Reviere
Auf blauer See // Teil IV

1910


Reisebriefe von P. Staerck-Coburi


Natürlich bemüht man sich immer wieder krampfhaft, Europas übertünchte Höflichkeit auf das Bordleben zu übertragen, indessen scheitern die Versuche oft an der unerbittlichen Wirklichkeit

Ein hartes, aber kerniges Dasein erzeugt kernige Worte und kernige Menschen. Der ständige Aufenthalt in freier Luft hat sich auf unsere Gesichter und Hände eingebrannt. Wir haben Farben bekommen gleich Indianern, der Appetit ist von bemerkenswerter Güte, der Durst nicht minder, der Schlaf ist vorzüglich, trotz der harten Matratzen, lauter Anzeichen von trefflichster Gesundheit, Beweise von dem wohltätigen Einfluss der Seeluft und der Arbeit auf den Organismus. Auch der Humor ist meist vorhanden, der in jedem gesunden Menschen steckt. Schon haben wir uns gegenseitig mit hervorragenden Eigenschaften geneckt. Alfred ist der Mann mit dem blödsinnigen Durst, Johannes der Mann mit der unüberwindlichen Arbeitsscheu, Paulchen der Mann mit der geradezu lächerlichen Neigung zum weiblichen Geschlecht. Manchmal wechseln wir auch ab in unserem Charakter, und Johannes' innige Liebe zu seiner Koje, die er morgens nur notgedrungen verlässt, findet in uns begeisterte Anhänger. Welcher gesunde Mensch schläft nicht gern ?


Besuch an Bord.

An Bord der Isolde, 9. Juli 1909 zwischen Trelleborg und Kopenhagen.
Also am 7., vorgestern, kamen Alfred und Johannes mit der Nachricht zurück, dass wir Besuch bekommen. Ein Doktor aus Berlin lag mit seiner kleinen Segelyacht Ingrid, in der nur er und ein Bootsmann waren, im Hafen und besuchte uns. Nun heisst es, das Innere der Isolde aufklaren, oben klar Schiff machen, kochen, und wer weiss was noch. Der Doktor ist ein bekannter Segler, und da darf man sich nicht blamieren. Es war sehr nett. Menü: Steinbutt, den wir in Hammerhafen noch zu lächerlichem Preis gekauft, Kartoffeln und Butter. Abends kommt noch eine deutsche Yacht Ariadne vom Stettiner Yacht-Club nach
Ystad. Besatzung: vier Herren und zwei Bootsleute. Wir lernen sie kennen und auch ihr Schiff, geräumig, bequem und gut eingerichtet. Kojen sind drin — Kojen — „zweischläfrig" behauptet Alfred. Abends ist die ganze Gesellschaft — die „crews" von Ariadne, Ingrid und Isolde — wieder in „Nörre Promenaden" zum Konzert. Da um 11 Uhr zugemacht wird — abscheulich solide —, so lassen wir uns eine Batterie Flaschen, eingeteilt in Reserve und Landwehr, auf den Tisch pflanzen. Ueber unsere Nationalität ist füglich niemand im Zweifel. Zum Schluss gingen wir noch einmal an Bord der Ariadne, um nach guter deutscher Sitte ,,immer noch eins" zu trinken. Folgend eine Einladung für den nächsten Morgen, 10 Uhr, an Bord der Isolde.

Der Kaptein war um 1/2 9 Uhr wach, fluchte wie ein Stadtsoldat über seinen „Oelkopp", den er absolut ins Wasser stecken wollte, um die etwas grobe See zu beruhigen, — ja man ist nicht umsonst der „Mann des blödsinnigen Durstes!" — und um 10 Uhr war die Ariadne-Mannschaft da. Es gab Wein und Trinksprüche und um 12 Uhr empfahl sich der Besuch, der freilich bei uns sich etwas mehr quetschen musste als beim heimatlichen Kahn. Alfred, der Ehemann der Isolde, schwur, er würde sie als „Aeppelkahn" verkaufen. Ihn freuten die bequemen Einrichtungen von Ariadne und vor allem natürlich die Kojen. Nachdem ich ihm aber klar gemacht, dass auf solchem Lustlager Johannes alsdann überhaupt morgens nicht erwachen würde, sondern sich höchstens erkundigen, was es als Abendbrot heute gibt, sah er es ein, dass er unrecht hatte, und bat seine Isolde um Verzeihung. Ganz ausgesöhnt war er, als wir dann schneidig den Ystader Hafen verliessen, um Trelleborg zu erreichen. Die Fahrt war langweilig. Flautiger Wind, teilweise sogar völlige Stille, und eine ekelhafte Dünung der See, lange rollende Wellen, so dass Isolde schlingerte wie noch nie. Um ein Haar wurden wir seekrank. Kann sein, dass auch der Frühschoppen schuld war . . . Abends um y2ll Uhr waren wir in Trelleborg, gingen sofort zu Bett und fuhren heute 1/i7 Uhr weiter, bei konträrem Wind, ziemlichem Seegang, veränderlichem Wetter. Wir sind in Höhe des Feuerschiffes Drogden, haben den grössten Teil der Fahrt hinter uns und hoffen noch abends Kopenhagen zu erreichen. Auf diese grosse Stadt von 500 000 Einwohnern freuen wir uns mächtig, und bald kann ich von ihr erzählen. Bis dahin adio!

