Reviere
Eine Segelfahrt über die märkischen Gewässer nach Teupitz

1904


Ausgeführt in der Zeit vom 6. bis 14. September 1904 durch den Kapitän und Steuermann der Segelyacht "Najade" vom S.-C. "Ahoi" zu Grünau in der Mark.


Schon geraume Zeit vor Antritt der Bootsreise wurde mit Begeisterung das Programm gemacht und der Wunschzettel aufgestellt, welcher alle die vielen Dinge enthielt, die zur seglerischen Ausrüstung, zur Verproviantierung und zur Bequemlichkeit der Mannschaft erforderlich waren und der von Tag zu Tag länger wurde. Die „Najade" wurde zur Sicherheit noch an Land gezogen und etwas nachgedichtet. Segelmacher und Seiler wurden in Bewegung gesetzt, die Vorräte an Hanfund Drahtseilen , Wantenspannern , Karabinerhaken, Schäkeln, Dichtungsmaterial etc. wurden ergänzt, die Segel, stehendes und laufendes Gut, der Flaschenzug, das Handwerkszeug, Anker nebst Kette u. s. w., kurz, das ganze Fahrzeug mit Zubehör, in allen Teilen auf das genaueste geprüft. Dann wurden eifrig Lebensmittel und Getränke, deren Reichhaltigkeit und Güte bei den Seglern ja sprichwörtlich ist, in dem geräumigen Bauche des Schiffleins verstaut, zwei Kochapparate bereitgestellt, ein grosses Blechgefäss mit Brennspiritus, Vorrat an Oel und Petroleum für Anker-, Positions- und Handlaternen herangeschafft und letztere sorgsam gefüllt und fertig gemacht. Nachdem noch Schlafzeug, Krimstecher, Barometer, Lot, ein Hand-kompass, Nebelhorn, Signalpfeife, photographischer Apparat, eine gute Karte der zu durchsegelnden Wasserläufe — selbst Briefpapier und Liederbuch waren nicht vergessen —, sowie Trinkwasser an Bord gebracht, das Beiboot „Krabbe" nebst Riemen klar und am Heck festgemacht war, meldete „Stüermann Heinrich" dem „Kappen" „Alles klar". Darauf wurde bei entblössten Häuptern mit Wünschen für glückliche Fahrt unter kräftigem Hip-Hip-Hurrah ein nagelneuer Stander gesetzt, und bei strammem Südost stachen wir mit vollem Zeug am 6. September mittags — diesmal zwar nicht in See, sondern in den Langen See, das schöne waldumkränzte Gewässer, welches sich ca. 7 km von Grünau bis nach Schmöckwitz erstreckt.

Lustig flatterte unser leuchtend weisser Stander mit dem schrägen roten Kreuz am Masttop, und bei dichtgeholten Schooten rauschte die .Najade", die in ihrem glänzend weissen Gewände mit blauer Bugverzierung, mit ihrem tiefbraunen Kajütenaufbau und funkelnden Messingteilen ein schmuckes Bild darbot, bei hellem Sonnenschein durch die blaugrauen, schaumgekrönten Wellen, eine schöne Bugwelle aufwühlend und eine hohe Wacht hinterlassend. Die „Krabbe" machte sich durch ein regelmässiges Rauschen hinter uns bemerkbar.

Da die „Najade", ein Seekutter mit von vorn bis hinten durchgehendem Kiel, von sieben Segellängen und 1,10 m Tiefgang, sehr steif ist, hatten wir, wie schon erwähnt, volles Zeug gesetzt. Der Wind legte aber beständig zu, und schon nach 5 km Fahrt sahen wir uns genötigt, Fock- und Grosssegel zu reffen. Da unsere Fahrt zunächst hauptsächlich nach Südost gerichtet war, musste gekreuzt werden, und zwar in kurzen Schlägen, so dass wir die Schönheit der Fahrt in vollen Zügen gemessen konnten. Der Müggelturm und die Bismarckwarte grüssten stolz herab von den Bergen. Bald waren die Tiirmchen unseres Klubhauses verschwunden, Carolinenhof und Müggelheim ausser Sicht. Der malerische Anblick der Zugbrücke von Schmöckwitz mahnte uns daran, die Segel niederzuholen; glatt ging es durch die Brücke, und nach wenigen Minuten, nachdem der Wind etwas geschralt halte, kreuzten wir weiter über den schönen Zeuthener-See, vorüber an den reizenden, aus dem dunklen Grün der Gärten hervorlugenden Villen des östlichen Ufers, eine schöne Waldpartie auf dem anderen Ufer. Plötzlich wird der Ruf laut: „Wo ist unsere „Krabbe"?" Sie war verschwunden; glücklicherweise entdeckten wir sie in nicht grosser Entfernung. War ihr die Verbindung mit uns nicht sympathisch, oder gefiel es ihr besonders bei den ausgelegten Netzen der Zeuthener Fischer, genug: sie hatte sich von uns getrennt und trieb sich allein auf dem Zeuthener See umher, bis wir sie, zurücksegelnd erwischten, und in sicheren Gewahrsam nahmen, sie von da an stets mit Misstrauen als Aus-reisserin betrachtend, die jede sich bietende Gelegenheit zum Entwischen sicher benutzen würde.

