Reviere
Auf blauer See // Teil V

1910


Moens Klint

Reisebriefe von P. Staerck-Coburi


Sonntag — ein herrlicher Tag. Abends wieder „Tivoli". Noch mehr belebt, noch interessanter. Man braucht wirklich nichts weiter zu tun, als auf einer Bank sich niederzulassen und zu beobachten. Im Andersen-Konzert verlebten wir einige sehr schöne Stunden bei trefflicher Musik und gutem Oel, und um VT2 Uhr bereitet uns ein Brillantfeuerwerk einen donnernden Abschied. Schade, dass wir morgen weiter müssen!

Um ein rundes Bild von Kopenhagen geben zu können, war unser Aufenthalt zu kurz. Wir reisen eben „im Fluge durch die Welt". Was wir aber sahen, hat uns gefallen. Waren es auch nur oberflächliche Eindrücke, sie riefen jedoch den Wunsch wach: Auf Wiedersehen, du schöne Hauptstadt Dänemarks, du glänzendes Koebenhavn!


Vor Anker bei Moen.

An Bord der Isolde, 13. Juli 09.
Brillante Fahrt gestern. Sonne und stetiger Wind. Um 6 Uhr sind wir nahe an den Kreidefelsen von Moen, ein prächtiger Anblick gleich dem Rügens. Um 7 Uhr, meinen wir, sind wir in dem kleinen Nothafen Klintholm. Und plötzlich verdunkelt sich die Sonne. „Aha, wir kriegen eine Regenböe", meint der Kaptein. Es kam anders. Unter den Kreidefelsen von „Moens Klint" tritt völlige Flaute ein. Kein Lüftchen regt sich mehr, dagegen treibt uns eine starke Dünung entgegen, die uns fast zurückbringt. Die bekannte knarrende Musik des Grosssegels hat begonnen, unerträglich wie die Flaute selbst. Wir sitzen fest und kommen nicht weiter. Es wird 7 Uhr, S Uhr. Besorgt schauen wir uns Moens Klint an. Endlich geht's weiter. Das Schlingern hört aut, wir haben wieder etwas Fahrt. Das Leuchtfeuer von muss umsegelt werden, und wir kreuzen und kreuzen gegen den immer stärker werdenden Wind. Es wird dunkel. Wo steckt nur der kleine Hafen, der, wie das Segelhandbuch sagt, noch nicht einmal Lichter hat? Vergebens schauen wir durch die Gläser. Kräftige Spritzer kommen über Deck und lassen sie immer wieder erblinden.

Dicht an Steuerbordseite liegt das Land, finster und drohend. Kein Licht. Nichts. Aber die See wird immer gröber, und das Wasser spült das Deck. „Wenn wir bei diesem Wetter jetzt festrennen, sind wir verratzt!" brummt der Kaptein. Der Besahn muss weg, es hilft aber alles nichts. „Ringe vom Grosssegel!" brüllt der Kaptein. Sturmfock! Beinahe haben wir Sturm, und wir irren hier herum in Finsternis und Unwetter. ... Bei solcher Dunkelheit einen fremden Hafen anzulaufen, ist Leichtsinn, noch dazu die Einfahrt durch nichts markiert ist. „Zurück"' schreit Alfred. Wir kehren um. An den Fleck, wo die Windstille war, an die Ostseite der Küste, geschützt von den Felsen. Um 10 Uhr sind wir da, werfen Anker und liegen endlich 1/2 12 Uhr in den Kojen. Eine nette Dünung hier! Es ist unmöglich, zu schlafen. Draussen heult ein gewaltiger Sturm, pfeift in der Takelage, das Bilgewasser unten im Schiffsraum und die Süsswassertanks bullern, und glucksend schlägt die See an Isoldes Planken. Dazu das ungemütliche Gefühl, nicht im Besitze des vorschriftsmässigen Ankergeschirrs zu sein. Der grosse Anker samt der Kette wurde uns ja vor Bornholm beim Adlergrund-Feuerschiff abgerissen. Uns hält der kleinere Anker an einem Tau. Um 1 Uhr sehe ich hinaus, ob wir noch an der Küste liegen. Um 2 Uhr nochmals. All right! Gegen 3 Uhr endlich siegt die Müdigkeit. Mit dem einen Bein mich festhaltend, um nicht herauszufallen, schlafe ich ein und erwache erst gegen 6 Uhr, trotz des Bullerns, Stöhnens, Krachens, Klapperns im Innern, trotz Sturm und Wogendrang. Heute nun, um 8 Uhr früh, sind wir nochmals um den Leuchtturm herum, uns den Weg zu erzwingen. Umsonst. Gegen den wütenden Wind, den hohen Seegang hilft auch kein Kreuzen mehr. Zum zweiten Male kehrten wir um, an dieselbe Stelle. Neben uns liegen einige Yachten und Fischerboote, sie können nicht fort, gleich uns. Vor kurzer Zeit noch im lauten Getriebe der Grossstadt, jetzt Notanker angesichts der Felsenwildnis Moens!


