Reviere
Auf blauer See // Teil II

1910


Reisebriefe von P. Staerck-Coburi


Im Greifswalder Bodden.

An Bord der Isolde, zwischen Rügen und Bornholm, 30. Juni. Lieber Gott, was habe ich alles zu erzählen, was haben wir alles erlebt, seitdem wir im Ratskeller zu Stralsund den letzten Schoppen Bier und den letzten Korn genossen, beides in vorzüglicher Qualität, beides für norddeutsche Verhältnisse lächerlich billig! Am Morgen des 25. Juni wird der Anker gelichtet, die Segel werden gesetzt, es geht wieder hinaus in die blaue See! Ein schwieriges Fahrwasser liegt vor uns, und die beiden Gefährten sind eifrigst mit Kompass, Seekarte und Steuer beschäftigt. Der Wind — SO — bläst gerade entgegengesetzt, und wir müssen deshalb ewig gegen ihn aufkreuzen. Ueberall, rechts und links, drohen Untiefen. Für mich, der ich in der Pantry bemüht bin, uns eine kräftige Rindfleischsuppe zu kochen, ist das ungemein störend. Das Wetter ist gut. Zu gut. Denn dass die Sonne den Wind totmachen würde, sollte sich nur zu bald bewahrheiten. Bald tritt (Völlige Flaute ein, die Sonne sticht unbarmherzig; sieh da, da hinten scheint sich etwas zusammenzubrauen! Es ist von höchstem Reize, wie das Gewitter uns näher rückt. Die Ferne mit den Stralsunder Türmen taucht unter in einem gefährlichen grauen Düster; näher und näher rast das Unwetter am Himmel. Die Gefährten benutzen den plötzlich aufgehenden Wind, um mit allen Segeln auszureissen. Das Gewitter hat jedoch schnellere Füsse. Es blitzt und donnert bereits in unserer Nähe, die Sonne hat sich längst versteckt, und ein kräftiger Regen setzt ein. Isolde neigt sich schwer auf die Seite, und ich bin eiligst dabei, unter Deck alles zu verstauen, als es zu mir herunter schreit: Alle Mann an Deck! Grosssegel bergen! Als das Deck erreicht ist, rast eine donnernde Gewitterböe über unser Schifflein. Die Segel sind zum Platzen voll. Alfred fiert das mächtige, wütend um sich schlagende Grosssegel, Johannes und ich packen die schleudernde Leinwand und ziehen sie mit Aufgebot der ganzen Kraft herunter. Auch mit den beiden kleineren Segeln, mit Fock und Besahn, tollt Isolde schon genug. Ein eigenes Gefühl. Rings um uns die graugrünen Wogen, über uns der finstere Himmel, zuckende Blitze, brüllender Donner, prasselnde Regengüsse. Und unter uns nur diese paar Planken, uns trennend von einem nassen Grab. Von unendlicher Schönheit, trotz des Ernstes der Situation, sind die Stimmungen des Himmels, die grandiosen Wolkenbildungen, und als nach einer Stunde die Sonne wieder durchbricht, war alles wie ein Traum. Nur das triefende Deck und unsere nasse Kleidung zeugen noch von den Schrecknissen der Wasserwüste. Bedächtig zieht Isolde weiter. Abermals lacht Frau Sonne — wechselndes Wetter gleich den Ereignissen des Lebens. Völlige Windstille tritt ein. Und als wir Palmer Ort (Feuerschiff) und Boje Ariadne passiert haben, müssen wir gegen Abend Anker werfen, neben einem grossen Schoner, der auch gleich uns von der Flaute überrascht war. Friedlich verbringen wir den Rest des Abends in endloser totenstiller Einsamkeit; ein Spiegel die blanke See, im heimlichen Dämmern der hellen Nacht.

Ein unendlich schöner Morgen weckt uns. Der Schoner ist bereits fort. Ganz verlassen liegt unsere Isolde im weiten Becken des Greifswalder Bodden. Und so schön wie der Morgen, so schön der Tag. Nähern wir uns doch Rügen! Der Kaptein, Alfred, setzt sein Dienstgesicht ab, der „Kahn" läuft ja ganz von selbst; wir sitzen im Cockpit an Deck, haben uns etwas Gutes zu trinken geholt und begeistern uns bei einem mehr andauernden als massigen Frühschoppen an der herrlichen Natur, an unserer Fahrt, am schönen Augenblick. Nutze die Stunde! Sie kehrt nicht wieder! Dort drüben grüssen bereits die Kreidefelsen, die Wälder und grünen Triften von Rügen, und gegen Mittag liegt Sassnitz vor uns, das berühmte Ostseebad; ein Bild, lieblich und reizvoll, wie ich es selten gesehen. Ein eigentümliches Zusammenspiel von See, Bergen, Wäldern und hellen Häusern, Übergossen vom lichten Sonnensein. Der Hafen ist gross und trefflich gebaut. Und als wir uns verankert hatten, glaubten wir dem schönen Rügen einige Tage opfern zu müssen. Und wir haben es nicht bereut.


