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Die Europadreißiger Text + Recherche: Prof. Rudolf Simek |
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"Ariel" auf dem Traunsee 2007 |
Der Bedarf für eine offene Kielbootklasse in den 30er Jahren Die Diskussion über eine offene Kielbootklasse, die auf den Binnenrevieren des deutschsprachigen Raums nach dem ersten Weltkrieg die - nach damaliger Ansicht - veralteten Sonderklassen und die noch älteren Segellängenyachten ersetzen sollten, wurde in den 20er Jahren öffentlich und vor allem in den österreichischen Organen mit großer Heftigkeit geführt.(1) Dabei ging es darum, ob die auf dem Wörthersee und Traunsee sich seit 1924 schnell verbreitenden Yachten der 35-qm-Rennklasse ein vollwertiger Ersatz für die etwa am Attersee weiter favorisierten Sonderklassen sein konnten, da sie Vielen als zu übertakelt, zu leicht und damit auch zu rank galten (2), obwohl viele der Neubauten in der Geschwindigkeit mit den Sonderklassen durchaus mithalten konnten und die Baukosten deutlich unter denen einer Sonderklasse lagen (3). Es lag aber wohl nicht (nur?) an der unbestreitbaren Labilität der 35er, sondern mehr noch an der Wirtschaftskrise der 20er Jahr, daß von dieser Konstruktionsklasse ingesamt nur 18 Stück (und eine weiteres Schiff nach dem 2. Weltkrieg) gebaut wurden. (4) Eine Konkurrenz bestand auch in den 30qm-Binnenkielkreuzern (sogen. L-Boote nach ihrem Klassenzeichen), welche seit 1914 gebaut wurden und immerhin 204 Baunummern erreichten, auch wenn mehr als 30 Boote trotz vergebener Baunummern nie als Neubauten realisiert wurden. Die L-Boote wurden vorwiegend bis 1944 gebaut, fünf Neubauten zwischen 1949 und 1961 änderten nichts am Niedergang auch dieser Klasse nach dem 2. Weltkrieg. Dazu kam, dass die 30qm-Binnenkielkreuzer in Österreich vorerst irrelevant blieben: ihre Reviere waren die Berliner Seen, der Bodensee und die Bayrischen Seen, während einzelne Schiffe auf anderen deutschen und Schweizer Revieren eher die Ausnahme blieben und in Österreich vorerst gar keine Schiffe dieser Klasse vorkamen. In Österreich schien der Bedarf nach einem offenen Kielboot durch das 1935 erstmals in Österreich vorgestellte Starboot (5) nur scheinbar gelöst worden sein, und auch in Deutschland blieb das ob seiner Unbequemheit als Tagessegler kaum geeignete Starboot vorerst ungeliebt, sodass sich nach dem gewaltsamen „Anschluss” Österreichs an Deutschland, der Zwangseingliederung der Yachtclubs in den Y.C.v.D. und der Gleichschaltung der Clubvorstände die Diskussion über eine neue Kielyachtklasse nunmehr auf Österreich erstreckte. "Ariel" im Größenvergleich mit zwei Sonderklassen
Ab 1933 in Deutschland und 1938 in Österreich wurden derartige Diskussionen auch in den Sportverbänden nicht mehr öffentlich ausgetragen, was die Rekonstruktion der Vorgänge sehr erschwert. Nur aus offiziösen, vom Reichssportverband offenbar abgesegneten Artikeln lassen sich gewisse Tendenzen herauslesen. So klagt Victor Thausing in einem 1942 in der Zeitschrift “Die Yacht” erschienenen Aufsatz über den Stillstand der Bautätigkeit bei den Kielbooten (was sich nur auf die Salzkammergutseen beziehen konnte, wo schon 1925 der letzte 35er gebaut worden war und offenbar auch ein Mangel an