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1911 - vor hundert Jahren - beschließt der „Seglertag“ des Deutschen Segler-Verbandes den Aufbau der „Nationalen Kreuzerklassen“. Die vom Seglertage eingesetzte Kommission für diese Klassen hat sich bei allen Entschlüssen nach der ihr gestellten Aufgabe, „ein billiges, für Touren- und Rennzwecke geeignetes Boot zu schaffen, welches geeignet ist, den bestehenden Missständen abzuhelfen und die dem Rennsegeln Fernstehenden wieder zu Wettfahrten heranzuziehen“, zu richten. „Ob dieses Streben von Erfolg sein wird, wird die Zukunft lehren“ hieß es dazu ganz unprätentiös von Seiten der Kommission. Es wurde ein Erfolg.
Zunächst wurden die 45qm und die 75qm Klasse vom Deutschen Segler-Verband geschaffen - der 45er sollte hauptsächlich für Binnen- und Flussreviere und der 75er für die Küste, für die Nord- und Ostsee, geeignet sein. „Die nach der Meterformel gebauten Boote sind viel zu schmal, zu tief und zu nass beim Segeln, ohne diese Fehler durch bedeutende Schnelligkeit und Handlichkeit auszugleichen. Die Boote haben zu viel Blei, damit sie bei der mangelnden Formstabilität die enormen Segel tragen können; infolgedessen erfordern sie sehr teure und schwere Innenverbände. Da der Aufenthalt an Bord dieser Boote jeder Annehmlichkeit entbehrt, so haben die Boote auch nur für Rennzwecke Wert, befriedigen aber keinesfalls alle übrigen sportlichen Bedürfnisse.“ Nicht ohne Häme hieß es 1913: „Man sollte für diese Klasse möglichst lange Rennstrecken mit natürlichen Schwierigkeiten, wie z. B. von Oevelgönne um Krautsand-Kreuztonne und sofort zurück, oder z. B. Hamburg - Cuxhaven in einer Tour wählen, dann zeigt sich sehr bald ihre erhebliche Ueberlegenheit über die Meterboote, auf denen die Mannschaft vorzeitig ermüdet. Durch derartige Rennen über längere Strecken würde besonders den jüngeren Seglern Gelegenheit geboten, sich mit den Erfordernissen der Seefahrt bekannt zu machen; sie würden zu Seeleuten erzogen, was beim Absegeln von günstig gelegenen Dreieckskursen, wie im Zirkus, nicht möglich ist.“ (Yacht,12,242) Die Nationalen Kreuzerklassen sind aber nicht nur als Reaktion auf die übertakelten Meterklassen der first rule zu verstehen, sondern auch als Reaktion auf die dem DSV erwachsende Konkurrenz durch den 1911 entstehenden Deutsche Segler-Bund (D.S.B.), der mit dem ausdrücklichen Plan der „Pflege und Förderung volkstümlichen Segelsports, des Fahrten- und Wettsegelns auf Binnengewässern, der Küste und der See“ entstand, und den Freien Verband, dessen Stammverein der 1901 gegründete Segler-Verein „Fraternitas“ ist. DSV-Geschäftsführer Andriano dazu in einem Rückblick anno 1930: „Der Segler-Verband hatte vielleicht doch etwas spät die Notwendigkeit der Anerkennung des Segelsportes auch in einfacherer und einfachster Form erkannt und auch wohl zu wenig der kleinen Binnensegelei seine Aufmerksamkeit zugewandt.“ Festzuhalten ist: Die neuen „Nationalen Kreuzer-Klassen“ wurden ein Erfolg, besonders auf den Berliner Revieren. Folglich nahmen sich aber auch die wichtigen Konstrukteure - wie es sich bei Regattaklassen gehört - die Baubestimmungen vor und reizten die Möglichkeiten aus, Konstrukteure wie von Hacht, Heidtmann, Jaeckel, Neesen, Oertz, Rasmussen, Rehfeldt, Schröder, Stein, Wustrau. 1916 ist es soweit. Inmitten des ersten Weltkrieges werden neue Vorschriften von einem Seglertag verabschiedet: Heraufsetzung der Verdrängung um 200 bzw. 600 kg sowie die Festsetzung der größten Länge auf 10,5 und 12,5m. Mit den neuen Konstruktionsbestimmungen wurde 1916 auch die Geburt zweier weiterer Klassen, der 35er und der 125qm Klasse eingeleitet. |