Moen.

An Bord der Isolde, 14. Juli 1909.
Noch immer liegen wir hier. Heute früh versuchten wir es abermals, um den Leuchtturm herumzukommen. Die anderen Yachten waren vor uns bereits fort. Wahrscheinlich haben sie anderen Kurs. Dicht gerefft los! Bei der berühmten Ecke pfiff es uns entgegen — natürlich entgegen. Wollen wir nach Südwesten, so haben wir Südwest-Wind, wollen wir nach Nordosten, so haben wir Nordost-Wind. Und immer gleich tagelang. Eine deutsche Yacht, die das gleiche Ziel hatte wie wir, würgte sich bis Klintholmhafen durch und war nun so klug wie zuvor. Wir kreuzen gegen den wütenden Wind, den Seegang. Aber nicht lange. Das Deck der Isolde liegt 3/4 senkrecht, Grosssegel und Besahn fegen in dem aufgeregten Wasser, fast wirbelt es schon ins Cockpit hinein. Wieder umdrehen! Zum dritten Male. Es ist zum Verzweifeln.

Wir haben allmählich doch Sehnsucht nach Hause bekommen. — Gestern machten wir einen Ausflug. Fürs Land ist das Wetter ja schön. Gewaltig ragen Moens Kreideklippen malerisch ins blaue Meer hinein. Da bieten sich prachtvolle, romantische Bilder, sowohl unten am Strand, wie oben auf der Höhe dieser Berge. Merkwürdig ist ein kleines Matterhorn: „Sommerspiret". Ein kühner Felsenzacken, nackt und wild sich aufbäumend, weiss schimmernd gleich einem marmornen Turme. Entzückend die Blicke auf die aus dunklem Grün emporschiessenden Felsen, das unendliche Meer mit seinen sturmgepeitschten Wellenkronen und dann wieder auf stimmungsreiches Waldesdunkel. Auf grünbemoostem Pfade wandern wir. Blumen duften am Wege, Gräser nicken und Buchengrün umdämmert uns. Wie Gruss aus der Heimat mutet's mich an. Home, sweet home!
Gefangen auf einer nordischen Zauberinsel,
Kampfmüd' und sonnverbrannt,
Fern an der Dänen Strand,
Waldgrünes Thüringland,
Denk' ich an Dich!

Und liebkosend streichen die Hände über zitternde Zweige, durch goldene Aehrenflut. Weizenfelder wogen i gesegnetem Land, friedlich weidet das Vieh; überall ei_. Grünen und Blühen. Reizend liegen Gehöfte, sämtlich mit Strohdächern, Windmühlen und Hütten versteckt im Grün, aus den Essen wirbelt bläulich der Rauch. Abend will es werden, als wir beim Leuchtfeuer von Moens Klint stehen und hinausschauen auf die tief unten brandende stahlblaue See. Unweit am Strande liegt ein Wrack, wogenumspült, traurig, ein ernstes memento mori. Schon beginnt es zu dunkeln, als wir durch die Wälder unserem Schifflein wieder zustreben. Kokett schaukelt es und reitet vor seinem Anker. Wann wirst du uns weitertragen?

Heute sind die Kameraden wieder an Land, und ich blieb, wie so oft schon, an Bord. Ein ruhiger, wohltuender Nachmittag. Im Schutze der Küste spürt man nicht viel von dem starken Südwest-Wind, eine Studie ist sogar entstanden, und soeben kommen der Kaptein und der Stüermann in unserem Boot wieder an. Der Kaptein meint: „Also, Paulchen, morgen wird losgefahren, und wenn der ganze Kasten zum Deubel geht!" Mir ist's recht. Doch hoffentlich geht der „Kasten" nicht zum Deubel. Denn in diesem Falle auszusteigen und einfach mit der nächsten Elektrischen heimzufahren — oha, dös stimmt fei net!


