So ein aus Herzensgrund herausgeschleuderter Fluch mildert ein wenig die elektrische Spannung.
Jetzt kann man endlich die rote Flagge auf dem Startdampfer, der uns auch als Ziel dient. Die Brise kommt immer schraler ein, schon können wir kaum mehr Kurs anliegen. Arme TILLY, dann wird wohl drüben dir dein Grab gegraben. »Nicht zu früh frohlocken; denn erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.«
Wenn man schon wieder kalauern kann, ist das Schlimmste überstanden. »Hurra! TILLY muss über Stag! Gratuliere.«
»Willst du wohl den Schnabel halten! Noch sind wir nicht durchs Ziel!«
In dichtem Haufen liegen die Begleitdampfer und Pinassen bei der Linie. Auch von dort aus kann man noch nicht erkennen wer als erster durchs Ziel gehen wird, - Sogar die Musik schweigt. - Stetig rückt WANNSEE heran. TILLY liegt auf uns zu. Als sie mit uns in gleichem Abstand vom Ziel ist, wendet sie wieder. Wir aber haben die Luvseite. Keiner spricht ein Wort. So geht es noch fünf Minuten.
»Sind wir denn immer noch nicht durch?« - Ganz in Lee an der Linie schiebe ich mich mit einem Aufschießer an der grünen Telegraphentonne vorbei; im selben Augenblick steigt eine weiße Rauchwolke vom Startdampfer auf. Wir sind durch! - Und zwar als erste; denn TILLY muß nochmals wenden, um mit einem neuen Schlage die Linie passieren zu können. Die Spannung löst sich in Kopf und Gliedern - wie ein Stahlreifen hatte zuletzt der Südwester meine Stirn gepresst, - es ist ein Augenblick, in dem alles andre in der Welt gleichgültig ist.
Fünfunddreißig Sekunden danach gibt wieder die Dampfpfeife ihr schrilles, kurzes Zeichen: Für TILLY
Donnerndes Hip, Hip, Hurra empfängt uns bei den begleitenden Fahrzeugen; Hüte und Mützen wehen, Taschentücher flattern freudig zu uns herüber. Aus vollstem Herzen erschallt unsre dreimalige Antwort, unterstützt vom Tusch der Bordkapellen.
Unter den Klängen der 'Wacht am Rhein' und 'Heil dir im Siegerkranz' klimmt Topmüller auf den Mast, um die Flaggleine einzuscheren und die geliebte Rennflagge herunterzuholen. Entblößen Hauptes begrüßen wir den Klubstander, den wir zu Ehren gebracht und der nun, gefolgt von einer stattlichen Reihe von Preisflaggen, an Stelle der Rennflagge, in den Masttop emporsteigt.
Beigedreht erwarten wir die Gegner; auch mit ihnen tauschen wir ritterlich Glückwünsche und Seglergruß. Dann geht es heimwärts. Am Abend ist Preisverleihung. Unser Kaiser überreicht uns mit huldvollen Worten die kostbare Trophäe, die wir in so heißem Ringen wieder für unser Seglerheim erkämpft haben.

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