Schmaler wurde das Wasser; die Dahme hatte ihren Charakter als Fluss wieder angenommen. Rechts vor uns lag die junge Kolonie Wildau, bestehend aus den sauberen roten Fabrikgebäuden nebst Beamten-und Arbeiterwohnhäusern der Schwartzkopff'schen Maschinenfabrik, kenntlich an ihrem weithin sichtbaren Wasserturm nebst riesigem Schornstein, aus grösserer Entfernung einem sauberen Spielzeug ähnlich, das aus einer Schachtel aufgebaut schien. Dann folgten links die weissbestäubten Gebäude der Cementfabrik von Nieder-Lehme mit einem kirchturmartigen Bau. Die Wiesen zu beiden Seiten der Flussufer strömten einen erfrischenden Heuduft aus, denn die Landleute waren mit der Grummeternte beschäftigt. Der Wind Hess nach und wir mussten für einige Zeit zum Staken greifen, dem beim Segler zwar nicht beliebten, aber als Ersatz für die Segel in unseren Gewässern zuweilen doch unentbehrlichen Hilfsmittel. Lautlos glitten „Najade" und „Krabbe" noch ein Weilchen dahin, bis die Eisenbahnbrücke bei Neu-Mühle uns ein energisches Halt gebot. Hier wurde der Mast gelegt, eine Arbeit, die den Segler wegen des mit ihr meist verbundenen mehr oder weniger bedeutenden Zeitverlustes und ihrer Umständlichkeit verdriesst, die aber bei rüstigem Anfassen bald erledigt war. Da es inzwischen dunkel geworden war, stakten wir bis zu der Einmündung des Mühlgrabens von Neu-Mühle in die Dame, wo wir kurz vor der Schleuse an einer Landzunge einen sehr geschützten Liegeplatz fanden. Hier wurde fest gemacht, der Mast wieder gesetzt, und gegen neun Uhr abends das Mittagbrot bereitet. Da unsere Mägen schon sehr ungeduldig waren, beschränkten wir uns in unserem Menü für diesesmal auf ein umfangreiches Rührei mit Speck und Pellkartoffeln nebst Kompott. Dann wurde von unserem Weissbier getrunken, dem einige Cognacs folgten. Nachdem Kochgeschirr, Teller und Essbestecke gerade wie daheim bei Muttern - mit heissem Sodawasser gereinigt, abgetrocknet und wieder an Ort gebracht waren, verkündeten bläuliche Tabakswolken in der Kajüte, dass die Arbeit beendet und für den ermüdeten Segler die Stunde der Ruhe gekommen sei.


Im Hafen

Da unser an der Zwischenwand zwischen Kajüte und Vorderschiff befestigter Wandleuchter uns an seinem Standort nicht für alle Zwecke genügte, improvisierte „Stüermann Heinrich" aus einer flachen Cigarrenkiste durch ein in den Deckel derselben geschnittenes Loch, in welches die Kerze gesteckt wurde, einen sehr brauchbaren transportablen Handleuchter.

Bei heiteren Gesprächen und einem durch Leibniz-Cakes verschönten Tee, der, wie in der Anekdote von dem bekannten Forstkandidaten, aus möglichst wenig Tee, dafür aber aus möglichst viel Rum bestand, ging der Rest des Abends dahin. Es wurde noch die am Mast befestigte Laterne, welche seit Anbruch der Dunkelheit leuchtete, geprüft, das Fahrzeug mit einem von der Spitze der Yacht bis zum Heck reichenden wasserdichten Persenning bedeckt, und nachdem man durch einen Blick auf den sternenhellen Himmel noch die Hoffnung auf gutes Wetter für den nächsten Tag geschöpft hatte, wurde das erste Nachtlager an Bord bezogen.

Nach erquickendem Schlaf wurde am nächsten Morgen mittelst Beibootes aus einem nahegelegenen Hause frisches Trinkwasser beschafft, sowie etwas Eis zur Kühlung von frischem Fleisch und Getränken an Bord genommen. Duftender heisser Mokka nebst Zwieback, sowie Butterbrot mit Honig bildete die erste nervenanregende Stärkung, der ein substantielleres Frühstück bald folgte. Dann wurden wir für 2 Mk. Gebühr nebst 20 Pf. für Deklaration und 25 Pf. Trinkgeld durchgeschleust, und bei sehr unbeständigem, springendem, meist widrigen Wind wurde durch die Stabe, einen schmalen Wasserlauf an dem uralten prächtigen Wusterhausener Tiergarten mit herrlichen alten Bäumen, sowie an der historischen Husarenecke vorüber, über den Krimnick- und Krüpelsee gekreuzt. Da die vorgerückte Jahreszeit, in welche unsere Reise fiel, sich durch reine Luft und dadurch bedingte grosse Fernsicht auszeichnet, uns überdies eine strahlende Sonne leuchtete, die in den ersten Tagen sogar recht warm herabschien, wurde diese Kreuzfahrt zu einem herrlichen Genuss. Die Windstärke betrug im Durchschnitt 7 m in der Sekunde, und so hatten wir eine recht flotte Fahrt. Zahlreiche Böen, die zwischendurch einsetzten, nahmen unsere Aufmerksamkeit völlig in Anspruch, so dass wir uns über Untätigkeit während der Fahrt nicht zu beklagen hatten. Die Kreuzfahrt über die schöne grosse Wasserfläche dieser beiden Seen mit ihren bewaldeten Ufern, rechts dem Dorfe Senzig mit Ziegelei, Sandschurre und Miniatur-Eisenbahn, links mit Zernsdorf nebst einer Eisenbahnbrücke im Hintergrunde, der Cablower Mühle und zum Schluss Cablow, bilden eine der angenehmsten Erinnerungen dieser Reise.

Bald hinter Cablow verengt sich das Wasser wieder zu einem schmalen Flusslauf, der, plötzlich in einem rechten Winkel nach Süden abbrechend, uns bei allmählich nachlassendem Winde zwang, 5 km weit, bis Gussow, einem Vorwerk nebst Fischerhaus, wieder den stakenden Zillenschiffern Konkurrenz zu machen. Ein liebliches landschaftliches Bild war es, das sich uns zu beiden Seiten des Flusslaufes bot; hohes Rohr und Schilf rahmten die Ufer ein, hin und wieder einen Blick auf saftige Wiesen mit dunklem Waldhintergrund öffnend. Malerisch lagen einzelne Gehöfte, meist Fischerhütten oder kleine Schiffswerften, am Ufer hin verstreut. Würziger Heu- und Waldesduft wehte zu uns herüber. Wenn bei untergehender Sonne der Abendfrieden auf die Landschaft herniedersinkt, und wir unser Fahrzeug bei gutem flachen Stakgrund in diesen schmalen Wasserläufen durch den langen Schifferzweizack besser vorwärts brachten, als bei Flaute unter vergeblichen Anstrengungen zu kreuzen, versöhnte man sich zeitweilig mit jener für den Segler ungewöhnlichen Art der Fortbewegung, besonders wenn man bei dem wunderbaren Naturgenuss empfand, dass der Zweck der Fahrt nicht allein Segeln, sondern Erholung in freier Natur war.