Nachwuchsseglern in den Kielbooten bestand.) (6) Der selbe Aufsatz preist aber die Initiative zum Bau eines „internationalen” Kielboots, von dem er immerhin schon zwei Exemplare vorstellen konnte. Der DSV hatte offensichtlich unter Druck des NS-Reichssportverbandes (und angeblich auf direkten Wunsch des Führers, was aber nicht zu erhärten ist) den Entschluß gefaßt, ein (angeblich) europäisches Rennkielboot zu fördern. Nicht zuletzt zu diesem Zweck wurde am 22. Mai 1937 auf Einladung des DSV unter Anwesenheit von Vertretern italienischer, polnischer, Schweizer und ungarischer Segelverbände ein „Europäischer Seglerverband” gegründet, der in Anbetracht des Zeitpunkts dieser Gründung als Teil der nationalsozialistischen Propagandamaschinerie zur Verschleierung der Kriegsabsichten zu werten ist. Immerhin findet sich im Bericht über diese Sitzung in München eine knappe Absichtserklärung zur Klassenpolitik, welche Olympiajollen, 22qm-Renn-jollen, 20qm-Jollenkreuzer und die Starboote enthielt, mit dem Zusatz: „Darüber hinaus nahm die Frage der Schaffung einer neuen Binnenkielklasse einen weiten Raum der Erörterung ein. Endgültige Entschlüsse wurden auch hierzu noch nicht gefaßt.” (7) Zwischen den Zeilen ist hier zu lesen, dass es nach hitzigen Debatten auch unter den nur anwesenden fünf europäischen Nationen zu keinem Konsens über den deutschen Wunsch kam. Interessant ist zu bemerken, dass trotz vorhergegangener Gespräch zwischen dem DSV und dem Präsidenten der Österreichischen Union-Yacht-Clubs die Österreicher zu dem Münchner Treffen entweder nicht eingeladen oder zumindest nicht anwesend waren. Ein formeller Zusammenschluss europäischer Binnensegler wurde zwar von der deutschen Presse insinuiert, kam aber so damals noch nicht zustande, sondern erst Ende 1937: „Der europäische Seglerverband ist gegründet worden. Die Zustimmung haben bisher gegeben: Estland, Ungarn, Polen, Österreich, Zürcher Yachtclub und Deutschland.” (8) Später traten angeblich noch Yugoslawien und Italien bei. (9) Ein Jahr später um diese Zeit hatte Österreich vorübergehend aufgehört zu existieren. Die Yacht-Clubs wurden mit Amtlicher Bekanntmachung vom 30. April 1938 in den Deutschen Reichsbund für Leibesübungen (D.R.L.) als Gau XVII: Deutsch-Österreich eingegliedert (10), in einer Sitzung „europäischer” Binnensegler hatten sie ab da keine Vertretung mehr. Doch kam es im Laufe des Jahres 1938 in diesem von Deutschland initiierten „Europäischen Seglerverband” offenbar auf Druck des DSV zu einem Beschluss über die neue Binnenkielklasse, wenn auch die Veröffentlichung der Bauvorschriften und Vermessungsbestimmungen Ende 1938 (11) neben den deutschen nur mehr die Interessen der Schweizer und ungarischen Segler erwähnt: offenbar hatten sich im Jahr des Anschlusses die anderen Nationen nicht mehr zu den Beratungen eingefunden. Dass der Beschluss über die neue „europäische” Binnenkielklasse aber in Deutschland schon vor dem „europäischen” Beschluss feststand, beweist die Tatsache, dass im Sommer 1938 der erste Europadreißiger in Berlin gebaut wurde (die “Liebelei VI”) und bereits im Dezember 1938 in der Zeitschrift “Die Yacht” ausführlich und mit etlichen Detailaufnahmen der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte. (12) Die Veröffentlichung