Rügen.

Rügen! Wie soll man dich schildern! Die eigenartigen malerischen Reize, die man eben nur auf Rügen findet, diese scheinbaren Gegensätze von weiter, unendlicher Meereseinsamkeit und trautem Waldesfrieden, von dämmernden, lauschigen, mit Buchengrün umschatteten Pfaden, von weissen Felsenriesen und rauschenden Wellen! Es ist eines der letzten Enden des deutschen Landes. O Wanderer, sieh' es dir noch einmal genau an, ehe du hinaufziehst in die nordischen Gewässer! Und es ist, als hätte Deutschland hier seine ganze Zaubermacht zusammengenommen, um dem Pilger zuzurufen: Bleibe hier! Bleibe bei mir! Was willst du in die Ferne schweifen ? Wohl lohnt es sich, länger zu weilen! Wie prächtig liegt das reizende Sassnitz, wie wunderhübsch das liebliche Lohme! Und doch nur ein geringer Teil dessen, was Rügen bietet, war uns vergönnt zu sehen. In Sassnitz war bereits ziemlich lebhafter Verkehr. Die Fremdenindustrie war im Schwange, und alles war ihr Untertan. Dampfer und Boote, Schiffer und Fischer, Restaurants und Musikkapellen, alles nur bemüht, die „Fremden" zu amüsieren. Natürlich gegen „entsprechende Vergütung". Ja, ohne Geld geht's nun einmal nicht, und des öfteren schüttelten wir unsere weisen Häupter und waren einig in der Meinung, schon im Leben billigeres Pflaster betreten zu haben als das Sassnitzer. Aber immerhin, ein elegantes Bad ist es doch, und das ist selbst mit den Badepreisen nicht zu teuer bezahlt.

Lohme, das wir auch noch besuchten, ist einfacher und etwas wohlfeiler. Die Ankunft einer grossen Segelyacht in dem Lohmer „Hafen", der erst neu gebaut wird, und in dem es ganz infam nach verfaultem Seetang roch, erregte berechtigtes Aufsehen, und wir wurden tatsächlich mit weiss-gewaschenen Ehrenjungfrauen empfangen, d. h. sämtliche Badegäste weiblichen Geschlechts hatten sich eingefunden und bewunderten unser elegantes Fahrzeug. „O Qott, wie süss!" flötete eines der Dämchen, und Johannes bezog das sofort auf sich. Alfreds ewig liebegirrendes Herz war bereits entflammt, und seine etwas rauhe Seemannsphantasie malte sich bereits glühende Liebesabenteuer aus, so dass er ganz und gar die Frage eines etwas naiven Fräuleins überhörte, ob er der „Fürst von Putbus" sei? Ein witziger Berliner Kurgast hatte aber die Frage vernommen und sang sofort: „Put—bus bus mein Hühnchen, Put—bus bus mein Hahn!" Solchergestalt war unsere Ankunft in Lohme, und es wurde auch weiterhin dort gemütlich. Der fürstliche Alfred, der „süsse" Hanni und meine Wenigkeit fanden einen sehr netten „Ankergrund", wo wir uns vertauten und für wenig Geld möglichst vielen Ballast in zwar warmem, aber immerhin feuchtem Gerstensaft verluden. Sogar eine nächtliche Wanderung war uns beschieden, und zwar zu einem Dorfe namens Hagen, wo, wie uns ein kundiger Thebaner verriet, etwas „los" sei, so dass der „Fürst von Putbus" sofort darauf reagierte. Zwar war diese Landreise nicht gerade amüsant, und um ein Haar hätte Putbusbus mit einem biederen Dorfinsassen noch Keilerei bekommen, so dass wir das Lokal mit samt dem „Kuhschwof" unter lauten „Prostestrufen" verliessen, aber dennoch bereuten wir es nicht, auch einmal etwas in das Innere der Insel mit seinen Hügeln und Tälern, seinen Wäldern, hübschen Häusern und Windmühlen vorgedrungen zu sein, als wir bei völliger Tageshelle in unsere Kojen krochen, um noch etwas zu schlafen. Denselben Nachmittag noch besuchten wir Stubbenkammer, die weltberühmten Kreidefelsen zwischen Lohme und Sassnitz. Ein entzückender Weg durch herrlichen Buchenwald, längs der Küste; Schritt für Schritt Motive. Und immer wieder die Ausblicke auf die blaue See! Die Aussicht von Stubbenkammer ist unbeschreiblich schön und erhaben. So etwas ist eben nicht zu schildern. Man muss es eben gesehen haben. Auf der Höhe fortschreitend, gewannen wir durch Wald Lohme wieder. Es war ein schöner Nachmittag. Rügen! Du bleibst uns unvergesslich! Längst schon sind deine grünen Ufer entschwunden, es ist Abend, ringsum tiefes Schweigen. Die Wogen rauschen gegen die Planken, der „Fürst von Putbus" putzt die Putbusschen Kajütenlampen und singt dazu den „Abendstern". Wir bereiten uns zur Nachtfahrt. Vor uns liegt das mächtige Feuerschiff Adlergrund, und die Sonne scheidet:
Das Meer erglänzte weit hinaus im goldnen Abendschein!