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![]() Klassenvorschriften 1916 |
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So wie im Kriege Zeit für einen Seglertag war, war offensichtlich auch Zeit fürs Segeln, ruhte der Wettbewerb nicht ganz, wenn auch die Zahl der Wettfahrten 4, 4, 6, 16 in den vier Kriegsjahren von 1915 bis 1918 gegenüber denen der letzten Vorkriegsjahre nicht sehr ins Gewicht fielen. Übrigens: Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Yachtflotte wurde allerdings auch angesichts der „Unübersehbarkeit der Verhältnisse“ ans sogenannte „neutrale Ausland“ - nach Holland - verkauft. Dort werden auch heute noch einige dieser alten Nationalen Kreuzer gesegelt. („Yacht“, 1926, 51, 2) |
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Waren die 45er und 75er schon vor dem Kriege durchaus erfolgreich gestartet, so gilt dies erst recht nach dem Kriege. Die nationalen Kreuzer-Klassen mit dem charakteristischen, aus den Grenzmaßen resultierenden Löffelbug und meist senkrechtem Spiegel wurden zum Rückgrat des Klassensystems der 20er Jahre! In einem Rückblick des Potsdamer Yacht-Clubs, also des Vereins, der die Kreuzerklassen 1911 im Verband insbesondere gegen den Kaiserlichen Yacht-Club durchgesetzt hatte, heißt es später, 1941: „In den Nachkriegsjahren setzte eine rege Bautätigkeit in den nationalen Kreuzerklassen ein, die nach der Statistik des DSV im Jahre 1924 ihren Höchststand erreichte... Die 45qm Klasse ist in unserem Revier die beliebteste Klasse zu jener Zeit gewesen.“ Die „rege Bautätigkeit“ nach 1918 bezieht sich auf die kleineren Klassen, die 35er und 45er, ist aber dennoch sehr erstaunlich. Schließlich wurde die junge Weimarer Republik in den ersten Jahren von schweren Krisen erschüttert, den wirtschaftlichen Problemen der Nachkriegszeit und der immer dramatischer werdenden Geldentwertung. Die sich rasant zuspitzende Inflation zwischen 1920 und 1923 beraubte viele potentielle Yachtsegler aus Mittelstand und Arbeiterschaft ihrer finanziellen Rücklagen. Pointiert formulierte der Literaturwissenschaftler Hans Mayer in seinen Erinnerungen: „Die Inflation zerstörte das deutsche Bürgertum in seiner Substanz.“ Zu vermuten ist, dass Boote und Yachten mit Warenaktien, Sachwerten oder Fremdwährungen bezahlt wurden. |
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Für den angesehenen Konstrukteur Artur Tiller ist klar, „daß sie im Gegensatz zu den früheren Rennjachten sehr preiswert in der Beschaffung sind und eine genügend lange Lebensdauer haben. Man kann von ihnen sagen, daß Geschwindigkeit und Wohnlichkeit gering bezahlt werden; im Gegensatz zu den internationalen Rennjachten, bei denen diese beide Eigenschaften überzahlt wurden.“ 1926 heißt es: „Ist es den Rufern im Streite bekannt, daß die Kreuzer neuen Typs“ - gemeint sind die Schärenkreuzer - „etwa 50% teurer sind als bisher? Ein nationaler 75er kostete jetzt je nach Werft, die ihn baute, 18 bis 20000 RM., der 75er nach neuer Art wird jedoch etwa 30000 RM. kosten. Unser billigster Kreuzer, der 35er, kostet in erstklassiger Bauausführung etwa 6-7000 RM. Nach dem neuen Messverfahren würde er vermutlich 10.000 RM. kosten“ (W. Ratsch, „Yacht“, 1926, 51) |
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![]() Nationaler 45er P118 Jugendliebe mit P141 Frija II und P159 Gosch II auf der Berliner Frühjahrswoche 1927 auf dem Müggelsee |
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Bis 1930 wurden 170 Baunummern an 45er vergeben. |
