Reviere
Havel und Segelsport.

1924


Das Klubheim des Potsdamer Segler-Vereins am Templiner See

"Seitdem um die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf der Stralauer Spree die ersten Binnen-Segelyachten auftauchten, hat der Berliner Segelsport von Jahrzehnt zu Jahrzehnt einen steigend wachsenden Aufschwung genommen. Besonders das 20. Jahrhundert hat, von Kriegs- und Nachkriegszeit fast unbeeinflusst, einen Aufstieg unseres herrlichen Sports gebracht,   wie   er   wohl   keinem   Segelrevier   Deutschlands   beschieden war. Der Gründe dafür sind mancherlei. In erster Linie natürlich das dauernde Anwachsen der Grossstadt Berlin und die ständig fortschreitende Verbesserung der Verkehrsmöglichkeiten. Dazu die ausserordentlich günstige Lage Berlins inmitten herrlicher, leicht erreichbarer Seenflächen.

Wer sich ein Bild machen will von der Bedeutung unseres Sports auf den Havelgewässern, der muss an einem schönen Sommertage vom Kaiser-Wilhelm-Turm oder von den Bergen beim Forsthause Templin sein Auge über die Havelseen schweifen lassen, und er wird einen unvergesslichen Anblick geniessen: blaue Flut, von grünen Ufern umsäumt; soweit das Auge reicht, bedeckt von weissen Segeln wie von einer Wolke von Schwänen! Wie eine festliche Huldigung glänzt dieses Bild, eine festliche Huldigung für unsere liebliche märkische Prinzessin, die anmutige Havel. Und wahrlich, sie verdient diese Huldigung. Zwar — Burgen und Rebenhügel geben ihr nicht das Geleit, Lieder und Sagen singen nicht von ihr, wie von ihrem stolzen Vetter, dem Ritter Rhein — aber wenn ihr die märkischen Segler nach der märkischen Schönen, nach der Maid mit den himmelklaren Augen, mit den Wiesenblumen und dem Aehrenkranz im Haar fragt, um die sie an sonnenhellen Sommertagen und in sternenstillen Nächten gewoben haben, dann werdet ihr auch ihren Ruhm tausendfach  erklingen  hören.

Was den Wandersegler zur Havel zieht, ist zunächst ein praktischer Grund. Unmittelbar vor den Toren Berlins beginnt für ihn sein Revier, auf dem er wochenlange Kreuz-und Querfahrten geniessen kann. Wichtiger aber sind für ihn ideale Motive. Seiner ganzen Anlage nach Naturschwärmer, Philosoph, Romantiker, geht es ihm mit der Havel   wie   Dr.  Faust  mit  dem  Mondenschein:  „Ach!  Könnt' ich doch, von allem Wissensqualm entladen, in Deinem Tau gesund mich baden!" Reizvolle Landschaftsbilder, stille, grüne Waldes- oder Schilfbuchten, in denen er träumt (oder angelt), friedliche, in grüne Gärten gebettete Dörfer, wo er nebenbei billig einkaufen kann und ein bodenständiges Wirtshaus findet. Das ist sein Ideal. Und alles das schenkt ihm in reichlicher Fülle die Havel. Welch' eine wachsende Mannigfaltigkeit allein der Landschaftsbilder von Spandau bis zum Plauer See! Der von grünen Waldbergen begleitete mächtige Strom zwischen Spandau und Wannsee, die liebliche Pfaueninsel, die stille Kirche von Sacrow, das pittoreske Stadtbild von Potsdam mit seinen Türmen, flankiert von der burgartigen Kriegsschule auf dem Brauhausberg und der römischen Ruine auf dem Pfingstberg, die still träumende Crampnitzbucht bei Nedlitz, dann südlich von Potsdam, in herrliche Seen gebettet, der langgestreckte Templiner See mit der malerischen Fernsicht auf Caputh und seine Höhen, der Schwielowsee, einem Hochlandsee vergleichbar, Werder, unbeschreiblich schön zur Zeit der Baumblüte, und dann das endlose Moor und Ried mit seinen Schilfwäldern und seinem Gewirr von Wasserarmen — grüne Ureinsamkeit, über der sich in der Ferne blauende Berge und schliesslich die machtvollen Türme der Brandenburger Kirchen zum Himmel recken. Dann der insel- und buchtenreiche   Plauer  See  und  hinter  Plane  bis  Pritzerbe echt  märkisches Land, Heide, Wiesen, Sand und friedvolle Dörfer. — Doch genug des Schwärmens. Unsere Regattasegler könnten sonst ungehalten werden und sich hintangesetzt fühlen, zumal doch ohne ihre Arbeit und ohne ihren Wetteifer der Segelsport es nie zu einer solchen Höhe gebracht hätte. Auch vom Standpunkt des Rennseglers aus kann man ohne Lokalpatriotismus sagen, dass die Havel, namentlich in der Nähe Berlins und Potsdams, ein geradezu ideales Segelrevier ist. Die breit- und langgestreckte Wasserfläche zwischen Spandau und Wannsee ist die klassische Stätte der Berliner Rennsegelei geworden. Alles, was des Rennseglers Herz begehrt, findet sich hier in reichem Masse. Eine Segelfläche in einer Längenausdehnung von mehreren Kilometern und reichlicher Breite, gute Am-Wind-Strecken bei jeder Windrichtung, Fahrwasser von genügender Tiefe, ein vorwärtsstrebendes Sportsleben mit zahlreichen Regatten, Neubauten usw. So ist es denn kein Wunder, dass die Wannseeregatten, die Frühjahrs- oder Herbstwochen nicht nur für den Berliner, sondern auch für den deutschen Segelsport von   ausschlaggebender   Bedeutung  geworden   sind.