Ernste Stunden.

Sassnitz auf Rügen, 2. Juli 09.
Wieder Sassnitz? Nicht wahr, man glaubt uns in Bornholm ? Lassen Sie sich erzählen.

Meinen letzten Brief, an Bord zwischen Sassnitz und Bornholm geschrieben, werden Sie erhalten haben. Er endete mit Sonnenuntergang und stimmungsvoller Meeresdämmerung, und ich meinte, aus Bornholm den nächsten senden zu können. Es kam anders: „Wir bereiten uns zur Nachtfahrt", schrieb ich.

Der Mondesschein glänzt auf den Fluten, fast völlige Windstille. In regelmässigem Schlag klatschen die schlaffen Segel in ihren knarrenden Ringen, die Gefährten träumen vor sich hin und ergehen sich nur ab und zu in Mutmassungen, ob er „jetzt kommt" oder nicht kommt. Nämlich der heissersehnte Wind. Doch die Flaggen wollen sich nicht rühren. Schon ist das Adlergrund-Feuerschiff in Nähe, der grösste Teil der Reise nach Bornholm vollendet. Der Himmel ist klar, nur vor uns steht eine schwarze, verdächtige Wand. Etwas Nordost kommt auf. Ich gehe hinunter in die Pantry; wir wollen uns einen Grog brauen. Und eben bin ich noch mit dem Kochapparat beschäftigt, als es auf Deck eiligst hin und her rennt, Alfreds Kommandostimme tont; ich flitze die Treppe empor und sehe auch schon die Bescherung. Der Mond verdunkelt, die schwarze Wand hat sich in Nebel aufgelöst, die See schlägt stark und der Nordost heult. Wir wissen gar nicht, was wir zuerst tun sollen. Das Grosssegel wird heruntergefiert. Johannes und ich zerren die rasende Leinwand auf Deck. Alfred holt die Back- und Steuerbordlaternen, zündet sie mühsam an und befestigt sie. Dann warten wir ab, was das Schicksal uns bringt. Gegen den Wind kämpft sich Isolde durch. Das Feuerschiff blieb hinter uns, und wir passen scharf auf etwa uns begegnende Fahrzeuge. Bei Nacht und Nebel eine harte Notwendigkeit. Eine Stunde noch fahren wir. Doch dann geht es nicht mehr weiter. Ein schwerer Seegang, kurze steile Wellen, treibt uns entgegen. Es ist ganz unmöglich, bei diesem Sturm, dieser See Bornholm zu erreichen, noch dazu in der gefährlichen Nebelnacht. Kriegsrat. Endlich Entschluss. Bis zum Feuerschiff zurück, dort Anker werfen und abwarten. Schwarze Wogen und weisser Schaum überschütten Isolde, als wir wenden. Stumm und energisch tun wir unsere Pflicht. Fast zwei Stunden dauert es, bis wir Adlergrund erreichen. Gleich einem gespenstigen düsteren Traum ragt das Feuerschiff finster aus der tosenden See. Kein Mensch ist an Bord zu sehen, es schläft alles. Nur die Lichter des Signalfeuers spielen und blinken. In der Nähe des Schiffes rasselt der Anker in die Tiefe. 16 Meter sagt die Seekarte. Es ist 2 Uhr, schon wieder dämmerig, als wir den Versuch machen, zu schlafen. Isolde stampft furchtbar auf und nieder, rollt unaufhörlich, die Wogen brüllen draussen und hämmern an die Bordseiten unseres Schiffleins, als wollten sie alles zerschlagen. An ein wirkliches Schlafen ist gar nicht zu denken. Ein apathisches Hindämmern, ein waches Träumen verschleiert die Seele und die Gedanken. Um Vj4 Uhr ist das Unwetter fürchterlich. Was war alles das, was wir bis jetzt erlebt, gegen dieses Toben! Wir kommen überhaupt nicht nach Bornholm gegen die rasenden hohen Wogen. Alfred schlägt vor, umzukehren, Sassnitz als Nothafen wieder aufzusuchen. Es bleibt nichts übrig. Der Anker wird gelichtet. Plötzlich ein wilder Ruck — Alfred hat die Kette in den Händen und sieht den Rest samt dem unten noch festsitzenden Anker verschwinden. Durchgerissen! Isolde wird vom Sturm und der See gepackt, und Johannes reisst das Steuer herum.