Gjedser

An Bord der Isolde, im Hafen von Gjedser, 15. Juli 09. Wenn mich früher jemand gefragt hätte, wo Gjedser liegt, und mir für die richtige Antwort 100 Mark geboten hätte, so würde ich ihm höchstwahrscheinlich die Antwort und er mir die 100 Mark schuldig geblieben sein. Jetzt weiss ich, wo Gjedser liegt, ganz genau sogar. Aber nun wird sich niemand bereit finden lassen, mir meine schöne, präzise Antwort zu honorieren. So geht's in der Welt. Immer anders als man denkt. Also, wo liegt Gjedser, was ist Gjedser, wie sieht Gjedser aus, und wie kommen wir überhaupt nach Gjedser? ad 1. Gjedser liegt an der Südspitze der Insel Falster (dänisch), ad 2, Gjedser ist ein Nest, ad 3. Gjedser sieht eigentlich überhaupt nicht aus, ad 4. wir mussten Gjedser anlaufen auf unserer Tour von Moen nach Deutschland. Und warum liefen wir Gjedser an ? Weil wir wieder mal den Wind von der Seite hatten, wohin wir gerade wollten.


Hurra, es gibt gutes Wetter! Paula kommt nach oben!

Eines zeichnet jedoch Gjedser aus. Es ist Hafenstation für die riesigen Trajektdampfer, die die Eisenbahnzüge von Warnemünde nach hier bringen. Von Gjedser aus fährt die Bahn weiter, wieder über eine Fähre zwischen den Inseln Falster und Seeland, nach Kopenhagen. Im übrigen sind die Sehenswürdigkeiten von Gjedser bald erschöpft. Wir kauften etwas Lebensmittel, als wir heute nachmittag ankamen, und gingen wieder an Bord. Unter anderem hat Alfred sich einen Vorrat Käse eingekauft, mit dem er beinahe ein Viktualiengeschäft beginnen könnte. Der „süsse Hanni" hatte auch sofort einen Namen für diese Speise: „Käse Maria Stuart". Nach der Bedeutung seiner dunklen Weisheit gefragt, sagt er beim Kosten: „Besser als sein Ruf". Soll heissen: „Geruch".

Heute früh versuchten wir also zum viertenmal, das Leuchtfeuer von Moens Klint zu umschiffen. Und siehe, es gelang. Gelang, ohne dass der „Kasten zum Deubel ging". Merkwürdig nur, dieser ewige widrige Wind. Zwar sagen die Gefährten, das sei gerade sportlich interessant. Mag sein. Ich mit meinem einfachen Laienverstand sage mir aber: Erstens dauert's länger, weil man kreuzen muss. Zweitens ist's auf Deck ungemütlich, weil fortwährend Spritzer über den Bug kommen, und drittens ist's unten erst recht nicht auszuhalten. Das Boot liegt schief, und die Bewegungen des Fahrens machen sich hier am meisten bemerkbar. Wo sind die schönen Tage von Aranjuez, da wir im Cockpit hockten bei Sonne, steter prächtiger Brise und urfidelem Frühschoppen ? Stürmisch kalt, aufgeregte See, es ist eben ungemütlich. Heute also auch wieder starke, zum Teil böige Südwest-Winde, so dass ich es vorzog, den grössten Teil der Fahrt unten zuzubringen. Im Hafen von Gjedser, wo wir um 4 Uhr landeten, war's sehr ruhig. Ein wirklich wundervolles Gefühl, mal ohne Wackelei an Bord zu sein. Und Alfred meint: „Kinder, so ideal haben wir noch nie gelegen !" Ich muss aufhören. Die beiden Genossen, die oben sitzen und sich an den Reizen von Gjedser ergötzen, schreien nach Brot: „Paula, Paulinchen! Was machen denn die Kartoffeln ?"

Heute gibt's nämlich Kartoffeln, Speck und Zwiebel. Warum man mich jetzt Paula nennt? Nun, „ein jeder Jüngling hat einmal 'nen Hang zum Küchenpersonal", singt Wilhelm Busch. Und die zwei hungrigen Jünglinge da oben machen keine Ausnahme. „Auf der See wird man roh, aber schön", sagt Alfred. Aber offenbar bin ich mehr schön als roh geworden, denn sonst würde man in mir keine Mamsell sehen. Reizend, wie sie jetzt wieder süss flöten: „Paulinchen! Was machen denn die Kartoffeln ?" Ich versichere zum zweitenmal, daß ich sie doch nicht fertig pusten könne, höre aber nun wirklich auf, denn die Kartoffeln kochen. Dass die Einsamkeit des Bordlebens psychologisch ihre Spuren hinterlässt, ist erklärlich. Dass man aber nicht mehr weiss, ob man ein Männlein oder ein Fräulein ist, das ist eine Gemeinheit!