der Bauvorschriften und Vermessungsbestimmungen am 24. Dezember 1938 stellte somit nur die Festschreibung eines vom DSV auf höheren Wunsch hin bereits ausgeführten Faktums dar. Neben Willy Lehmann hatte 1938 auch der damals erfolgreichste deutsche Konstrukteur, Carl Martens, der im selben Jahr den genialen Entwurf für die tatsächlich international erfolgreiche Pirat-Jolle gezeichnet hatte, einen Riss geliefert; ein Boot befand sich im Winter 1938/39 auf der Werft von Robert Beelitz in Potsdam im Auftrag des DSV bereits im Bau. (13) Dieser Prototyp des Risses von C. Martens wurde offenbar vom DSV favorisiert und die Risszeichnungen dieses Typs mehrfach publiziert, konnten sich aber nicht durchsetzen: er blieb der einzige damals im Deutschen Reich gebaute Europadreißiger mit Kajütaufbau. Die Arbeit des der NSDAP unterstellten NS-Reichssportverbandes für Leibesübungen (später: Deutscher Reichsbund für Leibesübungen: D.R.L.) und des wiederum diesem unterstellten DSV war aber von vornherein zum Scheitern verurteilt: während der 1938 geplante Ansatz, das neue Kielboot als europäisches Boot auch bei anderen Segelnationen populär zu machen - dabei dachte man damals in Deutschland nicht nur an die genannten Binnenstaaten, sondern auch an Skandinavien - so hatte durch den deutschen Überfall auf Polen und den damit verbundenen Kriegsausbruch diese Initiative außerhalb der Achsenmächte keinerlei Chancen auf irgendeinen Erfolg. Die 1941 erscheinenden Aufsätze als Werbung für die Bootsklasse muten daher reichlich anachronistisch an, auch wenn nachher tatsächlich noch zwei oder drei weitere Schiffe der Klasse gebaut wurden. Als „europäisches” Kielboot, auf das ja sogar der Name der Klasse Bezug nahm, war der Europadreißiger aber gescheitert. Der DSV gab seine publizistischen und sonstigen Bemühungen um das nun allgemein als Europadreißiger bezeichnete Schiff jedoch nicht auf. Obwohl in den ersten Kriegsjahren nur je ein offenes Schiff bei Abeking & Rasmussen für den Traunsee (die jetzige “Kismet”, 1940) und eines auf der Werft von Haitzinger am Attersee (“Beamy”, 1941) gebaut wurde, kam es zum wiederholten Male zu einer Veröffentlichung der Pläne in der Zeitschrift “Die Yacht” und zu einer - allerdings wegen des Kriegszustandes nur limitierten - Öffentlichkeitsarbeit für diese Rennyacht. (14) Genützt hat diese Propagandatätigkeit allerdings wenig, denn in Ungarn, wo letztendlich die meisten Europadreißiger gebaut wurden, hat man sie wohl kaum wahrgenommen.
Die Europadreißiger wurden, vor allem um ihre Adaption an verschiedene Reviere zu ermöglichen, von vornherein als damals sogen. Freie Rennklasse, d.h. als Konstruktionsklasse geplant. Die Bauvorschriften und Vermessungsbestimmungen für die hier noch als „30qm-Binnen-Rennkielklasse des Europäischen Seglerverbandes” bezeichnete neue Klasse wurden wie gesagt schon in der letzten Ausgabe der Zeitschrift “Die Yacht” von 1938 veröffentlicht. (15) Das prägnante Klassenzeichen bildete von Anfang an das markante große E auf kreisförmigem blauen Grund, ein weiteres Unterscheidungsmerkmal war das (wohl an die Schärenkreuzer angelehnte) sehr schmale hohe Großsegel, dessen Vor- und Unterlieklängen im Verhältnis 3:1 standen. Die Vorschriften mit ihren Einschränkungen für