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“Emmy II” - Segelnummer T16 - ist eine 35qm Nationale Kreuzeryacht und wurde 1921 auf der Yacht und Bootswerft von Ernst Winkler in Schmöckwitz / Berlin Köpenick erbaut. Über die Vorgeschichte und die Anfänge der Restaurierung weiß die Ausgabe 02/2006 des „Klassiker“ ausführlich zu berichten. Auftraggeber und erster Eigner von „Emmy II“ ist einer der namhaften Berliner Regattasegler jener Zeit, Oskar Gleier, Mitglied des Berliner Yacht-Clubs und des Zeuthener Segelvereins. Bevor Oskar Gleier diese Yacht im Winter 1920 in Auftrag gab, hatte er zuvor bereits mit seiner 8-Segellängen-Yacht „Blaue Anna“ sowie als Steuermann der Sonderklassen „Jubilar“ und „Hertha II“ ex „Elisabeth“ des Prinzen Eitel-Friedrich reüssiert. Mit der Sonderklasse „Jugend“ errang er 1910 den Samoa-Pokal. Nachdem er 1920 mit dem L-Boot „Emmy“ (30 qm Binnenkieler, von Artur Tiller gezeichnet) sehr erfolgreich segelte, sollte nun mit „Emmy II“ der Wechsel in die nächstgrößere Klasse vollzogen werden. Als Konstrukteur beauftragte er Paul Francke aus Berlin-Friedrichshagen, der selbst ein sehr erfolgreicher Segler war. Auf der Berliner Frühjahrswoche 1921 ersegelte die Yacht in sechs Wettfahrten einen ersten, drei zweite und zwei dritte Plätze. Bis 1926 sollten bei den Dahme-, Berliner Herbst- und Frühjahrswochen und überregional etliche weitere Erfolge das Können Gleiers unter Beweis stellen. Nach einer letzten Wettfahrt 1927 beim Jubiläumspreis des Yacht Clubs Müggelsee verkaufte Oskar Gleier seine geliebte „Emmy II“. Und damit verlieren sich zunächst auch die Spuren der Yacht. Erst 1952 taucht sie als „Ursula II“ beim SV Einheit wieder auf, damaliger Eigner ist Fritz Rohn aus Berlin-Friedenau. Nach erneuten Eignerwechseln erhielt sie in den achtziger Jahren einen GFK-Überzug. Für die heutigen Eigner Tobias und Florian Bressler lautet die gelebte Devise: |
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Wie bereits erwähnt, hatten die damaligen Konstrukteure ihr ganzes Wissen eingesetzt, um die Grenzmaßbestimmungen, also die Baubestimmungen der verschiedenen Nationalen Kreuzerklassen auszureizen. In Reaktion darauf kam es dann 1916 ja zur Längenbeschränkung. Wurde ein Nationaler vornehmlich zum Regattieren bestellt, wurde nicht nur bei den Längen oder Breitenmaßen gezerrt, auch bei den Materialstärken, insbesondere der Masten. Für Henry Rasmussen führte die rigorose Ausnutzung der Baubestimmungen der Nationalen und die fehlende Korrektur selbiger durch den Verband zu folgendem Resümee (welches die spätere Entwicklung des Bootsklassensystems vorwegnimmt): Doch zur Verdrängung der Nationalen Klassen aufs Abstellgleis später. Widmen wir uns zunächst noch den „großen Typen“ unter den Nationalen und der Neuentwicklung von 1923, dem 60er Nationalen. |
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![]() ![]() Regatta nationaler 35er, rechts "Kehrwieder ex Gipsy" |
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Der Seglertag 1923 brachte - ergänzend zu den 75ern und 125ern - eine weitere größere nationale Kreuzerklasse. Die 75er hatten ja die Hoffnungen der Küstenvereine auf ein brauchbares Seeboot nicht erfüllen können. Binnen waren es schöne, schnelle und gern gesegelte Boote. Für Seefahrt dagegen galten sie als übertakelt und in den Rumpfabmessungen für Seegang als ungeeignet. Um hier eine Abhilfe zu schaffen und gleichzeitig den Binnenseglern eine weitere, zwischen dem 45er und 75er liegenden Kreuzerklasse zu geben, wurde auf Antrag des Großherzoglich Mecklenburgischen Yacht Clubs und des Berliner Segler Clubs eine 60qm Kreuzerklasse eingeführt.