Seegemütlichkeit.

Vor Top und Takel treiben wir vor dem Winde Sassnitz wieder zu. Fock- und Besahnsegel werden gesetzt, Isolde jagt wütend, drei, vier Meter hohe Wellen schäumen um das Fahrzeug. Längst schon ist Adlergrund verschwunden, wir machen brillante Fahrt. Gegen 6 Uhr taucht Rügen wieder auf, d. h. was man zwischen den den Horizant weit überstürzenden Wellen sehen kann. Sind wir in einem „Tal", so sehen wir gar nichts als das donnernde Wasser; schwebt Isolde hoch oben auf einem Wogenkamm, überblicken wir die weite See, grünlich und blau, mit weissem Schaum gekrönt. Dazu der graue düstere Himmel. Auf der Höhe von Stubbenkammer klingt es hinter uns gleich einer gesprungenen Saite. Himmel! Das Beiboot! Dort schwimmt unser Mime, das Tau ist zerrissen. Gleich einem Mäuslein wird es gepackt, lustig spielt der schwere Seegang mit dem Kahn. Ernst ist unsere Stimmung, als wir gegen 9 Uhr morgens in Sassnitz wieder eintreffen. Eine Menge von Fahrzeugen hat gleich uns Schutz gesucht. Bornholm hat uns geschlagen. Gut. Warten wir morgen ab! Wir bekommen dich doch noch. Nun erst recht!


Bordleben.