Hier, bei Gussow, wurde gegen 6 Uhr nachmittags Halt gemacht, Thee nebst kräftigem Imbiss eingenommen, die Laternen in Ordnung gebracht und dann über den Dolgensee weiter gesegelt, weil wir diesen vor Einbruch der Nacht noch hinter uns haben wollten. Wir hatten aber nicht genügend damit gerechnet, dass die Dunkelheit in dieser Jahreszeit sehr früh eintritt; überdies lies der Wind sehr bald nach, und die weiss-leuchtenden Häuser am anderen Ende des Sees, die wir beim Steuern als Zielpunkt ins Auge gefasst hatten, wurden von Minute zu Minute undeutlicher und waren selbst mit dem Fernglas nicht mehr zu erkennen. Eine schwache Brise ermöglichte uns ein langsames Kreuzen, und in Ermangelung eines sichtbaren Zielpunktes gerieten wir schliesslich auf Grund. Wir befanden uns, wie wir später erfuhren, auf einer Baggerkante an der Einfahrt vom Dolgensee nach Dolgen-brodt. Die Schiffahrtszeichen an dieser Stelle waren in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Ein Fischer aus D., dessen Ruderschläge hörbar wurden, hatte unsere umherirrenden und endlich stillstehenden Lichter gesehen und war uns zu Hilfe gekommen. An Hand seiner Anweisungen kamen wir von unserem „Landsitz" frei und gelangten an einen bequemen Liegeplatz bei D., nachdem wir uns mit dem Fischer gemeinschaftlich an einigen „kühlen Blonden" von Bord zu Bord gelabt hatten.


Auf der Fahrt

Infolge des dürren Sommers war der Wasserstand der märkischen Gewässer etwa um 80 cm. gegen das Durchschnittsniveau gefallen, und es war deshalb kein Wunder, dass wir mit der „Najade-' hin und wieder auf Grund gerieten, in einzelnen Fällen, wie wir später sehen werden, sogar in recht bedenklicher Weise.

Hier, am Dolgenbrodter Fischerstrand, entströmte unserer Kajüte bald der verlockende Duft vom Braten eines guten Filets, nachdem zuvor eine Krebssuppe ihre feinsten Atome in Dunstform in die Luft gesandt, unsere Geruchsnerven gereizt und unseren Appetit auf die kommenden Genüsse vorbereitet hatte. Der Stüermann schälte mit seinem Taschenmesser Kartoffeln, während der Kaptän das Kochen besorgte. Auch ein feines Aprikosen-Kompott fehlte unserem Diner nicht, ebenso Käse und Obst; ein Schälchen Mocca und Likör bildeten den Schluss. Bei Rauchwölkchen einer Havanna überliessen wir uns der Ruhe, bis wir allmählich — Heinrich im Vorderschiff, der Kaptän im Hinterschiff — unser Nachtlager aufschlugen, um sofort fest einzuschlafen, indem Gott Morpheus ein beginnendes Gespräch vom Vorderschiff zur Kajütte über Japan und Russland plötzlich abbrach.

Am nächsten Morgen sah der Kaptän beim Erwachen nach der Uhr; sie zeigte 1/2 7. Da wir keine Eile hatten und ausruhen wollten, wurde noch ein halbes Stündchen weiterge-schlummert. Aber o Schreck: beim Erwachen bemerkte Stüermann Heinrich, dass es bereits 3/4 10Uhr war also die Uhr des Kaptäns auch geschlafen hatte. Heinrich hatte im Vorderschiff unter der geschlossenen Klappe des vorderen Luks von der Sonne nichts sehen können, und ebensowenig der „Kappen" unter dem Plane, welcher das Fahrzeug einschliesslich der Kajütfenster überdeckte. Als wir uns von unserem „blühenden Lager" erhoben und sahen, wie die Ankerlaterne mit ihrer gegen das Sonnenlicht vergeblich kämpfenden Flamme gewissermassen höhnisch auf uns herablachte, schämten wir uns ob unserer Verschlafenheit bis in unsere innersten zehn Silbergroschen hinein. Schnell wurden die Segelsäcke, die uns als Kopfkissen gedient hatten, nebst Decken etc. verstaut, Toilette gemacht, Wasser besorgt, Kaffe gekocht, und bald segelten wir in flotter Fahrt weiter.


In engem Revier

Vorüber ging es zunächst an den kleinen Häuschen von Dolgenbrodt auf sehr gewundenem schmalen Wasserwege, dann folgte Prieros und Prierosbrück, und nun gelangten wir auf den Schmölde-See, eine langgestreckte, nicht sehr breite Wasserfläche, deren hohe Ufer von herrlichem Hochwald, dicht am Wasser mit Birken gemischt, eingefasst werden. Dies ist die in Berliner Wassersportskreisen wegen ihrer landschaftlichen Schönheit berühmte Duberow, d. i. die Königliche Forst zur rechten Seite der Fahrt; der Wald auf der anderen (westlichen) Seite heisst die Königlich Hammersche Forst. In der Duberow, nach welcher bereits König Friedrich Wilhelm I. von seinem Jagd-schloss Königswusterhausen aus Jagdausflüge unternahm, finden noch jetzt Hofjagden statt, an denen Se. Majestät der Kaiser teilnimmt.