Sie wurde allerdings nach fünf Jahren (1928) mit Einführung der Seefahrtkreuzer-Klassen zusammen mit den 125ern zur Altersklasse erklärt. Elegante Yachten waren die 60er dennoch.
Paul Francke 1933: „Sonderbar ist es eigentlich, daß die nationalen 60er, die doch im Typ von den nationalen Kreuzerklassen infolge ihrer langen Überhänge die elegantesten und schnittigsten Fahrzeuge darstellen, seinerzeit vom Seglertag als Altersklassen erklärt, also als minderwertig betrachtet wurden. Diese seltsame Bestimmung ist ja nun vom letzten Seglertag 1932 wieder aufgehoben worden; aber trotzdem dürfen Neubauten in dieser schönen Klasse nicht mehr ausgeführt werden, während es jedem unbenommen bliebe, sich einen 35er, 45er oder 75er mit häßlichen kurzen Überhängen bauen zu lassen. Die weitaus meisten Schärenkreuzer haben doch auch lang ausgezogene elegante Überhänge und wirken dadurch äußerst reizvoll.“ („Yacht“, 1933, 3, 12) Der 60er, der sich in den Bestimmungen deutlich von den übrigen Nationalen absetzte, kann wohl als ein gelungener Yachtentwurf gewertet werden, „bei dem die besten Eigenschaften der Schärenkreuzer mit denen der späteren Seefahrt-Kreuzer harmonisch vereinigt wurden. Eine Entwicklung der nationalen Kreuzer in dieser Richtung hätte diesen Klassen sicher weitere Anhänger gewonnen. Auch für die Berliner Gewässer sind die Abmessungen dieser Yacht, insbesondere der Tiefgang, durchaus noch zulässig. Dabei ist der Tiefgang im Verhältnis zu den übrigen Abmessungen des Rumpfes groß genug, um erstklassige Segeleigenschaften auch bei hartem Wind zu gewährleisten. Die relativ große Länge garantiert unter allen Verhältnissen große Geschwindigkeit.“ („Yacht“, 1932, 43, 8) Rasmussen resümierte 1934: „Daß die nationalen Kreuzer nach den alten Vorschriften des D.S.Vb. heute als überholt gelten, kann man verstehen, selbst wenn man sich klar darüber ist, daß für manche Segler auch heute die Yachten der nationalen Klassen, insbesondere der 75qm-Klasse dem Ideal sehr nahe kommen. Die Tatsache, daß sowohl Eigner von 75qm-Kreuzern, deren Revier die Ostsee, als Eigner von 75ern, deren Revier der Bodensee ist, mit den Eigenschaften dieser Yachten in jeder Weise zufrieden sind, beweist, daß für bestimmte Verhältnisse diese Yachten weder durch Schären-Kreuzer noch durch Seefahrt-Kreuzer ersetzt werden können. Allerdings handelt es sich hier um Ausnahmen, um vereinzelte Segler und auch nur vereinzelte Segelreviere. Wer weiß, wie sich die nationalen Kreuzer entwickelt hätten, wenn die Entwicklung, in der sich die Klassen immerhin noch befanden, in der Richtung erfolgt wäre, die damals, als die 60qm-Klasse als nationale Kreuzer-Klasse angenommen wurde, nahe lag.“ Größere Bedeutung hat diese Klasse aber eben leider nicht erhalten. Der DSV registrierte im Höchstfalle 16 60qm-Yachten, von denen allein fünf im Yachtregister des Potsdamer YC eingetragen waren, darunter die „Windsbraut IV“. Größere Bedeutung blieb ebenso den 125ern vorenthalten. Rasmussens Rückblick auf seinen ersten 125er Entwurf 1916 (unten):
Der erste 125er wurde überhaupt erst 1921 realisiert. Von den neun im Laufe der Jahre beim DSV registrierten Yachten segelten allein drei - die erfolgreichsten - unter dem Stander des PYC. Dies waren „Sprott“ N 9, „Colleen“ N 8 und „Lucie“ N 4.