Der Heimat zu.

An Bord der Isolde, vor Warnemünde, 16. Juli 09. Das war noch eine schöne Nacht! Um halb zwölf Uhr erwache ich von einem furchtbaren Stoss. Ich springe auf, öffne die Luke und blicke hinaus. Der Hafen aufgeregt, der Anker vom Grund losgerissen und Isolde gegen das Bollwerk geschleudert. O Alfredo, du bester aller Kapitäne, du hast zu früh gejubelt über unseren idealen Platz. Alle Mann an Deck! Raus aus den Dunstkapseln! Alles zieht wenigstens eine Hose an und stürzt hinaus. Ein kräftiger Südwest umheult uns, schmatzend, klatschend schlagen schwarze Wellen an unser Schiff. Zunächst wird Isolde vom Bollwerk freigemacht, dann wird der Anker völlig gehoben, der Kaptein springt in das rollende, tanzende Beiboot, nimmt ihn hinein und fährt ihn wieder aus. Das ist bald geschehen. Der Anker klatscht in die Tiefe, Isolde wird am Tau verholt und liegt wieder vorschriftsmässig. Der Seegang lässt aber vermuten, dass er wieder aus-reisst. Alfred sagt daher, er wolle vorläufig oben bleiben, wir sollten nur wieder herunter zur Koje. Nachdem wir anstandshalber edelmütig versichert, dass das auf keinen Fall anginge, und der Kaptein behauptete, wir seien hier oben doch unnütz, krochen wir schmunzelnd ins warme Bett, was jedenfalls recht nützlich war. Kaum zehn Minuten vergehen, als Alfred wieder an der Luke erscheint: „Ja, Jungens, es wird immer toller draussen! Wir müssen Ankerwache halten. Jedesmal zwei Stunden. Wer will die erste Wache übernehmen ?" Diesmal verzichte ich auf jegliche edelmütige Regung und tue, als ob ich schlafe. Und wirklich kriecht Johannes aus seiner Koje. In zwei Stunden bin ich also dran. Hm. Ich schlafe ein. Im Halbschlummer höre ich oder meine wenigstens zu hören, wie die beiden oben heruntertrapsen. Aber niemand weckt mich. Schon ist's wieder hell. Und als ich völlig erwache, ist's 7 Uhr. Die Gefährten liegen in ihren Kojen. Und heute habe ich noch nicht gewagt, nach der „Ankerwache" zu fragen, um die ich mich so schnöde gedrückt. Das böse Gewissen ...

Heute wollten wir um 4 Uhr auf, um Travemünde zu erreichen. Wir standen um 9 auf und fahren nach Warnemünde mit günstigem Wind. Bis Travemünde wären wir bei dieser Windrichtung heute doch nicht gekommen. Schon ist das Land wieder nahe, das deutsche Land! Die Kameraden sind lustig, und als ich eben an Deck erscheine, jubelt Johannes: „Hurra, es gibt gutes Wetter! Paula kommt nach oben!" Demnach habe ich zwei Funktionen: die der Küchenmamsell und die des Laubfrosches. Wat ut 'n Minschen doch allens werden kann!


Original von Geo Wolters. Holländische Kuif.

In einer halben Stunde sind wir in Warnemünde. Und morgen geht's nach Travemünde. Die letzte Fahrt mit Isolde. Von da soll's wieder heim! Den Weg zwischen beiden Orten kennen meine Leser. Die Erlebnisse sind zu Ende und die Reisebriefe auch. Gerade vier Wochen waren wir unterwegs, in Leid und Freud, in Sturm und Wetter und Sonne und Licht, an Bord und an Land drei wackere Kameraden. Und Dank dir, Isolde, die du uns so treulich getragen! Ein tüchtig Schifflein, erprobt im Kampf, hast du manch Schweres überstanden und bist hervorgegangen, zwar nicht mehr so unschuldsweiss wie am ersten Tage, doch ohne jeden ernsten Schaden. Ein gutes Zeichen. Nur geringe Stunden noch, dann drücken wir uns die Hand: Lebt wohl, Kameraden. Es war eine schöne Zeit, rauh, frisch und kräftig, gleich dem Seewind, der die Wogen peitscht. Die Heimat ruft. Leb' wohl auch du, du blaues Meer!



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