Die lachenden Ufer laden bei warmem Wetter zum Halten ein, und hier hat im vorigen Sommer der Kaptän der „Najade" mit seiner Yacht in grösserer Seglergesellschaft an einem heissen Tage im kühlen Waldesschatten eine herrliche Mittagsrast gehalten, die zu seinen schönsten Erinnerungen an Segelbootsreisen gehört.

Ueber den Schmölde-See ging es in glatter Fahrt bei kräftiger Brise. Auf dem Hölzernen See, der nun folgte, so genannt von den Verschiffungen gefällter Hölzer, die von einer Bucht desselben aus stattfinden, hatten wir halben Wind, der jetzt mit vollen Backen blies und uns bei vollem Zeug in toller Fahrt über den ganzen schäumenden See bis zur Ziehbrücke bei der Försterei Neubrück fegte, dass unsere Seglerherzen vor Freude höher schlugen und wir in lautes Jauchzen ausbrachen. Das mit voller Kraft fahrende Motorboot eines Königlichen Wasserbauinspektors, welches wir anfangs in grösserer Entfernung vor uns sichteten, war schnell eingeholt und blieb bald weit hinter uns zurück. Bei dem strammen Winde mussten wir beim Passieren der genannten Brücke zum Niederlegen der Segel in Deckung gehen; jenseits der Brücke ebenfalls, und als wir die Segel wieder zu setzen im Begriffe sind, beginnt es leise zu regnen. Der Himmel bezieht sich, soweit man sehen kann, mit einem dichten, gleich-massigen Grau, und um 3 Uhr nachmittags setzt ein starker Landregen ein, der bis Nachts um 4 Uhr anhält. Natürlich mussten wir in der Bucht, in der wir hinter der Brücke am Anfang des Kl. Köris-Sees festgemacht hatten, liegen bleiben. Schnell wurde unser schützendes Regendach über Vorderschiff, Kajüte und Cockpit ausgebreitet und an allen Seiten gut verzurrt, und der herrliche Anlauf, den unsere Segelfahrt an diesem Tage genommen hatte, wurde auf diese Weise jäh unterbrochen. Nun, wir trösteten uns damit, dass wir ausnahmsweise einmal bei Tage anstatt, wie gewöhnlich, abends 10 Uhr dinieren konnten. Anders hatten wir sonst die Zeit zum Speisen nicht wählen können, weil die „Najade" mit ihrem Bruttogewicht von ca. 120 Zentnern mit Grosssegel, Stagfock und Klüver eigentlich drei Mann zur Bedienung erfordert, und wir zwei Mann allein mit dem Segeln genug zu tun hatten, sodass an ein Zubereiten oder Einnehmen von Mahlzeiten während der Fahrt nicht zu denken war. Und bei den kurzen Tagen des September wollten wir die Zeit zum Segeln bei Tage nach Möglichkeit ausnutzen.

Jetzt wurden unserem Proviantvorrat einige unscheinbare Pappschachteln und Blechbüchsen entnommen, deren Inhalt sich aber später als recht schmackhafte, für die gegebenen Verhältnisse teils sogar „schlemmerhafte Sachen" erwiesen. Nach einiger Zeit dampfte vor uns die herrlichste Tapioca-Julienne-Suppe mit Bouillon von äusserst würzigem Aroma; dann folgte Leipziger Allerlei mit gekochtem Schinken, sowie Hasenbraten mit Bratkartoffeln, einige gute Sachen aus dem Rumtopf, Schweizerkäse mit Pumpernickel, und Birnen, Kaffee, Likör, Havanna. Bei Hiller, Unter den Linden, kann es nicht besser schmecken! Wenn nur das infame Abwaschen des Geschirrs und das ewige Hocken und Kriechen in der Kajüte nicht wäre, die nur Sitzhöhe hat! Dass bei dem beschränkten Raum in derselben einmal eine Kasserole mit kochendem Wasser oder mit heisser Suppe oder eine Flasche mit Trinkwasser umgeworfen wird, einige Eier zerdrückt, die Hände von dem Kochtopf russig werden und in der Eile damit das Brot berührt wird, darf unter den obwaltenden Umständen natürlich nicht genieren; schmecken tut es doch!

Bei der Siesta, zu der wir bei dem strömenden Regen verurteilt waren, wurde eifrig gegenseitig scherzhafte Kritik geübt an den Leistungen der vergangenen Tage. Dem Kapitän wurde eine Vorlesung gehalten, dass Salzkartoffeln nicht ohne Salz gekocht werden, und Speck nicht mit Butter gebraten wird. Der Stüermann dagegen musste erfahren, dass es nicht gerade dringend notwendig sei, bei starkem Winde während des Segelsetzens allen Ernstes den Spiritusbehälter auf seinen richtigen Inhalt zu prüfen, indem man den bekannten kubischen Inhalt unserer Abfüllflasche von 1 Liter unter Zugrundelegung vom Radius des Blechgefässes von schätzungsweise 12 cm nach der Formel r 2II mal Höhe der Blechkanne mit dem berechneten kubischen Inhalt der letzteren vergleicht. Solche und ähnliche Ulkereien zeitigte die Gefangenschaft unter Deck.