Für Rasmussen war übrigens klar, dass die 60er und auch die schon 1916 beschlossenen 125er Kreuzerklasse sich nicht weiter durchzusetzen vermochten, „weil sie für die Zeiten, in denen sie entstanden“, 1916 bzw. 1923, „zu teuer“ waren.
Eigentlich wurde bereits Mitte der 20er Jahre klar, dass die Nationalen Kreuzerklassen sehr bald durch neue Klassen abgelöst werden würden. Warum? Grund eins DSV-Geschäftsführer Andriano formulierte in einem Rückblick 1930: „Allgemein stellt sich die Nachkriegsentwicklung des deutschen Segelsports bis Ende 1928 wie folgt dar: Aus dem Abbruch der Beziehungen mit dem internationalen Wettsegel-Verband und der zunächst nicht übersehbaren Wiederanknüpfung ergab sich für den deutschen Segelsport einmal der Wunsch nach Umstellung auf andere als die internationalen Wettfahrtklassen, sodann handelte es sich darum, internationale Sportbeziehungen außerhalb des Rahmens der IYRU zu pflegen. Dies alles wiederum war noch beeinflusst durch den Abgang eines sehr großen und besonders wertvollen Teils der deutschen Jachtflotte durch Verlust im Kriege (Beschlagnahme in Feindesland) und Verkauf ans Ausland, nicht zuletzt durch die schweren Zeiten der Inflations- und Nachkriegsjahre. Diese Verbandspolitik des DSV traf allerdings nicht überall auf Gegenliebe: Dazu W. Raatsch 1926: „Seit längerer Zeit sind Bestrebungen im Gange, unsere wundervollen nationalen Kreuzer als überholt und unzweckmäßig hinzustellen. Man will sie, einem neuen Meßverfahren zu Liebe, in Altersklassen weiter segeln lassen, doch wird hierbei anscheinend übersehen, daß hierdurch mit einem Schlage unsere gesamte Yachtflotte die Hälfte ihres Wertes verliert. Bei der Anzahl von Yachten, welche allein auf Berliner Gewässern beheimatet sind, würde dieser Verlust weit über 1 Million RM. betragen. Ob wir uns in einer Zeit schwerster wirtschaftlicher Krise ein derartiges Experiment leisten können, bleibe dahingestellt. Grund zwei Der Deutsche Segler Verband und der Deutsche Segler-Bund buhlten um die Gunst der Seglerschaft - wie schon 1911, dem Geburtsjahr der Nationalen. Während der regattaorientierte DSV allein seine schnellen, aber nach allgemeiner Auffassung seeuntauglichen Nationalen Kreuzerklassen vorzuweisen hatte, konnte der fahrtenorientierte Seglerbund (DSB) Mitte der 20er Jahre ein komplettes Seefahrtkreuzer-System anbieten. Es reichte vom 20- bis 50-qm-Küstenkreuzer, bis hin zu seefesten Fahrtenkreuzern von 60-, 80-, 100-, 125 bis 175- und 250-qm Segelfläche. Sogar dem kleineren 60qm Bundeskreuzer sagte man nach, es sei mit ihm ohne weiteres möglich, „bei geübter Besatzung diese Jacht in allen Gewässern der Ostseestaaten auf sommerlichen Seereisen zu fahren“. Sämtliche Bundes-Seekreuzer wurden nach den Vorschriften und unter der Aufsicht des Germanischen Lloyd gebaut und mussten entsprechende Zertifikate vorweisen können. Die Klassenvorschriften des Segler-Bundes entsprachen bereits in vielen Punkten jenen Vorschriften, die der DSV 1928 mit der Herausgabe seines sog. „Roten Buches“ mit den Baustimmungen aller Klassen für seine neuen Seefahrtkreuzerklassen offiziell erlassen sollte. Der DSV musste, was die „Seetauglichkeit“ seiner