die Konstruktion waren insgesamt nur knapp gehalten und betrafen vor allem die Maximalmaße: Die Segelfläche war mit 30 qm, die Rigghöhe mit 11,50 m begrenzt. Von der vermessenen Segelfläche von 30 qm entfielen 19,48 auf das Großsegel und 10,52 auf das Vorsegeldreieck. Die Bau- und Vermessungsbestimmungen legte neben den maximalen Größen für das Rigg u.a. auch fest, dass das Schothorn des größten Vorsegels nur um den Faktor 0,7 der Baumlänge hinter dem Mast liegen durfte, der Spinnaker durfte in geheißtem Zustand bis zur Wasseroberfläche reichen; der Fallblock für den Spinnaker wurde an einem 10cm über die Vorderkante Mast ausladenden Beschlag befestigt. Ausdrücklich verboten waren Gaffelsegel, die Zahl der Segellatten auf vier beschränkt. (16) Die Länge ü.A. der Yacht war mit max. 10,50 m begrenzt, was alle gebauten Exemplare fast oder ganz ausschöpften. (17) Auffällig ist, dass die Bauvorschriften schon in § 2. ausdrücklich freistehende Ruder verbieten, was die Zugehörigkeit des 2004 am Chiemsee aufgetauchten angeblichen Europadreißigers “Candy” (mit altmodischem Blattruder weit hinter dem Kiel) zur Klasse zweifelhaft macht, auch wenn der Rumpf ansonsten die für den Martensriss typischen vollen Formen aufweist. Besonders das im Vergleich mit den 35qm-Rennklassen und den 30qm-Binnenkreuzern hohe Freibord wurde damals gelobt. Auch die Verdrängung von mindestens 1700 kg sollte allzu ranke Schiffe verhindern.
Trotz der 1941 geäußerten optimistischen Meinung, dass neben den zwei auf den Berliner Seen laufenden Yachten „trotz der Zeitläufte im Augenblick in Berlin und Süddeutschland etwa 10 bis 12 Boote so gut wie vergeben sind” (18), wurden dort höchstens ein halbes Dutzend Europadreißiger gebaut, wovon die beiden ältesten mir derzeit nicht auffindbar sind. Ob tatsächlich, wie 1941 in der Festschrift des Potsdamer Yachtclubs behauptet, eine ganze Reihe von Yachten dieser Klasse im Bau waren, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen: „So können wir über weitere uns bekanntgewordene Neubauaufträge berichten vom Verein Seglerhaus am Wannsee, Segler-Vereinigung 03, Berliner Yacht Club, Berliner Segel Club, Yacht Club Müggelsee, Yacht Club von Deutschland, Zweigstelle Attersee, Bayerischer Yacht Club, Augsburger Segler Club, die bis jetzt alle mindestens einen Dreißiger in Bau haben.” (19) Realisiert wurden davon m.W. nur der Neubau vom Attersee (“Beamy” ex “Nelly”) und der vom Bayerischen Yacht Club (“Ariel”). Auffällig ist, dass die deutschen Verfasser von den gleichzeitig in Ungarn in Bau befindlichen Yachten offenbar nichts wussten. Das erste Exemplar der neuen Klasse wurde wie gesagt nicht nach dem später besser bekannteren und vom DSV favorisierten Riss von Carl Martens, sondern nach dem Riss von Willy Lehmann auf dessen eigener Werft gebaut. Dieser Europadreißiger namens “Liebelei VI” wurde schon 1938 in Berlin-Woltersdorf gebaut, und zwar für den Eigner W. Piontek, dessen Schiffe alle “Liebelei” hießen, aber vorher durchwegs Jollen waren; dieses Boot war offen (20) und segelte sowohl 1939 als auch 1942 auf dem Wannsee (21) bei Regatten mit - allerdings 1939 als einziges seiner Klasse, 1941 waren immerhin zwei Boote genannt. Im Winter 1938/39 wurde der zweite Europadreißiger nach dem Riss