Nachschrift. Kopenhagen, 10. Juli 1909. Alle Wetter, war das gestern noch eine schneidige Fahrt! Stürmisches Wetter, Wind von vorn, Spritzer über Deck, und das letztere in halbem rechten Winkel schief liegend! Bei Dragör nahmen wir einen Lotsen an Bord (8 Uhr abends), der uns sicher nach Kopenhagen führt. Kopenhagen! Himmel, ist es hier schön! Doch noch schöner als in Lohme, wo Alfred Fürst von Putbus war. Und nun nochmals adio!


Kopenhagen.

An Bord der Isolde, zwischen Kopenhagen und Moen, 12. Juli 09.
Es geht südwärts, trotz des wenig günstigen Windes machen wir eine glänzende Fahrt. In der Ferne ragt das Falsterbo-Riff-Feuerschiff, der letzte Gruss vom schwedischen Land. Noch einmal laufen wir Dänemark an (Moen), dann geht's Deutschland wieder entgegen! Kopenhagen! Noch sehe ich dich auftauchen aus der See mit deinen Türmen, deinem Häusermeer, im bläulichen Abendschimmer. In unwahrscheinlicher Grösse, eine riesige Leuchtkugel, stand die rote scheidende Sonne hinter der Kuppel der Marmorkirche, indessen Isolde, stark geneigt durch Wind und Wellen, stampfte. Und dennoch wurde es finster, ehe wir den schützenden Hafen erreichten. Das ewige Kreuzen gegen konträren Wind hält unglaublich auf.

Am anderen Tage, Sonnabend, 10. Juli, macht die „crew" der Isolde sich landfein. Diesmal zieht Paulchen ein reines Hemd an, Johannes flickt sich die Sonntagsnachmittagsausgehehose, die irgendein bedauerliches Malheur gehabt, und Alfred rasiert sich. Zuletzt kauft sich Johannes ein Paar neue Schnürsenkel für seine gelben Halbschuhe und bindet sie zu zierlichen Schleifchen; diese Schleifchen bilden nun den Gipfelpunkt seiner Eleganz. Zunächst gehen wir ins deutsche Konsulat, wo verschiedene Postsachen unser harren, und dann bummeln wir durch die Strassen. Das auffallendste darin waren die schönen Mädchen. Kopenhagen ist bekannt dafür. Glänzende Läden, lebhafter Verkehr, prächtige Strassen geben Kopenhagen das Gepräge einer internationalen Grossstadt. Wie interessant, das wilde Seeleben mit einem Brennpunkt der Kultur vertauschen zu dürfen! Mit Wonne betritt man wieder Asphaltpflaster, mit Vergnügen hört man auf das vielfache wirre Geräusch des grossstädtischen Treibens, das Klingeln und Surren der Elektrischen, der „Koebenhavens Sporveie", das Knattern der Taxamotoren, das Trappeln mutiger Rosse. Es ist wirklich eine schöne Stadt, dieses Kopenhagen. Die Strassen breit, mit Grün bepflanzt, herrliche Plätze, ab und zu wieder ein Kanal, ein Hafen, daraus Schlote und Masten ragen. Freilich hatten wir auch ein Prachtwetter. Das gehört auch dazu, um das Bild der Fremde freundlich zu gestalten. Und noch etwas hat Kopenhagen, das es ganz besonders auszeichnet: Alan isst dort gut und billig. Mit den Getränken steht es — wenigstens für Deutsche — nicht so gut. Zwar erhält man fast überall das Oel, ein leichtes dänisches Bier. Der Preis pflegt überall derselbe zu sein : 25 Oere pro Flasche. Leider aber ist es den meisten Wirten nicht ganz klar, dass man dieses Oel auch pflegen und vor allem kaltstellen müsse. Es schmeckt — wenn kühl — gar nicht schlecht. Der svenska Punsch oder der Whisky mit Sodawasser sind meist tadellos, der Kaffee ist vorzüglich, in der bekannten zierlichen dänischen Art serviert, der Kuchen ausgezeichnet. Ich glaube, in Dänemark, speziell Koebenhaven, ist wohl sein, und uns schien, als seien die Kopenhagener recht lebenslustig. Das zeigt das "Tivoli" im stärksten Masse. Am Sonntag früh wurde das Thorwaldsen-Museum mit seinen reichen Skulpturensammlungen besucht, am Sonntag nachmittag fuhren wir mit der Strassenbahn nach Klampenborg, einem berühmten Seebade, reizend gelegen; ein Villenort grössten Stils, mit rauschendem Verkehr und tausend Gelegenheiten, um sich zu amüsieren. Und nun will ich noch ein bisschen vom Tivoli erzählen. Was das Tivoli ist? Ein Riesenpark, mit Etablissements, Tanzlokalen, Karussels, kurz, ein Vogelschiessen in eleganter Aufmachung, verbunden mit wirklich künstlerischen Genüssen.