Yachten anging, „nachrüsten“, um mit dem DSB bei den Kreuzeryachten konkurrieren zu können. Der A&R-Werftchef Henry Rasmussen erwies sich als eifriger Propagandist der neuen Seefahrtkreuzer-Klassen: „Die Seefahrts-Klassen sind ohne Zweifel die besten Klassen, die der DSV je geschaffen hat. Damit jeder, selbst der anspruchsvollste Eigenbrödler, die Möglichkeit hat, das zu finden, was er sich wünscht, hat man gerade in den kleineren Klassen diese möglichst dicht nebeneinander gelegt. Die Yachten der Seefahrts-Klasse sind außerordentlich schnell, handig, seetüchtig und weisen eine relativ große Wohnlichkeit auf. Die Geschwindigkeit dieser Yachten entspricht derjenigen gleich großer R-Yachten, wenn man für den Größenvergleich der Segelflächen zu Grunde legt, zum Beispiel also die 6-m-R-Yacht mit dem 40qm Seefahrts-Kreuzer, oder die 8-m-R-Yacht mit dem 80-m2-Seefahrts-Kreuzer vergleicht. Mit der Gründung der Seefahrtsklassen des DSV 1928 ging das Interesse an den großen Nationalen Kreuzerklassen vollständig zurück. Die 75er und 60er Kreuzer wurden vielfach in 60er und 50er Seefahrtskreuzer, alle 125er Nationalen in 80er Seefahrtkreuzer umgetakelt. Der Potsdamer Yacht-Club trauerte: „Für unsere Gewässer geeignete schnelle Kielyachtklassen mit ausreichender Wohnlichkeitseinrichtung sind damit im Aussterben. Ob die Seefahrtkreuzer in der Zukunft diese empfindliche Lücke zu schließen in der Lage sind, bleibt abzuwarten.“
Die kleinen Nationalen, die 45qm und 35qm Kreuzeryachten, werden durch die (noch billigeren) 30qm und 20qm Jollenkreuzer abgelöst - angesichts der wirtschaftlichen Turbulenzen jener Jahre und der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise durchaus nachzuvollziehen. Zudem brachten die Jollis den Vorteil für die Binnengewässer mit, keinen Steckmast und keinen festen Tiefgang von 1,2 m zu haben. Zur weiteren erfolgreichen Entwicklung der Jollenkreuzerklassen erschien im „Klassiker!“ 4/2009 ein ausführlicher Rückblick. Lesen! |
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![]() ![]() Links: 30qm Jolly dem 45er überlegen! (Schneller, tiefer, wohnlicher) - rechts: B 60 "Satan" segelt den bei Wind lange Jahre hindurch erfolgreichen 45er P 28 "Humba" aus. |
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Eine Klasse wird alt, wenn sich außer den Eignern der vorhandenen Boote, niemand mehr für sie interessiert und keiner mehr Neubauten in Auftrag gibt. Da man nun eine alt gewordene Klasse, von der überall noch viele alte und ältliche und manchmal auch auf modern und jugendlich zurechtgemachte Boote segeln, nicht einfach sang- und klanglos begraben kann, macht man sie offiziell zur Altersklasse. Man erteilt keine neuen Klassenscheine mehr und gibt den vorhandenen Booten Zeit, in aller Ruhe auszusterben. 1928 war es für die 60er und 125er soweit - sie wurden zu Altersklassen erklärt. Zu erwähnen sei noch, dass der Seglertag 1932 die 60qm-Alters-Klasse noch einmal zur vollwertigen Klasse erklärte, jedoch mit der Einschränkung, dass für Neubauten keine Klassenscheine mehr ausgestellt werden. Die 60qm Kreuzer gingen übrigens zum größten Teil in den Besitz des Marine-Regatta-Vereins in Kiel über.