Ungeduldig, zu erfahren, was die Post für uns gebracht habe, die wir nach Poillon's Gasthaus nach Klein-Köris hatten dirigieren lassen, entschloss sich Heinrich, trotz der weitgeöffneten Schleusen des Himmels, die uns billiger zu stehen kamen als das Durchschleusen bei Neue-Mühle, im Oelanzug und Südwester auf der „Krabbe" bei Dunkelwerden nach dem anderen Ende des Kl. Köris-Sees zu Poillon zu rudern. Der Kapitän wechselte mit ihm von der „Najade" aus während der Fahrt hörbare Signale, um festzustellen, auf welche Hörweite man sich verständigen könne, um ihm bei der Rückfahrt, die bei voller Dunkelheit erwartet wurde, erforderlichen Falles einen Anhalt für die Richtung zu geben. Gleichzeitig wurde auf der „Najade" eine Signallaterne gesetzt und mittelst zeitweiligen Verdeckens des Lichtes ein Blinkfeuer nach Art desjenigen der Leuchttürme eingerichtet. Nach einer knappen Stunde wurde auf der „Najade" der fröhliche Ruf „Ahoi" vernommen und die Lichter der „Krabbe" bemerkt. Bald darauf stieg Heinrich, shwefelgelb anzusehen und vom Regen triefend, wieder an Bord und brachte vergnügt eine umfangreiche Post aus der räumlich nahen, durch unsere mehrtägige Abgeschlossenheit aber uns geistig ferngewordenen Heimat.

Da es empfindlich kühl geworden war, heizten wir die Kajüte mittelst zweier Spiritusfeuer und erwärmten uns innerlich durch eine beträchtliche Anzahl richtiger Seemannsgrogs, bis wir die richtige Bettschwere erlangt hatten, um dann, in warmen Unterkleidern, in das Reich Morpheus einzugehen.

Lass Dich, lieber jüngerer Segelkamerad, beim Leser dieser Zeilen die eingehende Schilderung der Einzelheiten über Verproviantierung und Verpflegung, sowie über sonstige Details der Fahrt nicht verdriessen; sie sollen dazu dienen, dem auf solcher Bootsreise noch wenig bewanderten und mit den Wasserverhältnissen der beschriebenen Fahrt nicht vertrauten Segler zu nützen, damit ihm mancherlei Unbequemlichkeiten erspart werden und der Qenuss der Reise möglichst wenig verkürzt wird.

Hinsichtlich der Ausrüstung sei noch erwähnt, dass selbst ein sogenannter „Salon-Fliegenfänger", ein Pappschächtelchen mit herausziehbarem Streifen mit Fliegenleim, auf dem Boote, auf welchem Lebensmittel aufbewahrt werden und gekocht wird, unentbehrlich ist.

Der anbrechende Tag, ein Freitag, sollte nach dem Aberglauben der Schiffer trotz strahlender Sonne und flotter Brise auch uns sein Pensum Missgeschick nicht vorenthalten. Nach der erforderlichen Stärkung kreuzten wir lustig über den Kl.-Köris-See auf Poillon's Haus zu. Im Geiste sahen wir uns abends schon am Ziel unserer Fahrt in Teupitz an Land bei saftigem Rebhuhn mit Sauerkohl schmausend, doch es kam anders. Als wir beim Kreuzen nahe dem westlichen Ufer des Kl.-Köris-Sees — etwa am Giebel-Luch — gerade eine elegante Wende machen wollten, gab, wie schon wiederholt geschehen, die „Krabbe" unserer „Najade" einen freundschaftlichen Stoss in den Rücken, ein Zeichen, dass wir festsassen. Alle Versuche, die Yacht mittels Segel und Staken wieder flott zu machen, waren vergeblich. Sie sass mit dem Kiel seiner ganzen Länge nach ca. 20 cm tief fest im Sande. Weder nach rück- oder vorwärts, noch nach rechts oder links Hess sie sich bewegen. Der Anker wurde an einem Tau nach rückwärts ausgefahren, er hatte jedoch nicht gefasst, sondern wurde über den Grund bis an das Heck geschleift. Um ihn schwerer zu machen, wurde an ihm die Kette und an dieser zur Verlängerung ein Tau befestigt, unter entsprechender Verlängerung der Ankerbojenleine. Jetzt aber reichte die Kraft unserer Arme nicht mehr aus.