Wir liegen noch immer im Sassnitzer Hafen und warten besseres Wetter ab. Das verlorene Boot hat sich wieder eingefunden. Es ist auf Strand gelaufen, geborgen und uns wieder zugestellt worden. Somit ist nur der Anker futsch. Unsere Erlebnisse in Sassnitz sind nicht gerade hervorragend, darum benutze ich die Zeit, statt mit langweiligem Schildern der Kneipen und Grand-Restaurants mich unbeliebt zu machen, von unserem Bordleben zu erzählen, was zweifelsohne bedeutend interessanter ist.
Also: „an Bord". Was wohl so manche Landratte sich darunter vorstellt? Gott, so 'n bisschen Gondeln und Segeln, wenn man keine Seekrankheit kriegt, ist doch eigentlich kein Kunststück und höchst amüsant. Der „Kasten" läuft von selbst, zu tun gibt's überhaupt nichts. Nun, so ganz stimmt's doch nicht. Zunächst: Seefest sind wir alle drei. Noch keine Stunde Unwohlsein hatten wir. Sodann: Arbeit gibt's massenhaft. Die Bequemlichkeit ist auf das geringste Mass zurückgeschraubt. Der Raum ist eng, und ehe man „Seebeine" bekommt, hat man mindestens fünfzig Beulen, blaue Flecken, Schrammen, Risse und abgestossene
Hautstellen. Für Leute von mangelnder Anpassungsfähigkeit, für Weichlinge, die an Bord nur faulenzen wollen, ist demnach eine Reise auf einem Herrenboot, wo man keine Bedienung hat und jeder zugreifen muss, gerade kein Vergnügen. Morgens wird verschieden aufgestanden. Hat man nichts vor, schläft man in den Tag hinein. Wir sind aber auch schon um 5 und um 3 Uhr aufgestanden. Nehmen wir also einen normalen Tag. Wir haben eine mittlere Tour vor.
Um 7 Uhr wird geweckt, ein Geschäft, das, schon traditionell geworden, mir zufällt. „Rise! Rise!" „aufstehen!" Die Crew erwacht, erkundigt sich nach der Uhr, nach dem Barometer, dem Wetter, dem Winde, murmelt gewöhnlich einige Segenswünsche, die recht wenig einem Morgengebet gleichen, und krabbelt aus den Kojen, oder, wie Alfred sinnig sie bezeichnet, „Dunstkapseln". Aus der See wird ein Eimer Wasser gefasst, man wäscht sich, ich koche den Kaffee. So dann begibt sich der Kapitän an Deck, wo er gewöhnlich etwas zu tun findet. Eine Minute darauf flötet er lieblich herunter: „Johannes!" „Bitte ?" „Ach, willst Du nun mal raufkommen?" Johannes, der eigentlich noch gar keine Lust hat, klettert brummend hinauf. Um bei irgend etwas zu helfen. ,Ach, was gibt's da an Deck zu tun! Manchmal ist's nötig, öfters aber auch nicht. Eine halbe Stunde vergeht. „Kaffee!" schreie ich hinauf. Die beiden Mannen er scheinen. Das ist ein liebliches Wort! Frische Brötchen sind Luxus. Das derbe norddeutsche Schwarzbrot, Speck, Butter, Sardellenpasta, Wurst schmecken dem Seemann ebenso gut.
Fertig! Der unermüdliche Alfred lotst Johannes hinauf. Der Anker wird gelichtet, die Taue eingeholt, die Segel gesetzt, und wenn's nicht anders geht, muss ich auch helfen. Johannes geht ans Ruder, Alfred hat die Seekarte vor sich, und wir trachten zunächst, aus dem Hafen herauszukommen. Wir sind in Fahrt. Ich bin frei und tue meine eigene Arbeit. Geschirr waschen, Messer und Gabeln putzen, Küche in Ordnung bringen, das landfeine Zeug verstauen; Vorbereitungen treffen zum Essen. Ist das Wetter gut, so wird mittags gekocht. Bei schlechtem Wetter essen wir kalt und abends warm. Wir haben auch schon öfters gar nicht
gefrühstückt. An Mittagsschlaf denkt niemand. Ist der Dienst bei mir zu Ende, so habe ich zu schreiben, zu photographieren, zu zeichnen. Das Menü ist einfach; entweder Konserven, was sehr schnell geht, oder Bohnen, Erbsen, Suppe, Fisch, Beefsteak und was man sonst ohne viele Umstände zubereiten kann, und meine Tischgäste sind des Lobes voll über meine Kochkunst. Das macht Vergnügen, wenn's allen schmeckt. Alfred ist meistens strenger Kommandant. Segeln wir mit gutem Wind, so dass stunden lang Isolde auf einem Bug liegt, so wird er gemütlich.
„Paulchen!" „Hm??" „Bitte, gib doch mal 'n Schnaps her!" Und Paulchen reicht den Schnaps heraus. Oefters geht's aber auch scharf her: „Ran hier! Verflucht noch mal, 'n bisschen schnell! Fockschot belegen ! Bändsel her! Fix!
Fix! Soll denn alles zum Deubel gehn? Wenn Du noch mal das Beiboot „schamfielen" lässt, dann kriegste 'n Anker an die Beene und wirst drei Tage lang kaltgestellt!" Natürlich tut Alfred das nicht, denn sonst hätte er ja nichts zu essen am Mittag. Auch Johannes wird in kritischen Augenblicken, wo man ja auch wirklich keine Zeit hat zu Höflichkeitsphrasen, nicht gerade sanft behandelt, nun, und wir beide sind auch nicht auf den Mund gefallen.

Sind wir „landfein", so sind wir gute Kameraden, gemessen zusammen, was uns die Fremde beut, zechen zusammen, rauchen aus demselben Tabakskästchen, blicken jedem Mädel nach und erwägen die Möglichkeit, aus der Isolde einen Harem zu machen. Leider bleibt es bei diesen Erwägungen. Denn erstens bin ich verheiratet und zweitens würde es auf der Isolde etwas eng werden. Im übrigen stände ja der Verwirklichung unserer Phantasiegebilde nichts im Wege. Man sieht also: Unser Leben ist rauh. Und dennoch, unser Gemüt ist weich. Amor spukt auch auf der Isolde!


An Bord der Isolde, 3. Juli 1909. zwischen Sassnitz und Bornholm.