von C. Martens für den Konstrukteur selbst im Auftrag des DSV bei Beelitz in Potsdam gebaut und segelte zuerst als „Patenschiff” (auch mit dem Namen DSV) der neuen Klasse auf den Berliner Revieren. (22) Schon 1941 war es in den Privatbesitz des Eigners C. Schreyer übergegangen und hieß nun “Nobel”. Von dieser Yacht haben sich auch Photos erhalten: es handelte sich entsprechend der ersten Zeichnungen von Martens um eine gedecktes Schiff mit einer Länge von 10,45 m, einer Breite von 1,98 und einem Tiefgang von 1,29 m. (23) Der Verbleib dieser beiden ersten Yachten der Klasse ist wie gesagt unsicher. Ebenfalls schon in den ersten Berichten von 1941 ist die “Kismet” (E 1) erwähnt, welche 1940 bei Abeking & Rasmussen in Lemwerder nach eigenem A&R-Riss enstand und noch im selben Jahr an Max Schmidt vom UYC Traunsee ausgeliefert; allerdings wurde sie 1942/43 pro forma an Ing. Hans Bleuler verkauft, da die Bleikiele von SS-Kommandos als „Kriegsopfer” eingefordert wurden, wodurch zahlreiche Yachten entweder völlig zugrunde gingen oder bis in die 50er Jahre aufgelegt blieben. Ing. Bleuler war als Schweizer Staatsbürger davon nicht betroffen, “Kismet” überstand dank Ing. Bleuler und Emil Schmidt (dem Bruder des 1943 verstorbenen Max Schmidt) auch fast unbeschadet die amerikanische Besatzungszeit, da sie, selbst steuernd, als „Seefiaker” für die GIs fungierten und damit diese und andere Yachten auf dem Traunsee vor Schlimmerem bewahrten; “Kismet” liegt noch heute am Traunsee und ist in erstklassigem Zustand. Ebenfalls für den Traunsee wurde 1941 am Attersee in der Bootswerft Haitzinger die “Beamy” (ex “Nelly V”) für Alfred von Frisch gebaut, welche wie die “Kismet” (und übrigens alle Exemplare ausser Martens Prototyp) offen war; der Zeichner des Risses von “Beamy” (E 4) ist nicht mit Sicherheit auszumachen, sie hatte zwar die selben Abmessungen wie der Protoytyp nach dem Martens-Riss, aber keinen Aufbau. Sie fuhr ebenfalls über 60 Jahre im Union Yacht Club Traunsee und wurde erst 2008 an den Bodensee verkauft. "Beamy" auf dem Traunsee Zwei weitere Europadreißiger wurden dann erst 1943 gebaut. Einer der beiden, “Ariel” (E 3) wurde wie die “Kismet” bei Abeking & Rasmussen gebaut, und zwar nach dem Riss von Martens, nicht nach dem von Lehmann. Das 10,50 m lange Schiff ist mit einer Breite von 2.05 m auch breiter als “Kismet”, ist aber ebenfalls ein sehr schnelles Schiff und segelt häufig in Regatten; sie liegt heute im SCC Feldwies am Chiemsee. Mehr Erfolg hatte der Riss mit einer Modifikation des Risses von Martens durch den ungarischen Konstrukteur Jenö Benacsek; dieser Riss sah ebenfalls eine Kajüte vor, hatte aber zudem eine höheres Freibord als die als Minimum vorgeschrieben 45 cm und war damit besser für die am Plattensee stärkeren Winde geeignet. (24) Das erste nach diesem Riss gebaute Schiff war 1939 die “Villám” (ex “Héja”) der BHRT Werft in Balatonfüred. Ihr sollten in den Jahren ab 1942 am Plattensee weitere 9 Schiffe folgen, die hier auf Stapel gelegt wurden, allerdings konnten zwei davon (E 9 “Nagymagús” ex “János vitéz” und E 10 “Azúr”, die schon in den 60er Jahren auf der Bruckner-Werft am Balaton generalsaniert wurde, (25) nicht mehr vor Kriegsende vollendet werden und wurden erst 1946 fertiggestellt.