Der dreischeibige Flaschenzug wurde am Mast befestigt, und mit aller Kraft wurde geholt, jedoch nicht lange, dann war auch diese zu Ende. Wir waren trotz des starken Windes in Schweiss gebadet und sahen die gewöhnlichen Hilfsmittel erschöpft. In's Wasser zu steigen und das Boot anzuheben, war bei unserem Zustande nicht ratsam. Heinrich umfuhr auf der „Krabbe" die „Najade", den Kiel mit dem Bootshaken daraufhin untersuchend, wo der erstere sich am tiefsten eingegraben hatte:. Das Ergebnis war nicht tröstlich. Ueberall, von vorn bis hinten, 20 cm tief im Sande, in der Mitte sogar noch etwas tiefer. Wir waren schon entschlossen, unsere 22 Ctr. Ballast in einzelnen Stücken mittelst des Beibootes an Land zu schaffen, um die „Najade" zu leichtern und freizubekommen, als wir noch auf den Gedanken kamen, die Yacht durch heftige Erschütterungen von der Klüverbaumnock aus locker zu machen. Der Kaptän stellte sich auf die genannte Stelle und es gelang zu unserer grossen Freude tatsächlich, durch heftiges Auf- und Niederbewegen des Klüverbaumes die „Najade" nach zweistündiger Anstrengung flott zu machen. Vorsichtig fuhren wir nun zu Poillon; nach einer daselbst eingenommenen Stärkung ging es weiter. Jetzt kamen wir an die berüchtigte Durchfahrt vom Kl. Köris-See in das Fliess, welches zum Kleinen und Grossen Modder-See führt. Wieder bekamen wir von der „Krabbe" den ominösen Stoss in den Rücken, doch bald ging es weiter. Auf dem Kleinen Moddersee aber wurde uns .beinahe die ganze Reise verleidet, denn trotzdem wir die durch Bojen abgesteckte Fahrstrasse streng innehielten, sassen wir auf demselben fünfmal fest. Der Boden ist Morast, und der Staken sinkt beim Einstossen ins Unergründliche. Zieht man ihn heraus, so reisst man das Boot nach entgegengesetzter Richtung, und der zähe, schwarze Schlamm, der ihn gänzlich bedeckt, ist schwer zu entfernen. Auf fremde Hilfe ist dort schlecht zu rechnen, denn Dampfer oder Motorfahrzeuge kommen um diese Jahreszeit, besonders bei dem niedrigen Wasserstande, nicht dorthin, und ein Fischerkahn war weit und breit nicht zu sehen. Beim letzten Aufbrummen fuhren wir ein Tau von etwa 120 m Länge, welches wir durch Zusammenbinden von 3 Enden hergestellt hatten, mittelst Beibootes an Land. Da das Ufer morastig war, musste der Stüermann, der Schuhe und Strümpfe ausgezogen hatte, die Bodenbretter des Beibootes in ziemlichen Entfernungen von einander auf Land werfen, um in grossen Sprüngen eine Stelle zu finden, auf der er, immer noch bis an die Knöchel in den Morast einsinkend, festen Fuss fassen konnte. Beim Anziehen des Taues, das am Poller hinter dem Klüverbaum festgemacht war, löste sich der eine Stek, welcher zwei Enden mit einander verbunden hatte, und wir mussten, das Tau über den modderigen Grund schleifend, die ganze vorige Uebung wiederholen. Endlich bewegte sich die „Najade" beim Anholen vom Land aus seitwärts, und erleichtert atmeten wir auf, den Schweiss von der Stirne wischend. Jetzt gaben wir das Segeln in diesen flachen Gewässern auf. Ueber den nun folgenden grossen Modder-See wurde unter Vorspann der „Krabbe" gerudert, ebenso über das nun folgende Fliess, den Schulzen-See und einige hundert Meter weiter bis zur Ziehbrücke von Gross-Köris. Hier bezogen wir Nachtquartier. Nachdem wir uns an Bord durch Speise und Trank gekräftigt, fühlten wir das Bedürfnis, an Land zu gehen, um einmal wieder andere Menschen zu sehen und anderes Bier zu trinken. Es war schon 9 Uhr Abends, als wir unsere schwimmende Wohnung verliessen, um — jeder mit einer grossen Korbflasche versehen — an dem erhöhten Ufer am Rande von Kartoffelfeldern vorsichtig mit den Füssen tastend, in der Dunkelheit im Dorf ein Gasthaus zu suchen. In der „Post" fanden wir auch eine gute Unterkunft. Der joviale Wirt, eine behäbige, für den deutschen Dorfwirt typische Erscheinung, war sehr entgegenkommend, füllte uns unsere Flaschen mit frischem Trinkwasser und den Abend über seine leeren Biergläser unermüdlich — wie oft, will ich nicht verrathen — mit vorzüglichem Patzen-hofer Bier. Eine urwüchsige Zwiesprache, oder, nachdem wir den „Dressel" von Klein-Köris eingeladen hatten, bei uns Platz zu nehmen, Dreisprache, nahm Beginn. Hier sah man, wie schnell und weit die moderne Kultur sich verbreitet; sie fährt heutzutage anscheinend per Automobil. Die Räume des jüngst renovirten Gasthauses waren mit Acetylengas prächtig erleuchtet, und die, wenn auch schlichte Innenausstattung im Stil der Secession gehalten. Dazu gut gepflegtes Bier aus einer der ersten Berliner Brauereien, der Wirt ein gewandter Ganymed, wie in grossstädtischen Restaurants. Und doch war der Gesamteindruck nicht der eines missglückten Versuches, die Hauptstadt nachzuahmen, sondern das Milieu atmete Ruhe, Behaglichkeit und Urwüchsigkeit in seinen Dimensionen und Grössenverhältnissen, etwa wie ein altes Jagdschloss.

Nachdem wir unser Bedürfnis, einmal anderes Bier zu trinken, in reichlichem Maasse befriedigt, dasjenige aber, andere Menschen zu sehen, nur hinsichtlich dieses einen Exemplares gestillt und noch ein prosaisches Pfund Butter bei unserem Gastwirt eingekauft hatten, kehrten wir im Dunkel der Nacht nach unserem Hotel „Najade" zurück, geleitet von dem Lichtschein unserer Ankerlaterne, die hoch oben von der Dirk uns den Weg durch das Dorf zeigte, und ohne die wir leicht von dem schmalen Raine an den Kartoffelfeldern ins Wasser hätten fallen können.

Am Sonnabend früh wagten wir, nachdem wir an der Eisenbahnbrücke den Mast gelegt und hinter derselben wieder gesetzt hatten, durch die Erfahrungen des Unglückstages gewitzigt, über die nächsten Gewässer überhaupt nicht zu segeln, sondern wir schleppten die „Najade" mittelst vorgelegten Beibootes über den Zemmin-See und stakten dann durch den lieblichen Mochheidegraben, von dessen Ufern aus Erlengebüsch abwechselnd mit Nadelbäumen unser Boot während der Fahrt fast berührten, bis zur Kette, bei welcher der Besitzer des Teupitzer Sees nach mittelalterlicher Art von dem Wanderer einen Zoll erhebt — 1,50 Mk. pro Segelyacht für den Aufenthalt von drei Tagen.