Kinder, ist das heute eine Fahrt! Wie sagte ich doch gleich zum Schluss des letzten Briefes? „Nun erst recht!"
Und heute schaffen wir's! 6 Uhr abends, und Bornholm in Sicht! Tiefblau die See, blau der Himmel, lachende Sonne und rosenrote Stimmung an Bord. Alfred ärgert sich ein bisschen über den „Spinnaker". Doch der Aerger ist nicht schlimm. Er gehört zu Alfreds Lebenselementen. Zu tun ist gar nichts, darum will ich noch etwas von Sassnitz erzählen.


Reunion.

Ja wirklich, die „crew" der Isolde war gestern auf der Reunion. Natürlich, nachdem man sich vergewissert hatte, dass es tatsächlich keinen Eintritt koste, dass man ein erschwingliches Glas Bier dort erhalte, und dass man nicht gleich hinausgesetzt würde, wenn man ohne Frack dort erschien. Wer eigentlich zuerst den Gedanken hätte, die Reunion zu besuchen, ist und bleibt ein Rätsel. Hinterher wollte es niemand gewesen sein. Gestern nachmittag, als ich meinen letzten Brief schrieb, war ich allein an Bord. Gegen 3 Uhr kamen Alfred und Johannes wieder und beglückten mich mit der Neuigkeit: „Du, weisst du was ? Wir gehen heute abend zur Reunion!" Ich nahm die Nachricht mit zweifelhaftem Vergnügen entgegen, sagte aber nichts, dachte nur, es sei noch im letzten Augenblick Zeit zum Ausreissen. Johannes war eigentlich nur gekommen, um mein Menü — Kartoffelsalat und Frikandellen — sich einzuverleiben. Nachdem er das getan, entschwund er wieder. Erstens gab es etwas aufzuwaschen, ein Geschäft, das der „süsse Hanni" masslos vorbeischätzt, und zweitens hatte er sich rettungslos in die Reize einer kleinen Leipzigerin verguckt, und das ist ein Zustand, in dem der „süsse Hanni" für normale Menschen ungeniessbar ist. Gegen 6 Uhr machten Alfred und ich uns landfein und gingen auch auf den Bummel. Nachdem ich drei Meineide geschworen, dass ich dem Stüermann nichts verraten würde, lud er mich ein, — einen Augenblick, ich muss nur erst mal die Fockschot belegen — so, also er lud mich ein zu einem Glas Bier und einem Korn. Natürlich blieb es nicht bei dem einen. Welcher vernünftige Mensch kann auf einem Bein stehen ? Dann trafen wir Johannes auf der Strandpromenade mit seiner Flamme. Wir kannten ihn selbstredend nicht. Das ist Kavalierssitte. Ebenso selbstredend drehten wir uns um, um die Jungfrau, die von vorn ganz annehmbar schien, auch von der Reversseite zu beaugapfeln. Resultat: Jung, halblanges Röckchen, feine Fesseln, die weiter nach oben sich angenehm rundeten; hm, hm. Alfred empfand bald darauf — wahrscheinlich in Ermangelung weiblicher Genüsse — einen masslosen Durst, und wir gingen wieder in unser Restaurant, um noch ein Bier und noch einen Korn zu trinken. Fünf Minuten darauf kam Johannes. Schmunzelnd, gedankentief, kurz, er war einfach „weg". Ganz weg. Wie eben so Verliebte sind. Ja, er war sogar so weg, dass er sich breitschlagen Hess, uns noch ein Bier und noch einen Korn zu spendieren.

Alsdann gingen wir an Bord, um uns landfein fegt die Reunion zu machen. Zunächst assen wir im Cockpit' an Deck Abendbrot, tranken je ein Bier und einen Korn, lebhaft bewundert von den Sassnitzer Badegästen, die haufenweise auf der Mole ständen, und kamen allmählich in Stimmung. Nun grosse Beratung, wie man seine Toilette verschönern könnte. Schliesslich zog Johannes ein reines Hemd an, Alfred wusch sich die Hände, und Paulchen wichste sich die Stiebein. Somit waren wir hochelegant, und stolz zogen wir im Hotel Fahrenberg ein. Es war schon spät — halb elf Uhr — und eigentlich gar nichts los. Draussen auf der Terrasse einige Männeken, man spielte natürlich die "Dollarprinzessin" und tanzte. Gehen wir also hinein.

Alfreds bescheidener Versuch, sich eine Shagpfeife anzustecken, wird von einem unglaublich vornehmen Ober im Keime erstickt. (Fortsetzung folgt.)



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