Zwar wurden in Deutschland auch noch 1944 vereinzelt Yachten gebaut, aber Europadreißiger waren keine mehr darunter. Somit war die Lebensdauer der Kielbootklasse mit 5 Jahren sehr kurz, bis auf die zwei Schiffe am Wannsee und die beiden am Traunsee konnten sich die Yachten außer am Balaton nie in klasseninternen Regatten messen, die beiden am Traunsee allerdings erst nach dem Krieg, denn 1944 und 1945 wurden auf dem Traunsee offenbar keine Regatten mehr gesegelt. Es gab jedoch dennoch vereinzelte Aufrufe, die Europadreißiger als Klasse nach dem Krieg wiederzubeleben: Dr. Max Klinger aus Herrsching am Ammersee brachte wiederholt die Klasse ins Spiel, wenn es um den Aufbau der Bootsklassen in Bayern ging. (26) Interessant ist daran, dass er die Klasse offenbar nicht aus eigener Anschauung kannte, und in der Tat gab es ja in Bayern nur am Chiemsee eine Yacht dieser Klasse, allenfalls noch eine zweite. So blieb trotz des spürbaren Mangels an Yachten auch sein Wunsch nach Neubauten in dieser Klasse unerfüllt. Was bleibt, sind wenige, aber z.T. sehr gut gepflegte Exemplare einer Klasse, die durchaus das Zeug gehabt hätte, als Nachfolger von L-Booten und 35er-Rennklassen zu dienen: schnell, aber nicht zu rank, und sowohl als „Nachmittagsboot” (wie man das in den Dreißigerjahren nannte) als auch als Regattaschiff geeignet. Die Risse waren jedenfalls attraktiv genug, aber sowohl der Weltkrieg als auch der zu hohe Anspruch, den der DSV der Nazizeit an das Boot gestellt hatte, waren einer Weiterentwicklung hinderlich: denn als ein „europäisches” Boot hatte es schon allein wegen seiner Bevorzugung durch die Nationalsozialisten keine Chance. Links: Linienriss A&R - rechts: Linienriss Martens
Während in Österreich und Deutschland die überlebenden Europadreißiger am Ende des 20. Jahrhunderts zwar gepflegt oder auch generalsaniert wurden, gab es in Ungarn eine ganz andere Entwicklung: der Riss des gedeckten Europadreißigers von Jenö Benacsek wurde 1980 von Dr. Gyula Kis als Negativform gebaut, nach der in der Folge seine eigene “Io” (E 11) und weitere 14 Yachten in GFK von verschiedenen Eignern in GFK und mit unterschiedlichen Aufbauten am Balaton entstanden (27). Aus diesem Rahmen fallen allerdings zwei Neubauten, nämlich die hölzerne “Fiskális” (ex Gaho, E 26), welche 1987 in Fichte und GFK als getreue Kopie von “Villám” gebaut wurde, und die “Trilla” (E 27) von 2003 in GFK, welche ebenfalls nicht auf die Kunststoffform, sondern auf einen älteren Riss zurückgriff. "Virtus" (E 6) von Istvan Haffner auf dem Balaton 2003 Diese insgesamt 16 Neubauten (von denen allerdings drei als noch unausgebaute Schalen der Fertigstellung harren) führten zu einer Wiedergeburt dieser Klasse am Balaton, so dass die Europadreißiger seit 1988 dort wieder als Klasse anerkannt sind. In Regatten segeln die alten Schiffe mit einem Handicap von 103 gegen die neuen Schiffe (Handicap 97, seit 1997 96), aber noch 2006 und 2007 weisen die Ergebnislisten meist Felder von 12-16 Yachten auf. (28) Dass auch neue Schiffe dabei sinken können, zeigt ein Medienbericht vom 10.9.2007. (29) Diese Kunststoffnachbauten sind zwar nur bedingt zu einer Geschichte einer traditionellen Klasse zu stellen, belegen aber immerhin, wie zeitlos der Linienriss einer Yacht aus den 30er-Jahren immer noch ist, und wie sehr derartige Yachten mit den modernen Entwicklungen mithalten können.
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