Hier, am Eingang zum Teupitzer See, legten wir einstweilen an. Nach dem Mittagessen fuhr der Kapitän auf der „Krabbe" in das nächste Dorf, vom Steuermann gerudert, um einige Lebensmittel einzukaufen. Das Wasser war am Ufer so flach, dass Heinrich mit nackten Füssen ins Wasser stieg und die Jolle eine lange Strecke weit über den Grund an Land ziehen musste? ein Schicksal, das zwei an der Landungsstelle liegenden Ruderbooten ebenfalls widerfahren war, wie die in dem klaren Wasser auf dem Grunde sichtbaren Spuren erkennen Hessen. Am folgenden Sonntag Morgen machten wir eine Fusspartie nach der Duberow, interessant durch die Prinzenlaube, den Reiherhorst, die Saubucht und das zahlreiche Wild, von welchem die Forst belebt wird. Wir sahen zuweilen Rudel von etwa 120 Hirschen und 40—50 Wildschweinen. Am Nachmittag kehrten wir auf unser Boot zurück und kreuzten bei massigem Winde auf unser Reiseziel „Tornows Idyll" zu. Bei Dunkelwerden trafen wir daselbst ein, von dem uns bekannten Wirt, Herrn T., freundlich begrüsst, der von uns wegen der idyllisch schönen Gartenanlagen seiner am Ufer des Teupitzer Sees gelegenen prächtigen Besitzung mit Blumen-, Obst- und Gemüsegarten, Park, Wald und Terrassen mit zahlreichen, höchst originell angelegten Ruheplätzen und Aussichtspunkten „Herr Idyll" getauft worden war. Hier gingen wir an Land und stärkten uns an zwei auf briefliche Bestellung für uns geschossenen Rebhühnern mit Sauerkohl; letzterer war jedoch nicht geschossen. Dazu Hessen wir uns einige Flaschen besonders kräftigen Rotweins kredenzen. Nachdem wir in launiger Unterhaltung mit „anderen Menschen" und bei Gesang mit eigenhändigem Klavierspiel in uns das Bewusstsein wieder erweckt hatten, dass es doch auch sehr angenehm sei, auf Land zu leben, anstatt meistens zu kreuzen, aufzubrummen und zu staken, sanken wir, hochbefriedigt von den Genüssen des Tages, jeder in einem behaglichen Logirzimmer, in ein bequemes Bett bei Herrn Idyll, um recht behaglich auszuschlafen.

Am nächsten Morgen — Montag früh — rüsteten wir, da die Urlaubszeit schon ziemlich vorgeschritten war, ohne Zeitverlust zur Heimreise. Durch einen per Rad beritten gemachten Boten des Herrn Tornow Hessen wir aus dem am anderen Ufer des Sees belegenen Teupitz, der kleinsten Stadt Deutschlands, mit 300 Einwohnern, Koteletts und Butter einkaufen. Im Uebrigen erstanden wir von unserem Gastwirt einen jungen Hahn, den wir in gekochtem Zustande mitnahmen, um ihn unterwegs zu braten, für Muttern ein grosses Landbrot, sowie ein reichliches Quantum prächtiger Aepfel und Birnen. Nachdem Alles an Bord verstaut war, wurde der Heimatswimpel gesetzt und der Wind, der uns auf der Hinfahrt hartnäckig zu kreuzen gezwungen und uns vielen Zeitverlust verursacht hatte, wurde jetzt unser Verbündeter und brachte uns schnell vorwärts, am ersten Tage bis Dolgenbrodt, zu derselben Stelle, an der wir auf der Hinreise gelandet waren.

Ueber die gefürchteten beiden Modder-Seen haben wir auf der Rückreise die „Najade" vorsichtshalber geschleppt und es ging dieses Mal Alles ohne Aufsitzen ab. Durch das Fliess vom Kleinen Modder-See bis zum Kl. Köris-See wurde gesegelt. In letzterem, kurz vor Poillon, hörten wir wieder den verhängnisvollen Stoss der „Krabbe" am Heck, der uns schliesslich nervös machte. Es war aber nur ein gelindes Festsitzen, der stramme Wind brachte uns schnell wieder los. In der Stagfock war bei dieser Gelegenheit eine kleine Beschädigung entstanden. Wir Hessen die „Najade" an betreffender Stelle vor Anker liegen, warfen die Fock in die Jolle, fuhren zu Poillon an Land, tranken dort Kaffee, und während Heinrich das Segel flickte, spielte ihm der Kapitän zur Erleichterung der Arbeit etwas auf dem automatischen Klavier vor, die Musik durch Solotänze ergänzend. Bei solcher Unterhaltung wurde die Arbeit bald fertig, und schnell schifften wir uns ein, um den Wind noch auszunutzen, ehe er einschlief.

Am Montag Abend kaufte der Kapitän in einem Gasthause von Dolgenbrodt eine Mandel frischer Eier ein, resp. liess solche durch die Dienstmagd des Gastwirts im Dorfe beschaffen: Zum Lohn für solche Gefälligkeit versprach der Kapitän dem Wirt, mit seinem Reisegefährten nach dem Abendessen bei ihm einige Gläser Bier zu trinken. Dieses Versprechen musste gehalten werden, so schwer es uns auch wurde. Beim Betreten des Hauses strömte uns ein penetranter Terpentingeruch entgegen, der uns fast den Atem benahm. Die Türen, Fenster und Tische wurden gerade von dem Maler, der nur in den Abendstunden für diese Arbeit Zeit hatte, gestrichen. In der „guten Stube", in der wir als die Honoratioren Platz genommen hatten, stand eine Auswahl Farbentöpfe, alsHauptstück unter ihnen — wie der König unter den Kegeln - ein graubrauner, irdener Henkeltopf, wie er auf dem Lande häufig zu finden ist, aber zu anderen Zwecken als zum Anrühren von Oelfarben benutzt wird. Dem anstoss-endenSchenkraum entströmte ein Duft, der aus Geruch von Fusel, Petroleum, Härin-gen,Leder und Stiefelwichse gemischt war. Dazu die dunklen, schmutzigen Gestalten von 6—8 Flossknechten, Schiffern, Fuhrleuten und Arbeitern von einer benachbarten kleinen Werft mit dem herrlichen Getön ihrer zarten, edlen Sprache. Ausserdem eine qualmende, verstaubte Petroleumlampe, eine mürrisch dreinschauende Wirtin, und im Honoratiorenzimmer lag auf dem geblümten, kattunüberzogenen Sofa schnarchend der „Hiller" von Dolgenbrodt, gar lieblich anzuschauen.

