Historisches
Während man an deutschen Küsten Yachten mit Plattgatt oder Hecks mit langen Überhängen den Vorzug gab, waren Spitzgatter, Spitzgattkreuzer oder Doppelender in skandinavischen Ländern die vorherrschenden Bootstypen. Im Grunde müßte diese Kurzvorstellung sogar Die dänischen Spitzgatter heißen, denn hier fanden sich zwischen 1914 und 1955 die wichtigsten Konstrukteure und eine Vielzahl an Spitzgatt-Klassen. In Schweden dominierten hingegen die Schärenkreuzer, während Norwegen neben den berühmten Colin-Archer-Kuttern, die konstruktionsbedingt auch als Spitzgatter gelten können, beispielsweise die Q-Klasse hervorbrachte. Gezeichnet von dem in Oslo lebenden Konstrukteur W. Schulze, wurden zwischen 1915 und 1923 25 Boote gebaut.
Ihren Anfang nahm die Entwicklung der Spitzgatt-Yachten mit den kleinen und mittleren Arbeitsbooten der Ostsee. An den Küsten des 19. Jahrhunderts traf man auf verschiedene stabile Spitzgattformen wie Kragejollen, Bornholmer Lakskutter, Lotsen- oder gar Zeesenboote. Sie zeigten immer noch wichtige Konstruktionsprinzipien der Langschiffe der Wikinger: Die Klinkerbeplankung, die spitzen Vor- und Achtersteven und oft einen flachgehenden Kiel.
In Dänemark war die Kragejolle, ein offenes, geklinkertes Fahrzeug der Küstenfischerei, weit verbreitet. Ihre Merkmale waren: Angehängtes Ruder, Sprietsegel, Dreikant-Toppsegel sowie Fock und Klüver. Noch vor der Jahrhundertwende traten etwas komfortablere, sechs bis zehn Meter lange Freizeitversionen (dän.: lystsejlads) mit Gaffelrigg, Kajüte und Außenballast in Erscheinung. Ab 1914 zeichnete einer der gro§en der dänischen Spitzgattkonstrukteure, der Faaborger Apothekersohn Georg Berg, Yachten mit einem für die damalige Zeit hohen und schmalen Großsegel sowie einer kurzen Gaffel. Der Übergang zum Bermudarigg war erkennbar.
Aage Utzon konstruierte 1918 einen 55-qm-Spitzgatter, der in einer kleinen Serie gebaut wurde. Darunter war die Shamrock des Hafenmeisters von Aalborg, über einige Jahre die schnellste Yacht an der Ostküste Jütlands.
Mit der zunehmenden Beliebtheit der Spitzgatt-Konstruktionen wurden Stimmen laut, die eigene Spitzgatt-Klassen forderten. 1926 rief die Jydsk Sejlunion (Jütländische Seglervereinigung) einen Wettbewerb für 30- und 45qm-Klassenboote aus. Die Zeichnungen von Berg und Utzon gewannen; ihre grundlegenden Maße wurden 1927 für nationale Klassenvorschriften übernommen, die u.a. die ausschließliche Verwendung skandinavischer Hölzer bestimmte. In den 30iger Jahren wurden noch 20-, 26-, 38- und 55-qm-Klassen-Spitzgatter eingeführt. Berg, Utzon und Marius Sofus Johannes (kurz: M.S.J.) Hansen dominierten in dieser Zeit mit ihren Konstruktionen die Regatten in allen Klassen.
Stabil gebaut und mit hohem Kielballastanteil versehen, lassen sich Spitzgatter aufgrund der gro§en Segelfläche dennoch schnell segeln. So verdrängt zum Beispiel die 30-qm-Klasse rund 3 Tonnen bei einer Länge von 7,2 Metern, verfügt aber über einen 12 Meter langen Mast und einer verhältnismäßig langen Wasserlinie. Über 6 Knoten Rumpfgeschwindigkeit werden erreicht.
Gegen Ende der fünfziger Jahre wurden die letzten Klassenspitzgatter gebaut, insgesamt waren es ca. 120 Boote (ca. 4 20-qm, ca. 18 26-qm, ca. 50 30-qm, ca. 25 38-qm, ca. 20 45-qm und 2 55-qm).
Selbst für geübte Augen waren Berg-, Utzon- und Hansen-Spitzgatter an der Rumpfform, im Sprung und Freibord sowie an typischen Aufbaumerkmalen und Modifikationen der 3/4-Hochtakelung nicht immer leicht zu unterscheiden - auch heute Anlaß für hinreichende Diskussionsfreude auf den Bootsstegen.
1969 erlebte die Spitzgatt-Form in Dänemark eine Renaissance: Peter Bruun zeichnete den Spaekhugger, einen siebeneinhalb Meter langen Doppelender mit Kanuheck und 35-qm Segelfläche. Der Prototyp segelte gleich nach dem Stapellauf bei der Själland Rundt-Regatta und errang einen bemerkenswerten dritten Platz. Marsvin, Grinde und Kaskelot (dänische Namen für verschiedene Walarten) hießen weitere Bruun-Entwürfe, nun wieder als "echte" Spitzgatter mit angehängtem Ruder.
Rainer Goersch
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