Tivoli.

Ich glaube, Tivoli steht einzig da in der Welt. Was in diesem luxuriös eingerichteten Vergnügungspark für 50 Oere alles geboten wird, ist unglaublich, und nur die kolossale Menge der Besucher lässt die Rentabilität der Sache wahrscheinlich erscheinen. Sogar das Andersen-Konzert, ein feines Streichkonzert, ist frei. Die Tanzlokale' sind um 10 Oere zugänglich, das Tanzen ist unentgeltlich. Dabei sind die Preise für Speisen und Getränke einfach niedrig zu nennen. Einen Teller voll belegter smoerbrods, reizend appetitlich zurechtgemacht, findet man nur im Norden so. Wenn man bei uns sich belegte Brote bestellt, so sind sie dick, klobig und unelegant. Der Däne teilt sich die Sache, bringt alle möglichen delikaten Sächelchen auf dünne Schnittchen. Man isst daher nicht eine halbe Stunde Wurst und Wurst, sondern lauter deliziöses Krimskrams durcheinander. Der Däne zeigt in dieser Spezialität, dass es auch eine Aesthetik des Butterbrotes gibt.

Am Sonnabend waren wir also im Tivoli. Gott, diese Menschen! Alles durcheinander, Zivil und Militär, elegant und weniger, Welt und Halbwelt, Ein Strömen hin und zurück; die „crew" der Isolde steuerte mitten hindurch, mit unstetem Kurs, mal Nordost 1/8 Ost, mal Südwest 1/4 West. Das „Grossegel", unser Alfred, müsste gerefft werden. Es macht zuviel Fahrt, so dass das „Besahnsegel", der süsse Hanni, und die "Fock", Paulchen, nicht mehr mitkönnen. Infolgedessen liegt Isolde etwas schief und schlingert ein wenig. Aber wenn ein paar besonders hübsche junge Damen vorüber gehen und das Kommando tönt: „Klar zum Wenden!" — hei, wie da die Segel zusammen manövrieren und Isolde schneidig kreuzt! Schliesslich werden sämtliche Segel „gefiert" und Isolde geht vor Anker, in einem Varietee. Alfred schimpft über die Musik, die augenblicklich die Dollarprinzessin (!!!) spielt, behauptet, sie spiele dänisch, und will absolut dirigieren, aber deutsch! Das fällt unangenehm auf, und der Grossbaum des „Grosssegels", der, von einer heftigen musikalischen Böe erfasst, in der Luft herumschleudert, wird dicht geholt und festgelegt.

Die Leistungen einer Sängerin tut der Kaptein mit einem Wort ab: Nebelhorn! Ein Komiker tritt auf. Alfred versteht natürlich kein Wort davon, lacht aber unbändig, da alles andere auch lacht; sein Bravo! Da capo ! dröhnt zum Schluss gewaltig, so dass der Humorist sich tief nach dieser Seite verbeugt. Alfred meint: „Der hält uns sicher für Italiener!" Nachdem er dann noch versuchte, die Ouvertüre aus Isolde — von mür! — behauptet er stolz, zu pfeifen und hinterher — was eigentlich bedeutend genussreicher war — eine „Pause" zu dirigieren, hielten wir es an der Zeit, diesen Hafen zu verlassen. Der süsse Hanni sitzt am Ruder und steuert direkt in ein Tanzlokal hinein: „Olympia". 10 Oere Eintritt. Wirklich famos hier. Alfred tanzt wie ein junger Gott — was da — wie drei junge Götter. Errötend folgt er „ihren" Spuren, und — ward nicht mehr gesehen. Flaute ist eingetreten in unserer Stimmung, das „Grosssegel" ist davongeflogen, und langsam zieht Isolde mit "Fock" und "Besahn" davon. Zeit war's auch. (Schluss folgt.)



Seite schließen