Heinrich, der dicht bei dem Musikautomaten sass, speiste diesen, weil ihm dieser Ort zum Schlafen des Hausherrn nicht geeignet schien, in bewundernswerter Ausdauer mit 5-Pfg-Stücken, wofür das Instrument uns seine gesamten Melodien zum Besten gab. Die Noten zu letzteren befanden sich in dem unteren Teile des automatischen Musikanten als kreisförmige Blechplatten. Heinrich hatte sofort das ganze Eisenblechlager mobil gemacht und liess, indem er den Apparat selbst bediente, ein Stack nach dem anderen spielen, darunter herzerquickende Sachen, wie „KommKarlineken komm", „Wir sind die Sänger von Finsterwalde", „Mensch was hast du für ne Weste an", „Der Abendstern-' etc. etc., ein Zeitvertreib, der uns den Terpentingeruch sowie die übertriebene Wärme des Bieres, mit welcher der menschenfreundliche Wirt allem Anschein nach einer Magenerkältung bei uns vorbeugen wollte, auf kurze Zeit fast vergessen liess. Der Wirt quittirte für diesen Kunstgenuss durch andauerndes Schnarchen. Schliesslich aber, als noch dazu die Petroleumlampe ausging, siegte doch der bessere Mensch in uns, und wir gingen auch aus, über die betauten Wiesen, unserem Leuchtfeuer am Mast zustrebend, heim, und bald schliefen wir auf dem schwankenden Boot, vom Terpentingeruch, dem grossen Far-bentopf.Petro-leumlampen, Karlineken, Aufbrummen und glücklicher Heimfahrt träumend.

Der Dienstag brachte uns bis Neue-Mühle, wo wir beim Schleusen wieder daran erinnert wurden, dass der Sportssegler Geld in seinen Beutel auch für den Fiskus tun muss, wenn er in Binnengewässern auf Reisen geht.

Das Kotelett aus Teupitz erwies sich als ein grosses, vom Fleischer nicht zerkleinertes Stück, das wir mühsam vom Knochen befreien mussten, um es uns dann jedoch recht gut schmecken zu lassen Nach dem Mittagessen, welches bei Anbruch der Dunkelheit stattgefunden hatte, ging der Kapitän nach dem nahe gelegenen Städtchen Königs-Wusterhausen, um angesichts der bevorstehenden Heimkehr seinen äusseren Menschen verschönern zu lassen. Dem Verschönerungsrat, einer wandelnden Chronik von Königs-Wusterhausen und Nachbarschaft, verdanken wir die Kunde, dass der Besitzer des auf einer Halbinsel im See gelegenen Schlosses Teupitz in seinen Gärten einen Wein von Geschmack und Ruf hervorbringt, und dass das Schloss aus der Zeit des finstersten Mittelalters stammt. Nach der Sage hat der Turm mit seinem Fundament früher tief im Wasser gestanden, und im Innern desselben ragen aus den Wänden etwa l'/s m lange Messer hervor. Ueber diese sind in grauer Vorzeit Gefangene von oben herab in das Wasser geworfen worden, wo sie, von den Messern zerfleischt, ankamen.

Aehnliche interessante Historia wusste der genannte Figaro über das Jagdschloss Königs-Wusterhausen zu vermelden. Der Ursprung des Schlosses soll in die Wendenzeit zurückreichen, wie die l'/s m dicken Mauern der unteren Stockwerke vermuten lassen. Bei Bauarbeiten, die in neuerer Zeit am Schlosse vorgenommen wurden, ist ein Massengrab entdeckt worden, das auf Kämpfe hindeutet, die daselbst stattgefunden haben. Auch fehlt nicht der in solchen Schilderungen übliche geheimnisvolle unterirdische Gang, der im vorliegenden Falle sich bis Mittenwalde erstrecken soll, auf der Königs-Wusterhausener Seite aber zugemauert ist. Im Schloss wird ein Saal gezeigt, in dem König Friedrick Wilhelm I. mit seinem Tabakskollegium geweilt hat. Es sind noch die Einrichtung des Saales mit den Sesseln, Trinkbechern, Kohlenbecken zum Anzünden des Tabaks, sowie von der Hand des Königs herrührende Malereien zu sehen.

Am nächsten Morgen — Mittwoch — nach einem starken nächtlichen Regen zeigte der Himmel ein bleigraues Gesicht; es herrschte starker Nebel und fiel ein feiner durchdringender Regen bei schwachem widrigen Winde. Nachdem wir noch bei dem Schleusenmeister für uns angekommene Post in Empfang genommen hatten, Hessen wir uns, da sich gerade günstige Gelegenheit bot, den kurzen Rest des Weges mittelst Schleppzuges, an den wir die „Najade" anhängten, schleppen.

Das Wetter war herbstlich kalt und feucht geworden, und wir benutzten die ruhige Schleppfahrt, um unterwegs das Mittagsmahl und hinterher einen wärmenden Thee zu bereiten, und heizten unsere Kajüte, um uns abwechselnd darin zu wärmen, während ein Mann jeweilig an der Ruderpinne stand.

So kamen wir nachmittags wohlbehalten und vergnügt am Bootsstand unseres Clubhauses an, mit dem Bewusstsein, eine herrliche Ferienpartie gemacht zu haben, die uns Erholung und reichen Genuss und in sportlicher Beziehung viel Belehrung, wenn auch mit viel Arbeit verbunden, gewährt hat.

Die Clubkameraden hatten uns allgemein abgeraten, bei dem niedrigen Wasserstande die Fahrt zu unternehmen, und uns ein Misslingen prophezeit; gross aber ist die Freude, dass sie doch geglückt ist. Unsere „Najade" war das einzige Segelfahrzeug, welches um diese Zeit auf den beschriebenen Gewässern zu sehen war; es war aber einmal etwas Anderes, in vorgerückter Jahreszeit anstatt zu Pfingsten oder in den Hundstagen diese Excursion zu machen; die Arbeit wurde reichlich belohnt durch die entzückenden Fahrten und herrlichen Fernsichten der meisten Tage.

Berlin, September 1904.



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