Und wenn wir die   Zeichen der Zeit  deuten  sollen,  so darf   man   wohl   heute   schon   sagen,   dass   hierbei   die   Entwicklung des Segelsports auf der Havel nicht stehen bleiben wird. Nach dem Kriege  ist  neben  Wannsee  auch  Potsdam zu  einem   Mittelpunkt  des  Segelsports   geworden.    War  vor dem  grossen   Kriege auf dem  eigentlichen   Potsdamer Segelrevier,   dem    Templiner   See,   fast   nur   ausschliesslich   der Wandersegler und   Naturfreund  zu Hause,  so  hat auch  dort jetzt    eine    neue    Entwicklung   eingesetzt.      Der    Potsdamer Segler-Verein  hat  im  Verein  mit noch  drei  im  Westen   beheimateten    Vereinen,    dem    Brandenburgischen    Yacht-Club, dem Märkischen Yacht-Club und dem Segler-Verein  Brandenburg,   im  vorigen  Jahr die  Templiner-See-Woche  ins  Leben gerufen   und   damit   der   Rennsegelei   einen   neuen   Ansporn gegeben.   Schon der erste Versuch   im vorigen Jahr bedeutete einen  unbestrittenen  Erfolg.    Die  Beteiligung war unerwartet gross.    Ueber  100 Yachten  hatten  gemeldet, und  der sportliche    und    gesellschaftliche    Verlauf    der    Woche    hat    alle Teilnehmer  vollauf  befriedigt.    Deshalb  ist  es  zu  begrüssen, dass  die Templiner-See-Woche des vorigen  Jahres nicht nur ein Versuch geblieben ist, sondern in diesem Jahr wiederum, und   zwar   in  verstärktem   Masse   in   der    Pfingstwoche   vom 3. bis 9. Juni stattfindet.   Es ist zu hoffen, dass damit fortan die Templiner-See-Woche neben der Frühjahrs- oder Herbst-woche    des   Wannsees   zu   einem    zweiten    Brennpunkt   des seglerischen  Wetteifers  und  Ehrgeizes auf  der Havel werden wird.    Mit   Freude  können   wir  heute   dieses  Vorwärts-  und Aufwärtsstreben  im engeren  Kreise   unseres   Männer   und Charaktere   bildenden    Sports   begrüssen... Ihr Segler der Havel,  Glück  auf!"



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