Manchmal erleben alt gewordene Klassenboote noch einen zweiten und dritten Frühling. Ihre Wiedergeburt erlebten die 45er ab 1990. Die Martin-Werft in Radolfzell und später auch die Glas-Werft in Possenhofen boten formverleimte Neuauflagen dieses Klassikers an, bauten insgesamt über 20 moderne 45er und konnten sie im süddeutschen Raum verkaufen. Martin baute die 45er P 221 - P 235, Glas 45er P 236 - P 243.
Auch heute - 2011 - segeln noch viele 45er auf dem Bodensee, die Felder der Klassenregatten bleiben allerdings überschaubar. Die Neubauten dominieren, die älteren Boote sind durch ihre durchlebte Geschichte sehr vielfältig geriggt. Dass eine alte, unmodern gewordene Takelage vollständig abrasiert wird, dass aus dem schon betagten Rumpf neue, hochmoderne Segel hervorsprießen, ist für die 45er kein neues Phänomen, sondern begleitet die Klasse durch 100 Jahre Klassengeschichte.. |
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z.B. Passat Alte Yachten sind Schiffe mit Charakter und oft turbulenter Historie. So auch die „Passat“, ein früher 75er mit Heimathafen Meersburg: 1913 S. Kaiser gibt die „Boras“auf der Werft C. Engelbrecht in Zeuthen bei Berlin in Auftrag. Die Segelnummer ist O-4, Heimatrevier Berlin beim Verein Seglerhaus am Wannsee. In den 90er Jahren nimmt die Familie Volz die Regattatätigkeit auf. Anfänglich im Mittelfeld und letzten Drittel zuhause, arbeitet sich die “Passat”-Crew kontinuierlich nach vorne. So folgen schließlich mehrere Bodenseemeistertitel. Heute wird die “Passat” bereits in der zweiten und dritten Familiengeneration gesegelt. |
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Deutlich mehr Leben ist in der 75er Klasse! Die Vereinigung wurde Anfang der 60er Jahre gegründet, wichtige Aufgabe war es dann in den 70ern, neue Vorschriften für die 75er zu formulieren, um zu verhindern, dass zu „moderne“ Neubauten die Klasse aufmischen und auseinander dividieren. Mit Erfolg: Der Neubau „Artis“ von 1996 und auch die „Vinga“ (die ja eigentlich auch ein Neubau ist) passen durch ihre Bauweise - geplankt - zum Bestand der Klasse, segeln nicht automatisch als erste über die Ziellinie und sprengen so auch nicht die Klasse. Die 45er und 75er Klassenvereinigung werden den hundertsten Geburtstag der Nationalen Kreuzerklassen im Rahmen der Bodenseewoche vom 31.5. bis 3.6.2012 in Konstanz feiern.
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Nationale 45qm Kreuzerklasse Nationale 60qm Kreuzerklasse Nationale 75qm Kreuzerklasse Nationale 125qm Kreuzerklasse |
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